Inhaltlich war Malu Dreyer (SPD) alles andere als eine gute Politikerin. Unter ihr als Ministerpräsidentin ist Rheinland-Pfalz in keinem Punkt wesentlich weitergekommen. Aber PR konnte Dreyer. Als unter ihrer Verantwortung rund 140 Menschen im Ahrtal gestorben sind, wusste sie, worauf es jetzt ankommt. Hilfe? Krisenmanagement? Künftig bessere Informationspolitik oder Hochwasserschutz? I wo.
„Ich brauche ein paar Sätze des Mitgefühls“, SMSte Dreyer am Morgen nach der Flutkatastrophe an ihre Mitarbeiter, gleich nachdem sie aufgewacht war. Ein kleines bisschen Trauershow, um davon abzulenken, dass Dreyers Landesregierung wider besseren Wissens Entwarnung fürs Ahrtal gegeben hatte und sie selbst im Bett lag, als unter anderem Behinderte in einem Heim starben, weil die Leitung auf die Angaben der Regierung vertraut hatte.
Trägt Scholz eine Mitverantwortung für diese Taten? Spannende Frage. Das fängt schon damit an, welcher Scholz gemeint ist: Der Regierungschef, der eine Demonstration anführt, weil Privatleute „Remigration“ gefordert haben sollen? Zumindest laut der Theaterstück-Recherchen von „Journalisten“, die von der Ampel teilfinanziert werden. Oder ist der Olaf Scholz gemeint, der wenige Wochen zuvor selbst „Abschiebung im großen Stil gefordert“ hat? Auf der Titelseite des „Sturmgeschützes der Demokratie“.
Der Kanzler ist immer das, zu dem ihm seine Berater gerade raten. Im Moment ist das „wütend“ und „zornig“. Seine Regierung arbeitet an Gesetzen, die nach und nach jede Kritik am real existierenden Islam unter Strafe stellen. Seine Regierung hetzt den Verfassungsschutz und Sondereinsatzkommandos auf Menschen, die sich diese Kritik nicht verbieten lassen wollen. Doch zu dieser Politik bekennt sich Scholz an diesem Montag nicht. Würde auch blöd aussehen. Bei einem Besuch in Solingen. Keine drei Tage, nachdem an dieser Stelle drei Menschen von einem mutmaßlichen Islamisten ermordet wurden – und noch ein Dutzend weiterer ermordet werden sollten.
In Solingen, so haben es ihm die Berater gesagt, empfindet der Kanzler „Zorn“. Und der „gilt den Islamisten“. Das ist gut. Stark. Das ist so viel mehr als die „paar Sätze des Mitgefühls“, die Dreyer für die Toten unter ihrer Verantwortung opfern wollte. Zorn, das klingt nach Nachhaltigkeit. Nach Konsequenzen. Und nicht nach dem leeren Versprechen der „Abschiebung im großen Stil“, das Scholz schon gegeben und gebrochen hat – um danach selbst Demonstrationen gegen Remigration anzuführen.
Zu einfach ist so eine Trauershow letztlich. Zu abgenutzt die Inszenierung: anreisen, traurig gucken, Blumen niederlegen, sich verbeugen, in Mikrofone sprechen, traurig gucken, Konsequenzen ankündigen und Hilfe anbieten, die Einsatzkräfte nicht vergessen und beschwören, dass die volle Trauer und Konzentration den Angehörigen gelte und dabei – ganz wichtig – traurig gucken. Scholz schafft das. Wer würde auch schon daran scheitern? Außer vielleicht Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidaten der CDU?
Scholz muss noch einen drauflegen. Trauershow allein genügt nicht. Also zeigt der Kanzler „Zorn“. Es werde künftig mehr abgeschoben, verspricht er, wieder einmal. Es kämen künftiger weniger Illegale, verspricht er, wieder einmal. Und das Waffenrecht will der Kanzler verschärfen. Der mutmaßliche Täter von Solingen hat gegen eins der zehn ältesten Gesetze der Menschheit verstoßen: Du sollst nicht töten! Aber von einer Messerverbotszone hätte er sich wohl abschrecken lassen? Das ist so schwach, dass die Berater des Kanzlers gut daran getan haben, ihm das starke Wort „Zorn“ ins Drehbuch zu schreiben. Das ist so herrlich kraftvoll und noch unverbraucht.
Sich von dem „Festival der Vielfalt“ verbal zu verabschieden, das wäre zu wenig. Auch wenn und gerade, weil das derzeit alle tun. Sogar und besonders die Christdemokraten, deren Kanzlerin das Festival 2015 überhaupt erst gestartet hat. Heute tun sie so, als hätte es das nie gegeben und falls doch, hätten sie nie was damit zu tun gehabt. „Jetzt ist der Kanzler gefragt“, schreibt etwa Friedrich Merz. Schwach. Seine Berater waren immer schon schlechter als die des Kanzlers.
In der Stunde, in der sich die Folgen des „Festival der Vielfalt“ zeigen, will mit der unbegrenzten Einwanderung niemand etwas zu tun haben. Nicht einmal Robert Habeck, „Wirtschaftsminister“ und selbst ernannter Kanzlerkandidat der Grünen. Er fordert mehr Abschiebung und behauptet, unter der Ampel sei ja Abschiebung schon erleichtert worden. Kein Wort von den Demonstrationen gegen Rechts. Kein Wort von der feministischen Außenministerin, die die illegale Einwanderung aus der Heimat der Taliban nach Deutschland gefördert hat. Kein Wort von den staatlich finanzierten Verteidigern, die Abschiebung so gut wie unmöglich machen. Wenn die Folgen der grünen Politik einschlagen, wollen selbst grüne Politiker nichts mehr mit grüner Politik zu tun haben.
Da ist Olaf Scholz schon einen Schritt weiter. Mit „Zorn“ hat er die Parole des Tages gefunden. Ist der Konkurrenz um ein Schlagwort voraus. Wie damals, nach Beginn des Ukraine-Kriegs, als seine Berater die „Zeitenwende“ kreiert haben. Danach hat Scholz Schulden aufgenommen, um die Bundeswehr ein klein wenig besser auszurüsten. Doch weder in der Energie- oder Sozialpolitik noch in der Einwanderungspolitik hat sich nach der „Zeitenwende“ tatsächlich etwas substanziell geändert. Nach dem „Zorn“ von Solingen soll das anders werden – wer auch immer ihm das noch glauben will.