Tichys Einblick
Die gigantische Euro-Krise

Die „Jetzt-erst-recht- Euro-Krise“: Italien ist Griechenland in XXL

Erinnern wir uns bald gerne an die Griechenlandkrise und den Brexit? Das waren doch nette, kleine Krisen! Mit Italien geht es buchstäblich ans Eingemachte und an die Reserven der Bürger. Wenn es zu Neuwahlen kommt, dann erst recht.

Italy's Prime minister candidate Giuseppe Conte leaves after a meeting with Italy's President Sergio Mattarella on May 27, 2018 at the Quirinale presidential palace in Rome. Italy's prime ministerial candidate Giuseppe Conte gave up on Sunday his mandate to form a government after talks with the president over his cabinet collapsed.

© VINCENZO PINTO/AFP/Getty Images

Die Euro- und EU-Begeisterung deutscher Politiker steht in einem auffälligen Kontrast zur Realität: Statt sich zu beruhigen, verschärfen sich die Krisen. Auf die vorerst jüngste Griechenlandkrise im Frühsommer 2015 folgte der Brexit 2016; 2017 die zunehmenden Spannungen mit den osteuropäischen Staaten und der Distanzierung der nördlichen Länder von Brüssel – und jetzt also Italien, auch dieses Mal geht es wieder um das liebe Geld. Und diesmal richtig.

Das liebe Geld und der Euro

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat die künftige italienische Regierung davor gewarnt, eine neue Euro-Krise auszulösen. „Der Rettungsmechanismus ESM könnte eine so große Volkswirtschaft wie Italien kaum stabilisieren. Daher hoffe ich sehr, dass die Regierungsparteien eine große Lernkurve machen“, sagte er der Funke Mediengruppe. Hintergrund ist die Sorge vor Mehrausgaben der   beabsichtigten Regierung aus den populistischen Parteien Lega und Fünf Sterne – trotz der hohen Verschuldung des Landes. Nun wurde die Regierungsbildung  wegen des Euro-kritischen Kandidaten für das Amt des Wirtschafts- und Finanzministers vom Staatspräsidenten abgelehnt. Doch damit ist die Krise nicht vorbei – bei Neuwahlen dürften die Euro-Kritiker noch mehr Stimmen gewinnen: Jetzt erst recht. Schließlich ärgert die Italiener, dass auf Druck von Berlin und Brüssel die Regierungsbildung vom Staatspräsidenten unterlaufen wurde.

Wendemarke
Die normative Kraft des Faktischen: Zur Lage in Italien
Oettinger war erstaunlich deutlich: Wenn Italien seine Schulden nicht mehr bedienen will und für die Frühverrentung neue Schulden machen will, dann kann es zum Absturz kommen. Kein internationales Kapital ist bereit, die Löcher im Stiefel zu füllen und EU-Europa hat für die Rettung zu wenig Geld im Sack. Denn Italien hat über 130% Schulden in Relation zum Sozialprodukt. Das ist mehr, als Griechenland im Jahr zwei nach Beginn der Krise dort hatte. Dazu kommen über 400 Mrd. Euro Target-2-Verbindlichkeiten. Wie sie abgetragen werden könnten, ist eine Frage auf die die einzige Antwort lautet: „gar nicht“.

In Italien wird das ernsthaft und offen diskutiert. Italienische Politiker handeln nicht – gerade ist die Regierungsbildung gescheitert. Es wird neue Versuche geben. Italienische Politiker mögen nicht regieren können – aber sie können rechnen. Und dieser Schuldenberg ist nicht zu bewältigen. Theoretisch müsste dann der 400 plus X Milliardenverlust der EZB von allen verbleibenden Mitgliedern zu tragen sein, also 26% von Deutschland, der Rest von Frankreich, Spanien, Holland, usw. Ob nun auf dem Umweg über die EZB, den ESM und wie die seltsamen Mechanismen der EU heißen oder über direkte Transferleistungen, Deutschland wird so oder so für einen großen Teil der Schulden des Südens und vielleicht auch Frankreichs aufkommen müssen.

