Die Grünen gelten neuerdings als bürgerliche Partei, längst haben sie ihr Stammklientel nicht mehr in Hippiekommunen und Brennpunktvierteln, sondern im urbanen Juste Milieu, in der (jedenfalls wenn man es am Einkommen misst) Mitte der Gesellschaft. Sicherlich sind Robert Habeck und Annalena Baerbock gesellschaftlich anschlussfähiger als Renate Künast oder Anton Hofreiter. Dennoch denken die Grünen gar nicht daran, sich inhaltlich zu mäßigen und damit ihren ideologischen Führungsanspruch aufzugeben. Sie haben es schlichtweg nicht nötig.
Ihnen gelingt ein ziemlich einzigartiges politisches Kunststück, denn die Partei bewegt sich nahezu frei von medialer Kritik, die normalerweise auf eine gewisse Stringenz und innere Konsequenz drängen, oder zumindest die Mythen einer Partei durchleuchten würde. Und daher können sie sich als bürgerlich verkaufen, in die Regierung drängen und neue Wähler in der Mitte gewinnen, ohne inhaltliche Veränderungen vornehmen zu müssen. Unhinterfragt übernimmt der deutsche Journalist die Geschichte, die die Grünen erzählt haben wollen: Die Grünen sind jetzt die neue Mitte. Obwohl es keine Anhaltspunkte dafür gibt, außer der Modernisierung des Parteilogos.
Genau auf dem jüngsten Digitalparteitag, der die Mäßigung verbildlichen sollte, bei dem die Fundis und Radikalos geradezu demonstrativ abgeklatscht wurden, wurde ein neues Grundsatzprogramm beschlossen, das abermals mit bürgerlicher Mitte rein gar nichts zu tun hat.
Soweit so amüsant. Aber das Programm hat es, obwohl es extrem vage bleibt, inhaltlich trotzdem in sich.
Ganz offen spricht man da beispielsweise von einer „sozial-ökologischen Transformation“ und der Veränderung des „Finanz- und Wirtschaftssystems“ hin zu einer Kreislaufwirtschaft ohne Finanzkrisen, inklusive „vollständige(r) Dekarbonisierung der Produktionsprozesse in der gesamten Lieferkette“. Vollständige Dekarbonisierung, das muss man sich mal vorstellen. Das bedeutet Deindustrialisierung und natürlich die Abschaffung jeglicher Wirtschaftsform, die etwas mit Marktwirtschaft und wirtschaftlicher Freiheit zu tun hat.
Auch im Sozialsystem wird das Ende des Marktes eingeläutet, man orientiert sich hier „an der Leitidee eines Bedingungslosen Grundeinkommens“, also jenes Programms, dass selbst Karl Marx zu radikal gewesen wäre. Alle Menschen kriegen einfach so das Geld vom Staat und müssen gar nichts mehr tun.
Egal in welches Thema man schaut, es geht ähnlich weiter. „Das Ziel sind Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften“. Eine „vielfältige Einwanderungsgesellschaft“ soll als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. Auch Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft hätten ein Recht auf politische Teilhabe und natürlich: „Kein Mensch ist illegal“.
Das heißt, letztendlich soll jeder, der hier lebt, auch wählen dürfen, jeder, der will, nach Deutschland kommen können, und dafür ist man auch bereit, das Grundgesetz zu ändern. Vor dem Schulterschluss mit den Islamverbänden in Deutschland, die nahezu alle unterwandert von wahlweise türkischen Nationalisten, saudischen Salafisten oder vom iranischen Geheimdienst sind, hat man augenscheinlich weniger Probleme. Das ist natürlich sehr progressiv.
Die grüne Moral kennt keine Grenzen
Apropos Saudi-Arabien. Zur Meinungsfreiheit haben die Grünen dann auch gleich eine interessante Position: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten.“ Hier wurde das Konzept der Meinungsfreiheit definitiv richtig verstanden. Schließlich hat schon Voltaire gesagt: Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen – es sei denn Ihre Meinung ist falsch, dann sollte Sie verboten werden.
Unbeirrt fährt man im Parteiprogramm fort, und in einem Moment des Übereifers hat man gleich noch einige Absätze über die Medien hineingeschrieben. Es heißt da: „Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik orientiert sich an einem neuen Wohlstandsmaß und einer neuen Form der Wirtschaftsberichterstattung.“ (Danach folgen Sätze, die ganz genau beschreiben, wie eine neue Wirtschaftsberichterstattung auszusehen hat.) Irgendwo ist es für die Grünen aber natürlich auch einfach konsequent, den Gültigkeitsbereich ihres Grundsatzprogramms gleich auf die Medien auszuweiten.
Das Programm ist wirtschaftlich ein klassisch sozialistischer Phrasenkatalog, kombiniert mit noch radikaleren Umweltanliegen. Aber die Grünen ziehen ihre eigenen Bahnen und müssen sich mit derart profanen Dingen wie Widerspruch nicht auseinandersetzen. Dass Robert Habeck Anzug trägt, wird der CDU schon reichen für eine Koalition. Und insofern muss man eines schon anerkennen: Die Grünen sind allen anderen Parteien strategisch um Lichtjahre voraus. Sie schneiden Kurven nicht, sie nehmen den Helikopter. Sie verfolgen unerbittlich ihren eigenen Kurs. Und weil sie die einzigen sind, die das tun, gewinnen sie.