Berlin und Thüringen sind heute mit einer Initiative im Bundesrat gescheitert, die bei Erfolg das Grundgefüge der Bundesrepublik verändert hätte. Das Ziel der Initiative war, den Bundesländern zu gestatten, selbst über die Aufnahme von Asylbewerbern aus dem Ausland zu entscheiden. Sie war von den Regierungen Berlins und Thüringens unter Federführung des Innensenators Andreas Geisel (früher SED, heute SPD) betrieben worden. Nicht zufällig sind das Bundesländer, in denen rot-dunkelrot-grüne Koalitionen regieren. Unterstützung dafür hatten viele Politiker der Linken und der Grünen und zuletzt auch der SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans geäußert.
Bei Erfolg hätten also einzelne Bundesländer ihre eigene Zuwanderungspolitik machen – und damit die der Bundesregierung unterlaufen – können. Ein ganz wesentliches Element der staatlichen Souveränität wäre de facto aufgehoben worden. Deutschland wäre auf einem der zentralen Politikfelder der Gegenwart de facto unregierbar geworden, weil jede restriktive Maßnahme auf Bundesebene sofort durch einzelne Länder hätte unterlaufen werden können. Wenn Bundesländer eigenständig bestimmten Zuwanderern einen Schutzstatus zuerkennen dürften, würden sie damit letztlich auch eine Art Neben-Außenpolitik betreiben können. Außenpolitik und Einwanderungspolitik sind grundsätzlich in jedem Bundesstaat in der Zuständigkeit der Zentralgewalt, da sie zu den Politikfeldern gehören, die die nationale Staatlichkeit ausmachen.
Absurd wird der Anspruch der betreffenden Länderregierungen, „Solidarität“ zu „leben“, de facto also Armutszuwanderer materiell zu versorgen, auch dadurch, dass die Länder spätestens seit 2015 nur noch dank milliardenschwerer Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt dazu in der Lage sind, Asylbewerber zu versorgen. Geisel sagt: „Es gibt in vielen Bundesländern und Kommunen die Bereitschaft, sich für Menschen in humanitären Notlagen einzusetzen, sich zu engagieren.“ Das ist eine Vernebelung der Wirklichkeit. Denn diese Bereitschaft, die Thüringen und Berlin so scheinbar großzügig und ohne Zustimmung des Bundes spenden wollen, ist nur zum Teil eine eigene Leistung, sie beruht im Wesentlichen auf Zahlungen aus dem Bundeshaushalt – und für den sind nicht allein die Thüringer und Berliner verantwortlich.
Geisel, Walter-Borjans und ihre Mitstreiter in Erfurt und Berlin haben bewusst oder fahrlässig eine Situation in Kauf genommen, die das Potential hätte, eine grundlegende Krise der deutschen Bundesstaatlichkeit herbei zu führen und die nationale Souveränität der Bundesrepublik infrage zu stellen. Gut also, dass die Initiative gescheitert ist. Dass zwei Landesregierungen und die Führung der SPD eine solche Initiative überhaupt ernsthaft verfolgten, bleibt zutiefst beunruhigend.