Tichys Einblick
Landtagswahl

Die Sachsen wählen das Parteiensystem ab

Sechs Wahlbündnisse hatten es 2021 in den Deutschen Bundestag geschafft. Mindestens zwei von ihnen werden im künftigen Sächsischen Landtag fehlen. Die Menschen zwischen Leipzig und Dresden haben von den alten politischen Kräften die Nase voll – und vor allem von der Ampel.

Journalisten verfolgen in der SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus, ein Fernsehinterview mit Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Um 18.00 Uhr ist endgültig klar, was die Sachsen von denen da in Berlin halten: nichts, absolut nichts.

Die Parteien der Ampel-Regierung kommen bei den sächsischen Landtagswahlen nach den ersten Prognosen und Hochrechnungen auf 15,1 Prozent. Nicht jede einzeln, wohlgemerkt, sondern zusammen. Die FDP ist im nächsten Landesparlament wieder nicht vertreten (1,1 %), die Grünen schaffen es wohl nur denkbar knapp (5,5 %), und die SPD kommt noch nicht einmal in die Nähe von zehn Prozent (8,5 %).

Das sind die Ergebnisse nach der ersten Hochrechnung:

CDU 31,6 (-0,9)
AfD 30,2 (+1,8)
BSW 12,0 (+12,0)
SPD 8,5 (+0,7)
Linke 4,0 (-8,3)
Grüne 5,5 (-3,5)
FDP 1,0 (-3,6)
Sonstige 7,4 (-2,2).

Neben dem gemeinschaftlichen Desaster für die Ampel-Parteien gibt es noch ein paar Erkenntnisse, die sich so früh am Wahlabend schon abzeichnen:

Michael Kretschmer hat hoch gepokert – und gewonnen

Der Ministerpräsident von der CDU hat im Kern einen Wahlkampf gemacht wie weiland der große Bayer Franz-Josef Strauß: Gebetsmühlenhaft hat er Sachsens Eigenständigkeit betont. Er hat scharfe Kritik an der EU geübt und sich heftig über Entscheidungen aus Brüssel beschwert. Und mit Vorliebe hat er gegen „die da in Berlin“ gewettert – wobei nicht immer ganz klar war, ob er damit wirklich nur die Ampel-Regierung meinte oder nicht ab und zu auch seinen eigenen CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz.

Sei’s drum: Es hat gewirkt. Kretschmer hat die AfD klar auf Platz zwei verwiesen, was keineswegs sicher war. Das kann der Ministerpräsident getrost auf sein Konto buchen. Unter dem Druck schwächelnder Umfragewerte hat Kretschmer sich irgendwann AfD-Themen (Migration, Kriminalität) zugewandt. Aus den anderen Parteien (außer der AfD und dem BSW) erntete er dafür heftig Prügel. Auch der nach wie vor starke Merkel-Flügel in der Union selbst machte ihm deshalb das Leben schwer.

„Wer die Themen der Rechten besetzt, stärkt nur die Rechten“ – das ist die Erzählung, mit der die allermeisten Politiker verhindern wollen, dass über jene Probleme auch nur geredet wird, die Millionen Menschen bewegen und die die AfD aufgreift. Kretschmer hat gezeigt, dass das nicht stimmt – im Gegenteil: Wer die Probleme der Menschen aufgreift, wird gewählt. Wer sich weigert, verschwindet in der politischen Bedeutungslosigkeit.

Allzu sicher kann sich aber auch Kretschmer nicht fühlen. Bei genauerem Hinsehen ist sein Erfolg ein geborgter Sieg: Denn sage und schreibe 52 Prozent aller CDU-Wähler erklären offen, dass sie die Partei nur wählen, damit die AfD nicht so stark wird. Eine starke eigene Basis sieht anders aus.

Die Bäume für die AfD wachsen nicht in den Himmel

Sicher, die Blauen haben erneut Stimmen dazugewonnen. Sicher, sie besetzen mit riesigem Vorsprung den zweiten Platz im Parteienspektrum. Und natürlich müsste die AfD in einem Bundesland wie Sachsen, in dem knapp zwei Drittel der 3,3 Millionen Wahlberechtigten ausdrücklich nicht links gewählt haben, an der Regierung beteiligt werden.

Aber die CDU verschanzt sich nun einmal hinter der sogenannten Brandmauer und bildet lieber zusammen mit den Wahlverlierern von SPD und Grünen sowie mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) eine Volksfront-Regierung. Das wird absehbar lustig. Aber sollte es trotzdem gelingen, die AfD in Sachsen längere Zeit von einer Regierungsbeteiligung abzuhalten, könnten sich einige Anhänger früher oder später auch einmal nach einer anderen Option umsehen, die ihrer Stimme einen höheren Stichwert verleihen könnte – zum Beispiel das BSW.

Spitzenkandidat Jörg Urban wird auch parteiintern nicht selten vorgeworfen, er sei zu farblos. Es dürfte eine spannende Frage werden, ob es ihm gelingt, das AfD-Potenzial in weiteren fünf Jahren Opposition im Dresdner Landtag zu vergrößern. Nur so dürfte er die Kritiker im eigenen Lager beruhigen.

Helfen könnte dabei, dass die AfD von einer Protest- zu einer Vertrauenspartei geworden ist: In den wichtigsten Politikfeldern hat sie inzwischen höhere Kompetenzwerte als die Konkurrenten.

Sahra, Sahra über alles

Aus dem Stand zwölf Prozent holt das BSW. Damit gewinnt die Wagenknecht-Truppe etwa genauso viele Stimmen, wie Linke und Grüne zusammen verlieren.

Es ist absolut möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass Ministerpräsident Kretschmer eine Zusammenarbeit mit der SPD und dem BSW ansteuert. Die Grünen konnte er sowieso nie leiden. Dann hätte das BSW ein durchaus bemerkenswertes Kunststück geschafft: als linke Opposition zu den linken Ampel-Parteien der rechten AfD Stimmen abzuknöpfen und eine Koalition ausgerechnet mit der CDU einzugehen.

Ob es so weit kommt, hängt sicher auch davon ab, wie geschmeidig sich Kretschmer in der „Friedensfrage“ positioniert. Wagenknecht ist strikt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, für Verhandlungen mit Russland und gegen die Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland. All das widerspricht diametral den Positionen der CDU.

Vielleicht entdecken alle Beteiligten ja irgendwann im Laufe ihrer Verhandlungen, dass diese Frage gar nicht in Sachsen entschieden wird.

Das Volk weiß, was es will

In Sachsen waren dies die drei wichtigsten Themen für die Wähler:

Gewonnen haben die drei Parteien, die diese Themen angesprochen haben: CDU, AfD, BSW.

Im ARD-Wahlstudio konnte man bei den ob ihrer schlimmen Niederlagen sichtbar entgeisterten Parteivertretern von SPD, Grünen und Linken aber sehen, dass kein noch so schlechtes Wahlergebnis sie dazu bringen könnte, von ihrer Weltsicht abzurücken und den Wünschen des Souveräns womöglich doch etwas entgegenzukommen.

Für kommende Landtags- und auch Bundestagswahlen sind weitere Desaster der Ampel-Parteien damit quasi programmiert. Denn 83 Prozent (in Worten: dreiundachtzig) der Wähler wollen eine grundlegend andere Zuwanderungspolitik.

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