Bisher fiel das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit nicht als Herausgeber von Gesellschaftsdystopien wie „Farm der Tiere“, „1984“ , „Schöne, neue Welt“, „Fahrenheit 451“ oder „Wir“ auf, doch das Strategiepapier „Smart City Charta. Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“, das das Ministerium noch unter Ministerin Barbara Hendricks veröffentlichte, hat, zwar nicht von der erzählerischen und stilistischen Qualität her, aber von der Konsequenz der überwachten Gesellschaft alle Berechtigung, in dieser Liga mitzuspielen. Wo der Wunsch zur Digitalen Transformation auf dem Titel steht, findet sich der Wille zur Großen Transformation per ordre de mufti im Strategiepapier. Denn es geht um nichts Geringeres als um die vollständige Gestaltung, Kontrolle und Organisation unseres gesellschaftlichen und privaten Lebens. Im Vorwort von Staatssekretär Gunther Adler heißt es: „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet. So formuliert es die Smart City Charta gleich zu Beginn und beschreibt ein normatives Bild einer intelligenten, zukunftsorientierten Stadt.“ Da es um eine Charta geht, die die Charta unserer Zukunft sein soll, lohnt es sich, genauer hinzusehen.
So forderte bereits der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem Gutachten eine „starke Steuerung der gesellschaftlichen Stoff- und Energieströme“ Hierzu wäre die Erstellung eines Inventars aller wichtigen „Stoffströme“, und zwar „von der Entnahme aus der Umwelt über ihre Verarbeitung zu Produkten, ihre Nutzung, bis hin zur Freisetzung bzw. Entsorgung“ nötig, wie sie Big Data nach dem Vorgaben des Strategiepapieres liefern könnte. Im Gutachten des Sachverständigenrat für Umweltfragen hieß es schon: „Ein Inventar der Stoffströme trägt dazu bei, effektivere Maßnahmen zur Steuerung der Ströme zu entwickeln …“ Eine Behörde, die Maßnahmen zur Steuerung der Stoffströme, Kreisläufe entwickelt, besäße eine ungeheure Macht. Sie könnte und würde die Wirtschaft vollständig über die „effektiveren Maßnahmen zur Steuerung der Ströme“ regulieren.
Wahrscheinlich muss man sich diese schöne, neue Welt so vorstellen: Big Data ermittelt durch das Ausspionieren des Konsumverhaltens der Bürger, welche Güter – in kapitalistischer Terminologie noch Waren – im Kiez benötigt werden. Diese Güter werden mit Ausnahme derer natürlich, die bedenklich im Sinne der Klimaneutralität und der Diversität sind, die den Rechtsruck der Gesellschaft oder den allerorten lauernden Rassismus befördern, zu einem zentralen Güterverteilungszentrum transportiert. Schließlich besteht das Ziel der Smart City darin, eine „evidenzbasierte Politik und Demokratie zu stärken und Entfremdung, Populismus und Polarisierung durch neue Technologien entgegenzuwirken.“ Meinungen, die in der einen oder anderen Weise nicht der herrschenden rotgrünen Ideologie entsprechen, werden dann durch „neue Technologien“ einfach ausgeschaltet, Faktendarstellungen, die der Sonnewindundsternewunschwelt grüner Ideologen den Boden entziehen, ebenfalls. Polarisierung ist eine schlechte Angewohnheit, Meinungsstreit klimaschädlich und Fakten fake news, Wahrheit ist Lüge und Lüge ist Wahrheit.
Da die Zuteilung der Güter mittels Lastenfahrrädern erfolgt, dürften die Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung eher die wichtigen Zuteilungsaufgaben im Güterverteilungszentrum vornehmen, während die wöchentlich im Kiez ausgelosten Bürgerinnen und Bürger die weniger qualifizierten Arbeiten des Transportes übernehmen. Das hält sie körperlich gesund und stählt sie ideologisch. Schließlich geht es um den Erhalt „der natürlichen Lebensgrundlagen beispielsweise durch Klimaschutz und die Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs.“ Die russischen Kommunisten nannten die unbezahlte Arbeit für das Gemeinwohl „Subbotnik“. Die Studie stellt fest, dass dadurch das „alltägliche Lieferverkehrsaufkommen“ reduziert und so zur „Emissionsreduktion und Verbesserung der Lebensqualität in den Quartieren“ beigetragen wurde.
Einer der Fachleute, Harald Herrmann, Direktor und Professor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), vergisst deshalb auch nicht die ideologische Absicherung der Dystopie eines durch Big Data kontrollierten Lebens: „Auf einem begrenzten Planeten müssen wir aber zugleich mit unseren Ressourcen sparsam und effizient umgehen. Die Ansprüche der folgenden Generationen sind zu beachten und die ökologischen Systeme dürfen nicht überlastet werden. Gerade in diesen Tagen sollten wir auch nicht vergessen, dass wir den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken müssen.“ Wie Hermann „sparsam und effizient“ mit den Ressourcen in Afrika oder China oder Indien umgehen möchte, vergaß er freilich zu erwähnen. Denn Hermanns „begrenzter Planet“ und Tellerrand zugleich ist Deutschland. Um den Zusammenhalt muss sich der Professor hingegen nicht sorgen, denn Kreislaufwirtschaft als Planwirtschaft schafft Not und Not schafft Zusammenhalt.
