Tichys Einblick
Politik und Bürger

Corona und die Lust an der Bevormundung

Wir empören uns über das zunehmend autoritäre Gehabe unserer Politiker. Zurecht. Aber wir verdrängen dabei, wir sehr wir das durch unser eigenes, zunehmend devotes Gehabe fördern.

@ Alexander Wendt

„Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!“ (Heinrich Mann: „Der Untertan“, 1914)

Unser Land teilt sich in zwei Gruppen: in Bevormunder und Bevormundete.

Die Bevormunder bevölkern maßgeblich die Politik, außerdem die Verwaltung und die öffentlich-rechtlichen Medien. Ursprünglich sollten sie in unserem Auftrag der Gesellschaft dienen: die freie gesellschaftliche Debatte organisieren (Medien), auf Grundlage dieses Diskurses den gesellschaftlichen Interessenausgleich organisieren (Politik), entsprechend der dabei entstandenen Regeln das gesellschaftliche Zusammenleben organisieren (Verwaltung).

Davon ist nicht mehr viel übrig. Mittlerweile verstehen diese Leute ihre Rolle ganz offensichtlich so, dass sie sich vom Rest des Volkes zwar alimentieren lassen – aber ebendiesem Volk im Gegenzug vorzuschreiben versuchen, wie es zu denken, zu reden, zu glauben und überhaupt zu leben hat.

Für den Parlamentarischen Geschäftsführer von Bündnis‘90/Grünen im Bundestag ist der mündige Bürger schon an der Ladentheke überfordert und bedarf der fürsorglichen Anleitung: der Staat als Vormund für Konsumenten. Der nächste logische Schritt ist dann die Hilfestellung in der Wahlkabine: betreutes Wählen, sozusagen.

Wer den Bürger als formbare Masse, quasi als Erziehungsobjekt betrachtet, dem sind nachvollziehbarerweise auch die bürgerlichen Grundrechte tendenziell lästig. Entsprechend werden sie bundesweit massiv eingeschränkt: Derzeit vor allem noch, weil unseren Regierenden keine anderen, modernen Methoden der Pandemie-Bekämpfung einfallen – aber schon mehren sich die Stimmen, die die Grundrechte auch für andere ideologische Ziele schleifen wollen.

Sagen wir es einmal deutlich (auch an all jene Richter, die derzeit die unselige deutsche Tradition einer prinzipiell obrigkeitshörigen Rechtsprechung wiederaufleben lassen): Grundrechte, die in bestimmten Situationen entzogen werden können, verdienen den Namen nicht. Sie sind in Wahrheit gar keine Grundrechte, sondern Genehmigungen: bürgerliche Freiheiten von Politikers Gnaden.

Das sehen maßgebliche politische Kreise inzwischen offenbar genauso:

„Verordnungen sind nicht schlechter als Gesetze.“
(Tobias Hans – bei n-tv, am 18. Dezember 2020)

Der Mann, der das sagt, hat es in 18 Semestern (das sind neun Jahre) nicht zu einem Abschluss gebracht und dann sein Studium abgebrochen. Das qualifiziert einen heutzutage im Saarland zum CDU-Landesvorsitzenden – und zum Ministerpräsidenten.

Herr Hans hat entweder die Gewaltenteilung nicht verstanden, oder er setzt sich zynisch über sie hinweg: Die Einschränkung von verfassungsmäßigen Grundrechten durch einfache Gesetze ist umstritten genug – aber immerhin kommen die noch von vom Volk gewählten Abgeordneten. Verordnungen dagegen werden von den Regierungen erlassen – die, man erinnert sich, in Deutschland nicht direkt vom Volk gewählt werden.

Der CDU-Ministerpräsident des Saarlandes plädiert also dafür, verfassungsmäßig garantierte Grundrechte nicht durch Gesetze, sondern durch einfache Verordnungen zu beschränken – und hält dieses Vorgehen für demokratisch legitimiert (jedenfalls sagt er das).

Und dann wundert sich irgendwer, wenn Menschen vor autoritären Tendenzen in Deutschland warnen?

„Autofahren ist zu einfach und attraktiv.“
(Maike Schaefer, B‘90/Grüne – am 31. Dezember 2020)

Mittlerweile erklären vom Steuerzahler vollfinanzierte Politiker diesen Steuerzahler ganz unverhohlen zum politischen Erziehungsprojekt: Für Bremens grüne Verkehrssenatorin ist ihre Stadt nicht etwa der Lebensraum erwachsener Menschen, sondern ein „Reallabor“, in dem Frau Schaefer ihre (grünen) politischen Ideen ausprobieren kann – bezahlt natürlich vom arbeitenden Bürger.

(An dieser Stelle können Sie ein Ihrer Empörung angemessenes Wort einfügen.)

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Aber so sehr wir uns über zunehmend autoritäre Politiker, Beamte und öffentlich-rechtliche Journalisten auch erregen mögen: Das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Denn zur Bevormundung gehören zwei: der, der bevormundet – und der, der sich bevormunden lässt.

„Untertanen sind Verschwender. Sie verschwenden ihre Macht.“
(Rudolf Rolfs)

Ja, wir sind Zeugen des Totalausverkaufs von Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und individueller Freiheit. Aber machen wir uns auch nichts vor: Nur wenige von uns sind dabei wirklich Opfer. Die meisten sind Komplizen.

„Die Deutschen mögen es, Anweisungen zu befolgen.“
(Reinhard Schlinkert – Interview am 13. November 2020)

Das sagt immerhin der Generalbevollmächtigte von Infratest dimap, einem der wichtigsten Meinungsforschungsinstitute im Land. Er kennt genügend Zahlen, um recht gut zu wissen, wie die Deutschen so ticken.

In der jüngsten großen Umfrage seines Instituts fand mehr als die Hälfte der Befragten die Corona-Maßnahmen in Deutschland angemessen. Wenn Sie ein freiheitsliebender Mensch sind und dieses Ergebnis schon bedenklich finden, dann sollten Sie vielleicht nicht weiterlesen: Denn satten 30 % gehen die Maßnahmen – Achtung – nicht weit genug.

Es ist kein Wunder, dass Heinrich Manns Jahrhundert-Roman „Der Untertan“ in Deutschland geschrieben wurde und in Deutschland handelt.

Und wohl kaum etwas verdeutlicht den – absurd kleinen – Stellenwert von Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und individueller Freiheit bei uns so gut wie dieser Tweet:

Die obrigkeitshörige Unterwürfigkeit nimmt mitunter groteske, manchmal auch wirklich komische Züge an. Nehmen wir das – auch von den Grünen unterstützte – Außer-Haus-Alkoholverkaufsverbot von Gaststätten: Begründet wird das ja mit einem „möglichen Kontrollverlust“ der Käufer, sollten die den Alkohol nicht erst zuhause, sondern schon auf der Straße konsumieren.

Diese Begründung gilt aber immer und für jede Droge. Vielleicht haben die Grünen (und ihre Anhänger) es noch nicht gemerkt: Aber sie sind da auf einem Weg, der argumentativ direkt zum Totalverbot sämtlicher Rauschmittel führt. Das wird noch lustig, wenn dem grünen Milieu so richtig dämmert, wo der Hase langläuft.

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„Co-Abhängigkeit bezeichnet ein sozialmedizinisches Konzept, nach dem manche Bezugspersonen eines Suchtkranken (…) dessen Sucht durch ihr Tun oder Unterlassen zusätzlich fördern. Ihr Verhalten enthält seinerseits Sucht-Aspekte.“
(Wikipedia)

Machen wir ein kleines Experiment: Betrachten wir Deutschland aus dieser Perspektive der Co-Abhängigkeit. Die Sucht heißt „Bevormundung“.

Keine Frage: Das Volk, einerseits – sowie die meisten Politiker, Verwaltungsbeamten und Medienschaffenden andererseits, verhalten sich wie Co-Abhängige. Die Einen sind fraglos Bezugspersonen der Anderen. Die Einen fördern fraglos die Sucht der Anderen.

Es ist nur nicht ganz klar, wer hier nun eigentlich die Süchtigen sind – und wer die Co-Abhängigen. Sind die Politiker, Beamten und Journalisten süchtig nach Bevormundung des Volkes – das diese Sucht durch Unterwürfigkeit noch fördert? Oder ist das Volk süchtig nach Bevormundung durch Politiker, Beamte und Journalisten – die diese Sucht durch zunehmend autoritäres Gehabe noch fördern?

Schwer zu sagen. Andererseits: Ist das wirklich wichtig?

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