Tichys Einblick
Merkels langer Atem

Die Kanzlerin bittet um Spenden für Flutopfer – Finanzielle Priorität hat offensichtlich anderes

Der Kanzlerin sind die Flutopfer im eigenen Land nur ein paar Hundert Millionen Euro wert. Während aus dem Bundeshaushalt viele Milliarden für Hilfsprogramme außerhalb des eigenen Landes fließen. Aber die Bundeskanzlerin bittet um Spenden ...

Plakat in Schuld am 18. Juli 2021

IMAGO / Eibner

Die Bundeskanzlerin hat den Opfern der Flut Hilfe versprochen: 400 Millionen Euro, das Kabinett hat sie schon locker gemacht, wobei die Hälfte davon die betroffenen Bundesländer tragen sollen. Man werde alles daran setzen, „dass das Geld schnell zu den Menschen kommt“. Sie hoffe, dass es eine Sache von Tagen sei.

Es kommt sicher noch was dazu, zu dieser Soforthilfe. Dass der Wiederaufbau nicht in Millionen, sondern in Milliarden zu berechnen sein wird, dürften die Bilder der letzten Tage deutlich gemacht haben. Aber was die Zukunft angeht, waren die Zusagen Merkels eher verschwommen. Es sei klar, „dass wir hier einen sehr langen Atem brauchen werden“ und: „Wir werden Sie nicht nach kurzer Zeit wieder vergessen“.

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Wenn man die eine oder andere Ausgabe der Bundesregierung aus jüngster Vergangenheit betrachtet, wird jedenfalls deutlich, dass die Hilfe für in Not geratene Bürger im eigenen Land nicht gerade zu den obersten Hilfe-Prioritäten der späten Merkel-Bundesregierung gehört. 

Ein paar Beispiele: 

„Deutschland unterstützt den Ausbau grüner städtischer Mobilitätsinfrastruktur in Indien im Zeitraum 2019 bis 2023 mit insgesamt einer Milliarde Euro“, bestätigte ein Sprecher des Bundesentwicklungsministeriums der Deutschen Presse-Agentur. Die Mittel werden aber nicht etwa „verschenkt“, sondern als „rückzahlbares, zinsverbilligtes Darlehen über die KfW Entwicklungsbank bereitgestellt“.

Allein für das laufende Jahr versprach Außenminister Heiko Maas Afghanistan auch nach dem Abzug der deutschen Truppen 430 Millionen Euro, die „einen Rückfall in alte Zeiten unbedingt verhindern“ helfen sollen. Der jetzt beendete Bundeswehreinsatz hat übrigens nach Regierungsangaben in den vergangenen fast 20 Jahren 12,5 Milliarden Euro gekostet, wie tagesschau.de berichtet.

Bei der Syrien-Geberkonferenz im März dieses Jahres hat Deutschland 1,7 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Schon bis April 2018 hatte Deutschland seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 4,5 Milliarden Euro bereitgestellt, als es damals noch eine Milliarde drauflegte für die notleidenden Menschen in Syrien und für Kriegsflüchtlinge in den benachbarten Ländern.

Die Kosten für die nach Deutschland gekommenen Asyl-Zuwanderer aus Afghanistan, Syrien und zahlreichen anderen Ländern können nur geschätzt werden, da es dafür keine offiziellen Zusammenstellungen gibt. Nach Angaben der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) vom Dezember 2020 wurden allein im Jahr 2018 aus dem Bundeshaushalt rund 23 Milliarden Euro für „asylbedingte Kosten“ ausgegeben. Dazu kommen noch mehrere Milliarden aus den Landes- und Kommunalhaushalten. 

Immerhin hat Deutschland die Entwicklungshilfe für die neue Weltmacht China seit einigen Jahren eingestellt. 2018 flossen allerdings noch fünf Millionen Euro deutsches Steuerzahlergeld „für die Zusammenarbeit zu mehr Rechtsstaatlichkeit“, wie Entwicklungshilfeminister Gerd Müller selbst bekannte. Die Demonstranten in Hongkong und alle anderen politisch Verfolgten in China werden es bestimmt bemerkt haben.

Allein im Haushaltsjahr 2019 überwies Deutschland 14,3 Milliarden Euro mehr an die Brüsseler EU-Kassen, als von dort zurückflossen. Deutschland ist laut bpb absolut der größte Nettozahler und pro Kopf nach Dänemark die Nummer zwei.  

Auch beim EU-Wiederaufbaufonds (der die Schäden der Corona-Pandemie heilen soll) ist Deutschland mit voraussichtlich rund 65 Milliarden Euro der größte Nettozahler, wie der Bundesrechnungshof im März feststellte.

Gute Werke im Innern tut die Bundesregierung allerdings auch: Mit 1,1 Milliarden Euro bis 2024 finanziert sie einen 89 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog im „Kampf gegen rechts“. Die materielle Not derer, die in „Initiativen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie“ engagiert sind, inklusive Linksextremisten, dürfte jedenfalls langfristig finanziell gelindert sein.

Verständlich, dass dann nicht mehr genug in der Kasse ist für die Flutopfer. Schließlich hat Finanzminister Scholz schon im vergangenen Jahr rund 130 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, im laufenden 240 Milliarden und im kommenden voraussichtlich nochmal runde 100 Milliarden. Da müssen die Flutopfer eben bescheiden sein und ihre Mitbürger um freiwillige Unterstützung bitten. Dabei aber hat die Kanzlerin mit der ganzen Autorität ihres Amtes und ihrer Person geholfen: indem sie die Bürger zum Spenden aufrief. 

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