Lega-Chef wettert gegen Berlin

Nun wird Oettinger als Deutscher wahrgenommen, und in Italien sorgen Warnungen aus Deutschland an die Adresse der künftigen Regierung für Kritik. Lega-Chef Matteo Salvini wetterte: Deutsche Zeitungen und Politiker würden die Italiener als Bettler, Nichtstuer, Steuervermeider, Schnorrer und Undankbare beschimpfen, twitterte Salvini: „Und wir sollen einen Wirtschaftsminister auswählen, der ihnen passt? Nein, danke!“ Sorgen bereitet in Berlin unter anderem die mögliche Besetzung des Finanzministeriums mit dem Euro-Kritiker Paolo Savona. Denn der Mann hat einen Plan: Den langsamen Ausstieg aus dem Euro. Und der ist in der Welt, wird diskutiert, unabhängig ob Salvini nun Wirtschaftsminister wird oder nicht.

Wie vorher schon Griechenland wird auch Italien vom Euro erdrückt. Unter dem Druck dieser Währung sind große Teile seiner Wirtschaft zusammengebrochen. Der Euro ist eine Bleiweste. Mehr Kredite helfen nicht, die Folgen einer fehlerhaften Politik auszubügeln. Viel hilft viel, das gilt hier nicht – viel Geld vergrößert den Schaden für alle.

So funktioniert der Ausstieg aus dem Euro

Der Ausweg ist, dass Italien eine Parallelwährung aufbaut – kleingestückelte Staatsanleihen, sogenannte Mini-BOTs. Der Staat garantiert ihre Rückzahlung, sie wirken daher wie Geld. Unternehmen, die vom Staat für ihre Leistungen nicht bezahlt werden, könnten statt Euro solche Minibonds erhalten, auch Arbeitslose und Empfänger staatlicher Hilfe. Die Unternehmer wiederum könnten damit ihre Steuerschulden, bald auch Lieferanten oder Mitarbeiter bezahlen. Dabei gäbe es einen Abschlag – Minibonds mit einem Wert von 100 € werden für z.B. 80 € weiterverkauft. Aber lieber Mini-BOTS statt keine Euro, das wäre die Devise. Der Preisabschlag im Vergleich zum Euro wirkt wie eine Abwertung, die es im Euro-System nicht gibt. Produkte und Dienstleistungen in und aus Italien würden damit schrittweise verbilligt und damit wieder wettbewerbsfähig.

Und weil das so gut liefe, stiegen immer mehr Italiener darauf um. Eine neue Lira wäre geboren – der Euro bald eine Fremdwährung wie der Dollar oder Rubel. Es fehlt dann nur noch ein kleiner Schritt: An einem verlängerten Wochenende werden Geldautomaten mit den neuen Scheinen beladen und die Kassen der Banken aufgefüllt. Dann ist die Lira wieder da und der Euro weg. Das Euro-System wäre leise ausgehebelt oder umgangen. Der Trick ist nicht ganz neu:

Die Stunde der Wahrheit für den Euro?
Italien als Achillesferse der Eurozone
Der damalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis wollte so eine Fiskalwährung auflegen, um sich etwas finanziellen Spielraum zu verschaffen und damit den Spar-Auflagen der europäischen Troika zu entkommen.  Die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission hat eine solche Parallelwährung mit allen Mitteln verhindert. Vor allem deshalb hat Regierungschef Alexis Tsipras seinen Finanzminister entlassen. Ultimativ hatte die Troika darauf bestanden, weil sie sonst den Geldhahn für Griechenland zugedreht hätte. Tsipras entschied sich dann, besser weiter mit der Troika zu taktieren, als an Varoufakis festzuhalten.

Die Italiener sind clever – und größer. Sie haben das Banksystem erfunden, die „Banca“, den Wechsel, die doppelte Buchführung. Warum nicht auch eine doppelte Währung, die immer größere Teile der Wirtschaft und des Geldkreislaufs erfaßt? Bald würden andere Länder wie Griechenland folgen. Das Ende des Euro wäre in Sicht, die EZB in Frankfurt entmachtet.

