Rund tausend anerkannte Asylbewerber und subsidiär Geschützte strömen jeden Monat aus Griechenland in dieses Land – und in das deutsche Asylsystem. Nachdem sie bereits einen griechischen Aufenthaltstitel bekommen haben, versuchen die Migranten ihr Glück so ein zweites Mal. Das berichtet die heutige Welt am Sonntag. Die Einreisen finden häufig auf direktem Luftweg statt oder aber über Warschau und von dort aus über die deutsch-polnische Grenze. Die deutschen Grenzpolizisten sind machtlos dagegen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) hat die seit letztem Jahr eingegangenen Zweitanträge nun »rückpriorisiert«. Zu deutsch heißt das: »Entscheidungsstopp«. Man wartet auf das Handeln der Politik. Damit verstauben rund 9.200 Anträge in den Regalen, während das Leben der Eingereisten ohne Zweifel weitergeht – mit Sicherheit mit Unterstützung vom deutschen Staat. Insgesamt sind diese Nachrichten leider überhaupt nicht überraschend. Warum waren sie erwartbar?
Heraus kommen bei diesem Prozess »anerkannte Flüchtlinge« – ein Status, von dem viele Migranten zu träumen scheinen. Doch büßen sie damit zugleich ihren festen Platz im griechischen Sozialwesen ein, welches auch für die Einheimischen nicht viel bietet. Die Familie ist hier immer noch die eigentliche Arbeitslosen-, zum Teil auch Rentenversicherung. Für viele der Migranten, die kaum Qualifikationen für die europäischen Arbeitsmärkte mitbringen, folgt daraus mit fast zwingender Logik die Weiterwanderung in ein Land mit ausgebautem Sozialsystem.
Bundespolizei: »Erheblicher neuer Pull-Faktor entstanden«
Nun kommt der zweite Punkt ins Spiel, der nicht weniger gewichtig ist: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit seinem jüngst ergangenen Urteil den Eindruck erzeugt, dass auch anerkannten Asylbewerbern und subsidiär Geschützten eine Existenz in Griechenland nicht zugemutet werden kann. Das Leben in dem südosteuropäischen Land wäre einfach zu hart für die Migranten, so entnimmt man der Urteilsbegründung: Wohnungen und Jobs seien weitgehend unerlangbar. Das OVG Münster breitete also seine Arme weit aus … Wie die Bundespolizei nun der Welt am Sonntag sagte, ist durch diese Gerichtsentscheidung »ein erheblicher neuer Pull-Faktor entstanden«. Denn natürlich verbreiten sich solche Nachrichten wie ein Lauffeuer in den transnational gut vernetzten Migranten-Communities. Ein Gerichtsurteil macht so Politik und schafft Fakten.
Doch auch die Handlungen der Bundesregierung bzw. der deutschen Länder sind ziemlich erratisch. Einerseits fliegt man Woche um Woche hunderte von Familien und (angeblich) verletzlichen Jugendlichen nach Hannover-Langenhagen ein. Zum anderen stellt man Polizisten an die griechischen Flughäfen, die die Einreise von Migranten ohne Asylbescheid verhindern sollen. Tatsächlich geht es dabei laut WAZ um Asylbewerber, die mithilfe von Schleppern und gefälschten Pässen weiterreisen wollen. Einen solchen Passfälscherring, bestehend aus Algeriern, deckten die griechischen Behörden im vergangenen Dezember auf. Letztlich weiß aber jeder: Auch der Erwerb eines Schutz- oder Aufenthaltstitels ist – egal in welchem EU-Land – nur eine Frage der Zeit.
Kritikwürdige Anerkennungsraten – doch sind sie eine Ausnahme?
Fassen wir zusammen: Seit dem fatalen Jahr 2015 strandeten Zehn- und Hunderttausende Migranten an den Küsten der griechischen Inseln. 2015 und 2016 gab es gar kein Halten mehr, mit jährlich mehreren hunderttausend Migranten, von denen die allermeisten einfach weiterreisten, ins gelobte Land der Kanzlerinnen-Selfies. Danach fielen die jährlichen Zahlen auf rund 30.000 ankommende Migranten. 2019 dann eine Verdoppelung dieser Ziffer, die aufschrecken ließ. Die neugewählte konservative Regierung beschloss, eine Antwort auf den anschwellenden Ansturm zu geben.
Die griechischen Anerkennungsraten einschließlich der subsidiär Schutzberechtigten sind dabei hoch, und das mag man kritisieren. Man hat zwar eine prüfende Behörde aufgebaut, aber den Sachbearbeitern sind (wie hierzulande auch) in vielen Fällen die Hände gebunden. Nicht zuletzt scheinen Dogmen und Vorurteile in den Asylprozess hineinzuregieren. Auch in Griechenland wird oft genug von »Migranten und Flüchtlingen« gesprochen, wo von einer »Flucht« im Wortsinne nicht die Rede sein kann, denn das Land ist von sicheren und kriegsfreien Nachbarstaaten umgeben. Trotzdem bekamen im letzten Jahr 77 Prozent der Syrer Flüchtlingsstatus. Bei den Irakis waren es 64 Prozent, die meist Asyl, zum Teil auch subsidiären Schutz erhielten, ähnlich sieht es bei den Afghanen aus. Die weniger zahlreichen Somalier und Palästinenser gelten gar zu 94 Prozent als schutzberechtigt.
Die FDP fordert ein europaweites Zwangssozialamt
Jetzt könnte man sagen: Ihr vergebt Aufenthaltstitel? Dann sorgt auch für die Titelträger. Das ist die bundesrepublikanische Logik, die natürlich sogleich aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion laut wurde. So sagte Alexander Throm (CDU), Obmann im Innenausschuss des Bundestages, der Welt am Sonntag: »Ich befürchte, dass im Verhalten der Griechen eine neue Strategie steckt: Flüchtlinge anerkennen, Mindestversorgung nicht gewährleisten und schnell weiterreisen lassen. Das muss unterbunden werden.« Aber welche Illusionen macht sich der Mann? Natürlich kann ein im Schengen-Raum aufgenommener Migrant weiterreisen, wohin er lustig ist. Wer sollte ihn denn aufhalten, die offenen Binnengrenzen?
Das ist nun wirklich der Gipfel des Absurden: Das kleine, oft eher sozialistisch tickende Griechenland hätte demnach eine Ausländerpolitik, die stärker libertären Grundprinzipien folgt als unsere FDP? Genauso ist es: Wer an Griechenlands Gestaden sein Glück gesucht hat, der soll es auch selbst machen. Eigenständige Wohnungs- und Arbeitssuche statt Stütze und Sozialbau. Man könnte auch diese Regelung auf die gesamte EU ausdehnen. Zumindest aber weiß man nun eines: Wer seine Stimme der FDP oder Union gibt, wählt ein europaweites Zwangssozialamt.