Tichys Einblick
Verzerrungen im Intensivregister

Die DIVI-Zahlen über die ungeimpfte Mehrheit unter COVID-19-Fällen auf Intensivstationen

Bei der erstmaligen Erfassung des Impfstatus im Intensivregister bleiben Verzerrungen und Unklarheiten. An der eindeutigen Überzahl Ungeimpfter unter den intensivmedizinisch behandelten Covid-Infizierten ändert dies aber nichts.

IMAGO / Steinach

Nach Falschangaben zweier Landesregierungschefs über vermeintliche Anteile von Ungeimpften an Corona-Infektionen haben die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und das Robert-Koch-Institut gemeinsam lange erwartete Daten über den Impfstatus von Covid-Infizierten auf Intensivstationen veröffentlicht. Diese zeigen eine deutliche Überrepräsentanz von Covid-Ungeimpften auf den Stationen und sprechen damit für eine zwar deutliche, aber keineswegs verlässliche Schutzwirkung der Impfstoffe. Allerdings sind auch diese jetzt veröffentlichten Daten teilweise verwirrend bis verzerrend. 

Erst seit Mitte Dezember 2021 wird in dem sogenannten DIVI-Register, das täglich neu aufgenommene Intensivpatienten anonymisiert erfasst, nun zusätzlich der Impfstatus erfasst. In einer Pressemitteilung vom Donnerstag heißt es nun: „Zwischen dem 14. Dezember 2021 und dem 12. Januar 2022 lag der Impfstatus für 8.912 COVID-19-Aufnahmen vor, das entspricht etwa 90 Prozent der in diesem Zeitraum übermittelten Fälle (9.946). Fast zwei Drittel (62 Prozent, 5.521 Fälle) aller COVID-19-Neuaufnahmen mit bekanntem Impfstatus waren ungeimpft. Rund 9,6 Prozent (856 Fälle) wiesen einen unvollständigen Immunschutz auf (Genesen ohne Impfung bzw. Teil-Immunisierung). Über ein Viertel der COVID-19-ITS-Aufnahmen (28,4 Prozent, 2.535 Fälle) hatte einen vollständigen Impfschutz (Grundimmunisierung oder Booster), der Anteil mit Boosterimpfung lag dabei bei ca. 5,8 Prozent (520 Fälle).“

Zunächst fällt auf, dass die oben genannte Gesamtzahl von 8.912 COVID-19-Patienten, für die ein Impfstatus vorliegt, deutlich höher ist als die addierten Fälle der zwischen 14. Dezember und 12. Januar in Intensivstationen neu aufgenommenen COVID-19-Patienten. Das stellt die Pressemitteilung selbst fest: „Einige Kliniken haben in der ersten Meldewoche (14.12. – 21.12.2021) den Impfstatus aller zu diesem Zeitpunkt auf ihrer Intensivstation behandelten COVID-19-Patient*innen gemeldet.“ Also kam es zu mehreren Meldefehlern von Kliniken, die dann aber nicht nachträglich korrigiert wurden („Es wurde sich für eine transparente Darstellung aller übermittelten Informationen entschieden. Aus diesem Grund sind in der Meldung neben dem prozentualen Anteil ebenfalls die dahinterliegenden absoluten Zahlen genannt.“). Verzerrend sind die Zahlen aber vor allem auch, weil in ihnen nicht unterschieden wird, ob ein Patient tatsächlich wegen Corona auf der Intensivstation liegt oder nur zusätzlich zu seinem Behandlungsgrund eine Infektion festgestellt wurde. Bei Letzteren, könnte man meinen, ist die Frage ob geimpft oder nicht, eigentlich unerheblich. Die DIVI schrieb dem Journalisten Tim Röhn dazu allerdings, die Unterscheidung sei „nicht relevant“, denn: „Ein Patient, der z.B. mit einem schweren Schlaganfall behandelt werden muss, aber sich kurz vorher auch noch mit COVID infiziert hat und somit MIT Covid auf die ITS eingeliefert wird, wird durch die schwere der ersten Krankheit zu 80 % versterben und innerhalb der nächsten Tage einen schweren Verlauf von Covid ausbilden – das Immunsystem schafft es nicht, mit beiden Erkrankungen gleichzeitig fertig zu werden.“

Fragwürdig bis verzerrend sind auch die Kriterien, nach denen in der Statistik des DIVI der Impfstatus festgelegt wird. In den digitalen Meldeformularen der Kliniken sollen mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson Geimpfte (das sind in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen) ausdrücklich nicht als vollständig immunisiert an die DIVI gemeldet werden. „Der Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson wird mit der Einmalgabe explizit NICHT als vollständige Immunisierung gewertet“, steht dort. Der Impfstoff von Johnson & Johnson erschien für viele Menschen attraktiv, weil er vollständige Immunisierung mit nur einer statt wie die anderen Impfstoffe zwei  beziehungsweise drei Dosen versprach. 

Screenprint via Twitter / Tim Röhn

Angesichts der auch in der DIVI-Statistik nunmehr deutlich genannten hohen Zahl der trotz dreifacher Impfung auf Intensivstationen behandelten Corona-Patienten (immerhin 520 Patienten in vier Wochen) muss man die Verwendung der Kategorie „vollständige Immunisierung“ ohnehin grundsätzlich in Frage stellen, wenn man von der Definition von Immunität als „biologischen Zustand eines Organismus, in welchem ausreichende Abwehrmechanismen gegenüber krankmachenden Antigenen (z.B. Viren, Bakterien) bestehen“, ausgeht. Diese Abwehrmechanismen sind ganz offensichtlich auch bei einer beachtlichen Minderheit der dreifach Geimpften nicht vorhanden. 

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