Die Krise erzwingt eben unkonventionelle Maßnahmen. Und sie werden immer unausweichlicher. Deutschland bliebe dann offiziell auf seinen Schulden in Euro sitzen. Die Folgen hat Markus Krall drastisch beschrieben:

„Dann kommt die Stunde des Notfallplans, den unser genialer früherer Finanzminister Schäuble mit Sicherheit schon seit Jahren in der Schublade hütete und seinem Nachfolger Scholz hinterlassen hat: Die Rekapitalisierung der insolventen Bundesbank durch eine Zwangsbeleihung aller deutschen Immobilien. Die neue Deutsche Mark wird eine Immobilienrentenmark sein, an deren Deckungsmasse die deutschen Immobilieneigentümer die nächsten 30 Jahre abzahlen werden.“

Kein Wunder, dass Berlin das vermeiden möchte. Also versucht man sich weiter vor der Verantwortung zu drücken; einen Plan hat man nicht. Es gibt auch keinen guten, nur schlechte Pläne, die das Versagen der vergangenen Regierungsperioden offenlegen würden.

Moody’s prüft Italien-Rating

Die Ratingagentur Moody’s prüft nach Bekanntgabe der Ausgaben- und Steuerkürzungspläne der nächsten italienischen Regierung eine mögliche Herabstufung der Bonität des Landes. Man sehe ein „beträchtliches Risiko“ einer deutlichen Verschlechterung der Finanzlage Italiens, teilte Moody’s mit. Derzeit wird das Land mit „Baa2“ bewertet. Damit bescheinigt die Agentur Italien eine befriedigende Bonität, das heißt eine angemessene Deckung von Zins und Tilgung, aber auch mangelnden Schutz gegen wirtschaftliche Veränderungen. Eine Neuwahl wird daran nichts ändern. Die Argumente gegen den Euro sind nicht mehr wegzudrücken.

Eigene Währung vorteilhafter

Dass eine eigene Währung vorteilhafter sein kann, erklären auch die Tschechen. Die Regierung in Prag stuft derzeit die eigene Währung vorteilhafter ein als einen Beitritt zur Eurozone. Das betonte der geschäftsführende Regierungschef Andrej Babis bei einer Diskussion mit seinem slowakischen Amtskollegen Peter Pellegrini.

Der EU ins Stammbuch
Yanis Varoufakis: „Was immer die Deutschen sagen, sie werden zahlen“
Die Euro-Einführung habe für ihn deshalb keine Priorität, sagte Babis laut Nachrichtenagentur CTK. Er glaube, dass es vorteilhaft für die Wirtschaft sei, dass die tschechische Nationalbank im Falle eines Problems die Möglichkeit zur Intervention hätte, so Babis. Auch die Schweden haben sich bislang geweigert, den Euro zu übernehmen, obwohl das Land theoretisch die Voraussetzungen erfüllen würde.

Das Hemd ist eben manchen Ländern näher als der Rock der Bundeskanzlerin. In Deutschland wird das nicht gern gesehen. EU und Euro sind eine Art nationale Pflichterfüllung. Aber andere Länder lassen sich das immer weniger gefallen. „Es gibt in der EU immer die moralisch Überlegenen, die glauben, andere erziehen zu müssen,“ sagte am Wochenende der Österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Vor uns liegen also spannende Wochen: Berlin wird auf die Regierungsbildung in Rom versuchen Einfluß zu nehmen, um die Illusion eines funktionsfähigen Euros aufrecht zu erhalten. Vorübergehend scheint die Koalition der Euro-Gegner gestoppt.  Vorübergehend. Das ist jedenfalls die Hoffnung Berlins: Dass die Verantwortung irgendwie in die Zukunft verschoben werden kann. In Rom wie in Berlin.

Aber das wird nicht gelingen. Die Krise schläft, aber sie ist nicht weg. Italien ist einfach ein Griechenland in XXL.

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