Deutlich wird formuliert, dass die „Smart City Charta“ sich „an Akteure aus Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“ richtet, also an Funktionäre. Zivilgesellschaft bezeichnet eben nicht die Bürgergesellschaft, sondern im Gegenteil, sie stellt lediglich eine Weiterentwicklung der Idee des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci dar, das smart klingende Lable für die Gesamtheit und Vernetzung der Vielzahl der NGOs. Gramsci verstand nämlich unter der Zivilgesellschaft die Überwinderin der bürgerlichen Gesellschaft: „Eine Klasse, die sich selbst als geeignet setzt, die ganze Gesellschaft zu assimilieren, und die zugleich wirklich fähig ist, diesen Prozess hervorzubringen, führt diese Auffassung vom Staat und vom Recht zur Vollendung, bis sie schließlich das Ende des Staates und Rechts konzipiert, insofern sie überflüssig geworden sind, weil sie ihre Aufgabe erfüllt haben und von der Zivilgesellschaft aufgesogen worden sind.“ Der Übergang vom Recht der bürgerlichen Gesellschaft zum Urteil der Zivilgesellschaft erfolgt über die Moralisierung des Politischen.
Bemäntelt wird in Wahrheit ein eiskalte Pädagogik, denn die „bewusst gesteuerte“, also brutal und von oben durchgesetzte „digitale Transformation“ soll die „lokale Wertschöpfung, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Lebensstile unterstützen.“ Akzeptiert werden also nur noch „nachhaltige Lebensstile“. Das ist zutiefst kommunistisch, denn den Kommunismus kann man auch als Klassenkompromiss auf der Basis des Eintopfes verstehen. Eintopf sättigt zwar, doch wird derjenige, der ein Schnitzel wünscht, zum Staatsfeind. Wenn es in der schönen neuen Welt überhaupt noch zum Eintopf für alle reichen wird.
Was unter der Unterstützung von „nachhaltigen Lebensstilen“ zu verstehen ist, kann man am EEG studieren, an der eigenen Stromrechnung und am Gewinn der Betreiber von Windparks ablesen, der auf Subvention, oder besser Umverteilung beruht. Dass zum neuen nachhaltigen Lebensstil Strom auf Zuteilung, auf digitalen Strommarken vielleicht, gehört, hat die Abgeordneten der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, im Bundestag kürzlich verkündet: Energiesicherheit, Energieversorgung ist für sie „so von gestern“, denn das bewehte und besonnte EGG-Regime wird eine Zukunft schaffen, in dem Energieversorgung nicht mehr „nachfrageorientiert“, sondern „angebotsorientiert“ sein wird. Angebotsorientiert heißt im Klartext, wenn Strom angeboten werden kann, also verfügbar ist, weil Wind weht und Sonne scheint, wird er verteilt, wahrscheinlich nach Quoten oder Prioritäten.
Zielpunkt der Strategie „Smart City“ ist das „Erreichen konkreter Klimaziele, optimierte Mobilität und Verkehrsabläufe oder die regionale Innovations- und Wirtschaftsförderung“. Das Mustergesetz zur Wirtschaftsförderung heißt: EEG. Gefördert wird, was der Ideologie entspricht. Natürlich wünscht man sich „einen aktivierenden, integrativen und inklusiven Ansatz der Beteiligung“. Und damit bei der Bürgerbeteiligung nichts schief geht, kommt es auf die „zielgruppenspezifische Unterstützung durch z. B. Helferstrukturen, Paten- und Netzwerke“ an. Welche Netzwerke, welche NGOs, welche Helfer und vor allem welche „Paten“ – nomen est omen – hier zum Einsatz kommen, kann man sich leicht vorstellen.
Beruhigen könnte die Möglichkeit, dass sich Big Data auch zum guten Nutzen ließe, dass die Smart City das Leben einfacher und schöner machen könnte, weil die Kontrolle doch in den Händen demokratisch gewählter Politiker liegt. Doch auch daran ist im Strategiepapier gedacht wurden, denn Roope Mokka von Demos Helsinki entwarf in seiner Visionen eines hypervernetzten Planeten folgendes Bild. Unter dem Stichwort „Super resource-efficient society“ verspricht Mokka, dass kein Gebäude mehr leer steht, das hatte übrigens schon die DDR verwirklicht, weil es zu wenige Gebäude gab, und auch kein Auto fährt mehr leer. Wann wer womit fahren wird, entscheidet künftig Big Brother oder Big Data. „Künstliche Intelligenz ersetzt Wahl: Wir müssen uns nie entscheiden, einen bestimmten Bus oder Zug zu nehmen, sondern bekommen den schnellsten Weg von A nach B. Wir werden auch nie unsere Schlüssel, Geldbeutel oder Uhren vergessen.“ Denn darüber wacht unermüdlich Big Data Brother. Da zu den Grundlagen der Freiheit die freie Verfügung über das Eigentum gehört, wird das Eigentum in kommunistischer Weise gleich ganz abgeschafft: „Dank der Information über verfügbare geteilte Waren und Ressourcen macht es weniger Sinn, etwas zu besitzen: Vielleicht wird Privateigentum in der Tat ein Luxus. Daten könnten Geld als Währung ergänzen oder ersetzen.“ Bezahlt man künftig mit der Information über seine Blutgruppe oder seine Krankheiten?
Ein sozialdemokratisch geführtes Ministerium ließ also ein Strategiepapier mit der Vision schreiben, die Demokratie abzuschaffen, weil die Demokratie durch ein Feedbacksystem ersetzt werden soll. Die Wahlen in der DDR stellten übrigens ein perfektes „Feedbacksystem“ dar.
Anmerkung: In einer älteren Version dieses Beitrages war fälschlicherweise Svenja Schulze als Auftraggeberin des Papiers genannt. Die „Smart City Charta“ wurde allerdings noch unter ihrer Vorgängerin Barbara Hendricks veröffentlicht.