Tichys Einblick
Nach der Wahl in Frankreich

Die Linken treiben auf lange Sicht den Rechten die Wähler zu

Alle reden über den Rassemblement National. Doch das eigentlich erstaunliche ist das Comeback der französischen Linken in der Parlamentswahl. Sie vereinen sich, während in Deutschland die Linke gerade auseinander fällt.

IMAGO

Rund 20 Parteien haben sich im „Nouveau Front Populaire“ zusammengefunden. Das Bündnis hat sich kurz vor der von Präsident Emmanuel Macron ausgerufenen Parlamentswahl gefunden. Es vereint unterschiedliche Richtungen von grüner, über sozialdemokratische bis zu sozialistischer Politik, auch bretonische Seperatisten sind dabei.

Eine linke Sammelbewegung? Kurzfristig einberufen wegen einer vorgezogenen Parlamentswahl? Das sagt den historisch kundigen Deutschen doch etwas. Richtig. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine stemmten 2005 das Projekt „Die Linke“ kurzfristig aus der Hüfte, als Kanzler Gerd Schröder (SPD) vorgezogene Neuwahlen im Bund erzwang. Die von unzufriedenen, westlichen Sozialdemokraten gegründete WASG verstärkte in einer gemeinsamen Partei fortan die im Osten starke PDS. Entstanden ist so eben jene Linke, die gerade dabei ist, sich aus der Geschichte zu verabschieden.

Vorerst darf die französische Nouveau Front Populaire durchaus als Erfolg bezeichnet werden. Aus dem Stand kam sie auf knapp 30 Prozent und war damit stärker als das hinter Präsident Emmanuel Macron stehende Wahlbündnis. Das spielt im französischen Wahlrecht eine große Rolle. Denn deutsche Parlamente werden nach dem Verhältniswahlrecht zusammengesetzt. Die Zahl der Abgeordneten hängt dabei von den erreichten Parteistimmen (Zweitstimmen) ab. In Frankreich gilt das Mehrheitswahlrecht. Im Parlament sitzen ausschließlich direkt gewählte Abgeordnete. Die Zahl der erreichten Sitze kann daher größer oder kleiner sein als der Stimmenanteil der Partei.

Genau aus diesem Grund hat sich das Nouveau Front Populaire überhaupt erst gegründet. Wären die Linken weiterhin als Splitterpartei aufgetreten, wären einige Wahlkreise an das Macron-Bündnis gefallen. Vor allem aber wäre dem Rassemblement National der Durchmarsch geglückt. Die neue linke Einheit in Frankreich ist also nicht mehr als ein Zweckbündnis, das die Rechten verhindern soll – jetzt aber vermutlich in eine viel stärkere Rolle geraten wird als die Macron-Partei.

Für die linken Parteien in Deutschland gibt es keinen Anlass für ein solches Zweckbündnis. Entsprechend zerfleddert sich gerade die linke Landschaft. Mit der Europawahl ist Volt ein wenig stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit geraten. Die Partei holte immerhin 2,6 Prozent der Stimmen, was ihr drei Sitze im Europaparlament einbrachte. Volt ist grüner als die Grünen. In deren Kernthemen wie Klimaschutz oder Identitätspolitik vertritt die international auftretende Partei eine reine Lehre, wie sie die Grünen als Regierungspartei nicht mehr vertreten können.

Gerade mal 0,1 Prozentpunkte mehr als Volt holte bei der Europawahl die Linke. Das reichte ebenfalls nur für drei Sitze. Damit findet sich die einstige Sammelbewegung Lafontaines auf Augenhöhe mit einer frisch aufstrebenden Splitterpartei. In Ostdeutschland hat die Partei zwar noch Substanz. Doch die löst sich gerade auf. So hat der Bürgermeister von Frankfurt Oder, René Wilke, jüngst angekündigt, die Linke verlassen zu wollen. Grund seien unüberbrückbare inhaltliche Differenzen. Unter dem Vorstandsduo Janine Wissler und Martin Schirdewan steht die Partei für einen abgehobenen Kurs, der auf ein radikales, studentisches Milieu abzielt. Mit der Führung einer Stadt ist dieser Kurs offensichtlich nicht mehr vereinbar.

Unter Wissler siechte die Linke vor sich hin. Ausgerechnet Lafontaines Frau Sahra Wagenknecht spielt nun den Beschleuniger. Das nach ihr benannte Bündnis erreichte bei der Europawahl auf Anhieb 6,2 Prozent der Stimmen und ist damit stärker als Volt und Linke zusammen. Doch auch in der noch jungen Partei gibt es die ersten Abspaltungsbewegungen. So trat im Saarland der Landeschef Randolf Jobst zurück.

Unter einem Mehrheitswahlrecht wie in Frankreich würde eine Zersplitterung der linken Landschaft in fünf nennenswerte Parteien dazu führen, dass keine linke Partei ausreichend Sitze im Parlament erreichen würde. Mit dem Verhältniswahlrecht ist das anders. Doch auch das kennt eine Grenze, die Fünf-Prozent-Hürde, die nur bei der Europawahl außer Kraft gesetzt wird. Hätte sie gegolten, wäre Volt nur ein Achtungserfolg gelungen und die Linke aus dem Parlament geflogen.

