TE: Herr Vaatz, vor einigen Tagen wurde die Linksparteipolitikerin Barbara Borchardt als Richterin auch mit Stimmen der CDU ins Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern gewählt – obwohl sie eine SED-Musterkarriere absolvierte und bekennendes Mitglied der „antikapitalistischen Linken“ ist, einer als linksradikal eingestuften Parteiplattform. Wundert Sie es, dass die CDU eine erklärte Verfassungsfeindin als Verfassungswächterin akzeptiert?
Arnold Vaatz: Nein, das wundert mich mittlerweile nicht mehr. Es gibt auch in meiner Partei offenbar das Ziel einer vollständigen Rehabilitation der DDR. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war der Sturz von Hubertus Knabe als Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen durch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und den Berliner Kultursenator Klaus Lederer. Damit wurde diese Gedenkstätte an den DDR-Unrechtsstaat praktisch zerschlagen. Ein weiterer wichtiger Schritt bestand darin, dass Angela Merkel und Markus Söder alles dafür getan haben, einen Linkspartei-Mann auf den Posten des Ministerpräsidenten von Thüringen zu hieven, obwohl dessen rot-rot-grünes Bündnis keine Mehrheit hatte.
Welches Kalkül steckt Ihrer Meinung nach dahinter?
Zum einen das ganz einfache Machtkalkül, etwa, wenn den ostdeutschen CDU-Landesverbänden von westdeutschen Spitzenpolitikern wie dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther empfohlen wird, mit der umbenannten SED zu koalieren. Um auch diese Koalitionsoption möglich zu machen, muss ja die DDR rehabilitiert werden. Dazu ist es nötig, die Erinnerung an die Verbrechen in der DDR so weit wie möglich auszulöschen.
In Ihrer Partei gibt es erstaunlich wenige, die sich dagegen wehren.
Das ist für mich etwas Bedrückendes. Es gibt auch nur wenige in der CDU, die aus der Opposition der DDR stammen und den Charakter dieses Systems selbst erlebt haben.
Ist die Geschichtsvergessenheit in der CDU nur mit dem Kalkül zu erklären, demnächst mit der Linkspartei noch einen weiteren Koalitionspartner zu gewinnen?
Das geht viel tiefer. Die Geringschätzung und Ablehnung der Revolution von 1989 durch die meinungsprägende Elite des Westens ist nicht zu erklären ohne die aggressive Eitelkeit dieses Milieus, das von seiner Wichtigkeit zutiefst überzeugt ist. Die Ereignisse von 1989 und 1990 waren ein epochales Ereignis mit einer Auswirkung von Berlin bis Wladiwostok. Es ist sowohl ein gewaltloser Weg als auch in seiner unbestritten positiven Wirkung einmalig in der europäischen Geschichte. Aber es kam zustande ohne das geringste Zutun dieses Milieus, teilweise sogar unter der heftigen Missbilligung dieser Leute. Es passte nicht in ihr Weltbild, sie waren bis auf die Knochen blamiert. Für Leute, die sich für den Lauf der Geschichte als unentbehrlich betrachten, ist das eine tiefe narzisstische Kränkung, die nie nachlässt. Und deshalb muss das Ergebnis der Revolution von 1989 kleingehackt werden. Dazu haben sie die Macht, weil sie die Medien bis in die letzten Ritzen zu ihren Gunsten gesäubert haben – besonders in den gegen jede Konkurrenz geschützten öffentlich-rechtlichen. Meinungen, die den Grundüberzeugungen dieses westdeutschen Eliten-Milieus widersprechen, werden dort nur dann ausgestrahlt, wenn gewährleistet ist, dass die redaktionelle Gegenmeinung das letzte Wort hat. Meine Partei hat dies jahrelang widerspruchlos hingenommen.
Werden Sie trotzdem in der CDU bleiben?
Das werde ich. Denn ich habe mehr für den Aufbau der CDU im Osten getan als mancher andere. Niemand hat das Recht und niemand die Kraft, mich von da zu vertreiben. Und es kommen auch wieder andere Tage.
Arnold Vaatz, geboren 1955 in Weida, ist studierter Mathematiker. 1982 wurde er von der DDR-Justiz zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil er den Reservedienst in der NVA verweigerte. Während dieser Zeit musste er Zwangsarbeit leisten.
1989 gehörte er zu den führenden Köpfen der friedlichen Revolution in Dresden. Er leitete 1990 den Koordinierungsausschuss für die Wiedergründung des Landes Sachsen. Kurt Biedenkopf berief ihn 1990 als ersten Chef der Sächsischen Staatskanzlei.
Seit 2002 ist Vaatz stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion.