Wenn es nach der Vorsitzenden der Partei der Linken geht, dann kommt ab Herbst 2021 so etwas wie die deutsche Räterepublik. Dafür tritt die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, anscheinend ein. Dem Deutschlandfunk gegenüber empörte sie sich in einem Interview darüber, dass „über viele Fragen, die unser aller Leben betreffen, nicht in demokratischen Parlamenten entschieden wird, sondern in Konzernzentralen.“ Wisslers Antwort auf die Nachfrage, ob stattdessen in einer Rätedemokratie darüber entschieden werden, also alles sozusagen in Staatseigentum überführt werden soll, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Anstatt zu dementieren, dass die Linke die pluralistische Demokratie in eine Rätedemokratie verwandeln will, definiert sie hingegen die neue Räterepublik. Sie prangert an, dass „in Konzernzentralen nicht gewählte Menschen darüber entscheiden, wie zum Beispiel die Produktion von Impfstoffen läuft.“ Wie stellt sich Wissler das eigentlich vor, wenn „gewählte Menschen“, die bspw. Politikwissenschaftler, Studenten der Sozialwissenschaften, Redakteure der taz sind, über die Produktion von Impfstoff entscheiden sollen?
Auch „die Frage über Wohnraum oder Krankenhäuser … wird vielfach in privaten Konzernen entschieden“. Welche „Frage“ Wissler meint, bleibt zwar im Unklaren, doch bitte keine Details: wir sind Kommunisten und Menschheitsbeglücker. Wichtig ist nur, dass die privaten Konzerne zu staatlichen Konzernen umgewandelt werden müssen. Wissler betonte auf die lästige Frage nach dem Erbe der SED-Diktatur, dass die Linke die meisten Neueintritte und Wähler unter 35-Jährigen hat. Diesen Wählern sei gesagt, Wisslers staatliche Konzerne hießen in der DDR Kombinate.
Dass es Wissler durchaus ernst meint mit der Verstaatlichung, beweist ihr Hinweis auf den „Sozialisierungsartikel“ der Hessischen Verfassung, der erlaube, bestimmte „Schlüsselindustrien sofort in die öffentliche Hand“ zu übernehmen. Und dann bekennt sich Wissler doch zur Rätedemokratie, denn sie findet es nicht „unspannend, sich anzuschauen, was die Bayerische Räterepublik“ an demokratischen Möglichkeiten bot. Beispielsweise die Erschießung von Geiseln am 30. April 1919 im Hof des Luitpold-Gymnasiums?
Mit der Arbeit der Ämter für Verfassungsschutz ist sie unzufrieden, sie seien für sie nicht der Maßstab. Wahrscheinlich fehlen ihr beim Verfassungsschutz die eindeutigen Zielvorgaben des Ministeriums für Staatssicherheit. Auch darüber wird sie sicher in einer grünrotdunkelroten Koalition reden müssen. Im Grunde braucht Wissler sich nicht um eine neue „Utopie“, „wie eine sehr viel demokratischere Gesellschaft aussehen kann“, zu bemühen, sie muss nur einen Blick in die Vergangenheit werfen: „Vorwärts Genossen, wir müssen zurück – und mit uns das ganze Land.
Wisslers Schlüsselbegriffe sind im Interview die altbekannten: Räterepublik und Vergesellschaftung, was im Grunde Diktatur, Enteignung und Verstaatlichung heißt.
Doch Janine Wissler geht noch einen Schritt weiter als ihr möglicher Koalitionspartner in spe, sie möchte sogar „nicht dringend notwendige Produktion ein paar Tage“ stilllegen, „um die Infektionsketten zu brechen.“ Sie behauptet: „Wir haben viele Menschen in diesem Land, die ganz normal zur Arbeit gehen, die jeden Tag in Großraumbüros fahren, in Call-Zentren, in Fertigungshallen. Und dort finden Infektionen statt.“ Laut RKI ereignen sich jedoch die meisten Infektionen eben nicht „in „Großraumbüros“, „in Call-Zentren, in Fertigungshallen“, sondern im häuslichem Umfeld und in Alten- und Pflegeheimen. Was den häuslichen Bereich betrifft, weist der Tagesspiegel auf eine Studie hin, nach der die Infektionsraten in Einwanderervierteln deutlich höher wären.
Zur Berliner Situation schreibt der Tagesspiegel über eine Studie des Berliner Senats: „Die Infektionsraten sind in Einwanderervierteln deutlich höher. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine umfangreiche Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).“ Weiter schreibt der Tagesspiegel über Berlin: „Insbesondere Patienten, meist seien es Männer, aus „Großfamilien“ seien wegen Covid-19 in Behandlung. Oft sprächen sie Arabisch, auch Türkisch oder Serbokroatisch. Ab und zu habe es Streit mit Angehörigen gegeben, die sich nicht mit dem Besuchsverbot abfinden wollten, berichten Vivantes-Pflegekräfte … Und auch zur Wirkung des Faktors Migrationsgeschichte auf das Infektionsgeschehen traf die Studie eine Aussage: Die Covid-19-Inzidenz sei „positiv assoziiert“ mit dem Anteil der Einwohner mit Einwanderungsgeschichte sowie mit dem Anteil der Nicht-EU-Ausländer, erklärte die Gesundheitsverwaltung.“ Die Studie des Senats stellt fest, dass „Faktoren wie Einkommen, Wohnstandard und Herkunft“ das Infektionsgeschehen beeinflussen. Immer wieder hört man einen Hinweis darauf, dass bestimmte Milieus nicht von den deutschen Medien erreicht werden. Aus diesem Grund wird beispielsweise in Berlin Neukölln ein mehrsprachiges Team zusammengestellt, um in enger Zusammenarbeit mit Moscheen und anderen Religionsgemeinschaften die Bevölkerung zu beraten.
Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, behauptet die Vorsitzende der Linken, dass die Mehrzahl der Infektionen sich im Arbeitsalltag ereignen und will deshalb die Produktion herunterfahren. Dass sie damit einen Zusammenbruch der Volkswirtschaft riskiert, kann ihr nicht bewusst sein, denn für die Linken ist Wirtschaft nur Wille und Vorstellung, das notwendige Übel, der Reaktionär, der sich linken Weltverbesserungsträumen widersetzt.
Es geht nicht um Ideologie, sondern um Realismus. Es ist auch nicht neu, dass soziale oder kulturelle Verhältnisse in der Ausbreitung von Epidemien eine große Rolle spielen, denn ohne Gesellschaften, Gesellungen oder Freizügigkeit, durch Reisen oder soziales Leben würden keine Epidemien entstehen. Sie sind der Preis unserer Kultur. Nichts von unserer Kultur darf verschwinden. Deshalb benötigen wir adäquate Maßnahmen.
Die Produktion einzustellen, ist mit Sicherheit eine falsche Maßnahme, die so sinnvoll ist, wie der Bau von Dämmen in Österreich gegen das Hochwasser an der Nordsee.
Man könnte die Linke mit ihrer überschwänglichen Liebe zur Utopie für eine Traumtänzerin halten, nur dass der Traum zum Albtraum werden kann. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass Janine Wissler Wirtschaftsministerin wird und „gewählte Menschen“ die Produktion bestimmen und leiten nach den Vorgaben der Partei.