Für die anstehenden Landtagswahlen wie für die Bundestagswahl im Herbst 2025 gilt: Die linken Wähler müssen sich überlegen, wem sie ihre Stimme geben, damit diese sich tatsächlich auf die Mehrheitsbildung im Parlament auswirkt. Stand jetzt spricht das gegen Volt und die Linke. Die Nachnachfolge-Partei der SED könnte im Herbst erstmals aus ostdeutschen Landtagen fliegen. Sei es, weil manche Wähler SPD und Grünen den Rauswurf ersparen wollen. Sei es, weil andere Wähler das Bündnis Sahra Wagenknecht in Koalitionsverhandlungen stärken wollen. Oder sei es, weil sie schonmal Janine Wissler reden gehört haben, was der eigentlich beste Grund ist, die Linke nicht zu wählen.

Strukturell unterscheidet sich die Situation der Linken in Frankreich und Deutschland. An Loire und Seine müssen sich die Linken zu Zweckbündnissen zusammenschließen, um überleben zu können. An Main, Spree und Elbe spielt der Wähler im Wechselspiel mit der Fünf-Prozent-Hürde den Schiedsrichter, welche der vielen linken Parteien überlebt.

Inhaltlich ähnelt sich die Situation: Die vielen linken Parteien haben sich in beiden Ländern mit den Parteien der einstigen bürgerlichen Mitte zusammengetan, um rechte Parteien zu verhindern. Nur dass Deutschland da schon weiter ist. Nun kann man darüber streiten, ob man die FDP unter Christian Lindner und die Union nach Angela Merkel bürgerliche Parteien nennen soll, die mit Linken paktieren. Oder ob man sie gleich linke Parteien nennen will. Das ist eine Diskussion für Menschen mit sehr wenigen Freunden und sehr viel überflüssiger Tagesfreizeit. Im Ergebnis kommt es aufs gleiche raus.

Auf eine Politik, die in Frankreich in Deutschland auf zwei gemeinsame Interessen kommt. Zum einen klebt sich das vorhandene Personal damit an Macht und Ressorucen fest. Zum anderen verhindern sie damit eine Politik, die sie rechtsextrem nennen. Die aber für immer mehr Wähler trotz diese Stigmatisierung attraktiv wird. Denn einzeln betrachtet sind all diese Forderungen mehrheitsfähig:

Die Nouveau Front Populaire hat nach den Stichwahlen nächste Woche eine gute Chance, im neuen Parlament eine entscheidende Rolle zu spielen. Doch dann beginnen die Probleme erst. Im Wahlkampf ist es kein Problem, wenn sich zum Beispiel eine islamistische Linke mit einer queerpolitischen Partei zusammentut, um eine rechte Partei zu verhindern und sich selbst möglich viele Mandate zu sichern. Regiert man dann aber zusammen, muss man eine islamistische LBGTHCplusminusmaldurch Politik gestalten.

In diesem Punkt sind die deutschen Linken samt ehemaliger bürgerlicher Mitte schon weiter. Diese übergroße Koalition regiert in Deutschland nicht erst seit 2021, sondern mindestens seit 2015, aber eigentlich schon seit 2005. Probleme lösen und Aufgaben erfüllen kann diese Politik nicht: Das Scheitern in der Migrationspolitik, der Verlust der inneren Sicherheit, zerfallende Straßen und Schienen, eine nicht wehrtüchtige Armee oder Schulden trotz Rekordeinnahmen sind Ergebnisse dieses nicht arbeitsfähigen Bündnisses aus linken Phantasten und bürgerlichen Opportunisten.

Wie in Deutschland wird sich auch in Frankreich ein solches Bündnis nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Der heißt zum einen Sozialpolitik. Nach einem Wahlsieg der Nouveau Front Populaire werden auch in Frankreich viele Regenbogenfahnen gehisst werden und die Herkunft der Täter nur noch genannt werden, wenn sie einheimisch ist. Zum anderen besteht dieser kleinste gemeinsame Nenner aus Erhöhung der Sozialausgaben. Mehr Geld für die Armen? Das klingt immer gut. Wenn dann halt irgendwann wie in Deutschland Arbeitslosigkeit lukrativer als Arbeiten ist, dann bedeutet das einfach nur noch ein strukturelles Problem, das ein Bündnis aus linken und bürgerlicher Mitte nicht lösen kann.

Die Rechten mögen auf dem Weg zur Macht allmählich ungeduldig werden. Aber auf Dauer spielt ihnen das Bündnis aus linken und bürgerlichen Parteien in die Hände. Wenn deren Vertreter eine offensichtlich dysfunktionale Politik damit verteidigen, dass sonst ein schrecklich rääächtes Horrorszenario drohe. Diese Horrorszenario dann aber – trotz neun Milliarden Euro schwere Staatspropaganda – sich als Paket durchaus vernünftiger Forderungen erweist, dann verlieren die Horrorszenarien linker und einst bürgerlicher Parteien an Schrecken und gewinnen die Rechten früher oder später Wahlen.

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