Tichys Einblick
Binnenflüge im Schengen-Raum

Die erwartbare Sekundärmigration aus Griechenland

Seit dem letzten Jahr haben Tausende aus Griechenland in Deutschland nochmals um Asyl gebeten. Doch ebenso erwartbar wie das Ereignis selbst ist die Reaktion aus Union und FDP: Griechenland soll sein Sozialsystem ausbauen und die Menschen selbst unterbringen. Man fordert den europäischen Super-Sozialstaat.

picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Rund tausend anerkannte Asylbewerber und subsidiär Geschützte strömen jeden Monat aus Griechenland in dieses Land – und in das deutsche Asylsystem. Nachdem sie bereits einen griechischen Aufenthaltstitel bekommen haben, versuchen die Migranten ihr Glück so ein zweites Mal. Das berichtet die heutige Welt am Sonntag. Die Einreisen finden häufig auf direktem Luftweg statt oder aber über Warschau und von dort aus über die deutsch-polnische Grenze. Die deutschen Grenzpolizisten sind machtlos dagegen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) hat die seit letztem Jahr eingegangenen Zweitanträge nun »rückpriorisiert«. Zu deutsch heißt das: »Entscheidungsstopp«. Man wartet auf das Handeln der Politik. Damit verstauben rund 9.200 Anträge in den Regalen, während das Leben der Eingereisten ohne Zweifel weitergeht – mit Sicherheit mit Unterstützung vom deutschen Staat. Insgesamt sind diese Nachrichten leider überhaupt nicht überraschend. Warum waren sie erwartbar?

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Erstens: Griechenland hat nach Jahren des Schlendrians, der von der Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras hinterlassen wurde, ein Asylsystem aufgebaut, das den Namen verdient, also vor allem, Sachbearbeiter eingestellt und die Verfahren angeschoben. Das bedeutet allerdings auch, dass immer mehr Migranten als asylberechtigt oder subsidiär schutzberechtigt anerkannt werden. Nur so können im übrigen die Aufnahmezentren auf den Inseln und anderswo entlastet werden, was die Athener Regierung aus innenpolitischen Gründen dringend für erforderlich halten muss.

Heraus kommen bei diesem Prozess »anerkannte Flüchtlinge« – ein Status, von dem viele Migranten zu träumen scheinen. Doch büßen sie damit zugleich ihren festen Platz im griechischen Sozialwesen ein, welches auch für die Einheimischen nicht viel bietet. Die Familie ist hier immer noch die eigentliche Arbeitslosen-, zum Teil auch Rentenversicherung. Für viele der Migranten, die kaum Qualifikationen für die europäischen Arbeitsmärkte mitbringen, folgt daraus mit fast zwingender Logik die Weiterwanderung in ein Land mit ausgebautem Sozialsystem.

Bundespolizei: »Erheblicher neuer Pull-Faktor entstanden«

Nun kommt der zweite Punkt ins Spiel, der nicht weniger gewichtig ist: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit seinem jüngst ergangenen Urteil den Eindruck erzeugt, dass auch anerkannten Asylbewerbern und subsidiär Geschützten eine Existenz in Griechenland nicht zugemutet werden kann. Das Leben in dem südosteuropäischen Land wäre einfach zu hart für die Migranten, so entnimmt man der Urteilsbegründung: Wohnungen und Jobs seien weitgehend unerlangbar. Das OVG Münster breitete also seine Arme weit aus … Wie die Bundespolizei nun der Welt am Sonntag sagte, ist durch diese Gerichtsentscheidung »ein erheblicher neuer Pull-Faktor entstanden«. Denn natürlich verbreiten sich solche Nachrichten wie ein Lauffeuer in den transnational gut vernetzten Migranten-Communities. Ein Gerichtsurteil macht so Politik und schafft Fakten.

Doch auch die Handlungen der Bundesregierung bzw. der deutschen Länder sind ziemlich erratisch. Einerseits fliegt man Woche um Woche hunderte von Familien und (angeblich) verletzlichen Jugendlichen nach Hannover-Langenhagen ein. Zum anderen stellt man Polizisten an die griechischen Flughäfen, die die Einreise von Migranten ohne Asylbescheid verhindern sollen. Tatsächlich geht es dabei laut WAZ um Asylbewerber, die mithilfe von Schleppern und gefälschten Pässen weiterreisen wollen. Einen solchen Passfälscherring, bestehend aus Algeriern, deckten die griechischen Behörden im vergangenen Dezember auf. Letztlich weiß aber jeder: Auch der Erwerb eines Schutz- oder Aufenthaltstitels ist – egal in welchem EU-Land – nur eine Frage der Zeit.

Kritikwürdige Anerkennungsraten – doch sind sie eine Ausnahme?

Fassen wir zusammen: Seit dem fatalen Jahr 2015 strandeten Zehn- und Hunderttausende Migranten an den Küsten der griechischen Inseln. 2015 und 2016 gab es gar kein Halten mehr, mit jährlich mehreren hunderttausend Migranten, von denen die allermeisten einfach weiterreisten, ins gelobte Land der Kanzlerinnen-Selfies. Danach fielen die jährlichen Zahlen auf rund 30.000 ankommende Migranten. 2019 dann eine Verdoppelung dieser Ziffer, die aufschrecken ließ. Die neugewählte konservative Regierung beschloss, eine Antwort auf den anschwellenden Ansturm zu geben.

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Zur gleichen Zeit begann auch der Dampfkessel Ägäis mit seinen EU-Hotspots zu kochen. Zeitweise machten die Asylbewerber dort mehr als zwanzig Prozent der Eigenbevölkerung aus. Rund 40.000 Migranten lebten und hausten noch 2019 auf den Inseln. Anfang 2020 reichte es den Bürgern, sie gingen auf die Straße. Die konsequente Schließung der Grenzen ließ den Nachschub weitgehend versiegen. Zugleich beschleunigte man die Asylverfahren. Zehntausende wurden aufs Festland gebracht. Doch auch dort würde es sie kaum länger halten. Denn das Land hat keinen großen Bedarf an diesen Kräften.

Die griechischen Anerkennungsraten einschließlich der subsidiär Schutzberechtigten sind dabei hoch, und das mag man kritisieren. Man hat zwar eine prüfende Behörde aufgebaut, aber den Sachbearbeitern sind (wie hierzulande auch) in vielen Fällen die Hände gebunden. Nicht zuletzt scheinen Dogmen und Vorurteile in den Asylprozess hineinzuregieren. Auch in Griechenland wird oft genug von »Migranten und Flüchtlingen« gesprochen, wo von einer »Flucht« im Wortsinne nicht die Rede sein kann, denn das Land ist von sicheren und kriegsfreien Nachbarstaaten umgeben. Trotzdem bekamen im letzten Jahr 77 Prozent der Syrer Flüchtlingsstatus. Bei den Irakis waren es 64 Prozent, die meist Asyl, zum Teil auch subsidiären Schutz erhielten, ähnlich sieht es bei den Afghanen aus. Die weniger zahlreichen Somalier und Palästinenser gelten gar zu 94 Prozent als schutzberechtigt.

Die FDP fordert ein europaweites Zwangssozialamt

Jetzt könnte man sagen: Ihr vergebt Aufenthaltstitel? Dann sorgt auch für die Titelträger. Das ist die bundesrepublikanische Logik, die natürlich sogleich aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion laut wurde. So sagte Alexander Throm (CDU), Obmann im Innenausschuss des Bundestages, der Welt am Sonntag: »Ich befürchte, dass im Verhalten der Griechen eine neue Strategie steckt: Flüchtlinge anerkennen, Mindestversorgung nicht gewährleisten und schnell weiterreisen lassen. Das muss unterbunden werden.« Aber welche Illusionen macht sich der Mann? Natürlich kann ein im Schengen-Raum aufgenommener Migrant weiterreisen, wohin er lustig ist. Wer sollte ihn denn aufhalten, die offenen Binnengrenzen?

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Und wer könnte andererseits die griechische Regierung dazu zwingen, eigens für die Neuankömmlinge ein Sozialsystem aufzubauen, nach dem niemand im Lande sonst fragt? Doch Throm legt nach: Die Bundesregierung müsse »darauf bestehen, dass Griechenland angemessen für Flüchtlinge sorgt. Bis das erreicht ist, brauchen wir eine Aussetzung der visumsfreien Weiterreise von in Griechenland anerkannten Flüchtlingen innerhalb der EU«. Und auch Linda Teuteberg, abgesetzte FDP-Generalsekretärin und nun migrationspolitische Sprecherin ihrer Partei, fordert »eine angemessene Unterbringung der Flüchtlinge« durch den griechischen Staat. Die »Sekundärmigration« sei »die Achillesferse des gemeinsamen europäischen Asylsystems«.

Das ist nun wirklich der Gipfel des Absurden: Das kleine, oft eher sozialistisch tickende Griechenland hätte demnach eine Ausländerpolitik, die stärker libertären Grundprinzipien folgt als unsere FDP? Genauso ist es: Wer an Griechenlands Gestaden sein Glück gesucht hat, der soll es auch selbst machen. Eigenständige Wohnungs- und Arbeitssuche statt Stütze und Sozialbau. Man könnte auch diese Regelung auf die gesamte EU ausdehnen. Zumindest aber weiß man nun eines: Wer seine Stimme der FDP oder Union gibt, wählt ein europaweites Zwangssozialamt.

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