Tichys Einblick
50 Jahre Mondlandung (2)

Die damals neue Marschrichtung in Amerika

»Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für die Menschheit!« Unvergessen diese Worte von Neil Armstrong, dem ersten Menschen, der den staubigen Boden des Mondes betrat. Am 21. Juli 1969 um genau 3.56 Uhr ( MEZ ) war das, also vor genau 50 Jahren. In einer mehrteiligen Serie berichten wir über das Jahrhundertereignis. Heute Teil 2: die neue Marschrichtung des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy.

NASA/Getty Images

Der erste Mensch, der ins All flog, war ein russischer Kosmonaut. Juri Gagarin startete am 12. April 1961 zu einem Rundflug um die Erde. Zwar nur in der relativ geringen Höhe von rund 300 Kilometern, die Internationale Raumstation ISS kreist in 400 Kilometern Höhe um die Erde. Doch ein Triumph für die Sowjetunion, ein weiterer für die USA.

Nur sechs Wochen nach Gagarins Flug kam dann die entscheidende Vorgabe für die Marschrichtung von US-Präsident John F. Kennedy: »Ich glaube, unsere Nation sollte sich das Ziel stecken, noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen zum Mond zu schicken und wieder heil zur Erde zurückzubringen! Kein einziges Projekt in diesem Zeitraum wird eindrucksvoller für die Menschheit oder wichtiger für die langfristige Exploration des Weltraumes sein, und keines wird so schwierig oder kostspielig zu erfüllen sein.«

Kennedy konnte die amerikanische Bevölkerung mitreißen und begeistern. Auch die Medien machten sich für das Projekt »Flug zum Mond« stark, der US-Kongress unterstützte den Präsidenten bei diesem gewaltigen Vorhaben. Wernher von Braun, der deutsche Raketenpionier, wurde Leiter dieses Programmes. Er hob die Bedeutung der Kennedyschen Entscheidung hervor: »Er machte, dass sich das Land wieder jung fühlte.«

Das amerikanische Raumfahrtzeitalter hatte begonnen, eine unvergleichliche Aufbruchsstimmung machte sich breit. Innerhalb kurzer Zeit stellte die gerade einmal zweieinhalb Jahre alte amerikanische Weltraumbehörde NASA 3.000 Wissenschaftler und Ingenieure ein. Technik faszinierte und begeisterte. Auch den jungen Jesco von Puttkamer, der zu einer Ikone der Weltraumfahrt aufstieg und später auch eine Arbeitsgruppe zur Erschließung des Alls leitete. Niemand hat mir überzeugender dargelegt, dass es das natürliche Bestreben des Menschen ist, auch zum Mars zu fliegen, ihn zu besiedeln und weiter in die Tiefen des Weltraums: „Der Mensch im Weltraum – eine Notwendigkeit“. Solche SPD-Apparatschicks wie die einstige SPD-Forschungsministerin Bulmahn (‚Der Mensch hat im Weltraum nichts verloren‘), die wesentlich mitgeholfen haben, die deutsche Bildungs- und Forschungslandschaft zu zerlegen, waren zu der Zeit noch nicht spruchreif.

Von Puttkamer jedenfalls hatte an der ehrwürdigen Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Maschinenbau studiert. Als ihn ein Telegramm Wernher von Brauns erreichte (»Gehen Sie nicht in die Industrie. Kommen Sie nach Huntsville. Wir fliegen zum Mond.« ), war es für ihn keine Frage, sofort über den großen Teich in die Neue Welt zu gehen, getrieben von einer Vision.

Im August 1962 landete er dort: »Die meisten Menschen heute würden es wahrscheinlich schwer finden, sich die bizarre Welt vorzustellen, in der ich mich damals vorfand.« Im Norden Alabamas gelegen, schwül-heiß, Baumwollfelder, Magnolienbäume und rote Lehmerde. Die »Space-People« zogen in eine alte Munitionsfabrik, 1962 war aus den Baracken »Rocket City« geworden, in der Wernher von Braun mit 117 Raketenexperten aus dem ehemaligen deutschen Raketenzentrum Peenemünde an der Spitze Kennedys Auftrag erfüllten. »Boom Town der Zukunftstechnik« beschrieb Jesco von Puttkamer die Szenerie und von Braun als »lokalen Held, als den Zauberer der neuen, faszinierenden Raketentechnik des Raumfahrtprogrammes«.

Zeitweise war übrigens auch der legendäre deutsche Raumfahrtpionier Hermann Oberth dabei. Er kam aus dem damaligen Hermannstadt in Siebenbürgen, genoss eine vorbildliche Bildung der k.u.k Monarchie. Jules Vernes „Reise zum Mond“ faszinierte ihn. In seinem Ort befand sich sogar schon ein Schwimmbad mit einem Zehn-Meter-Sprungturm. Von dem genoss er für 1,5 Sekunden den freien Fall und dann das starke Abbremsen mit einigen g-Beschleunigung. Und er fragte sich, ob Menschen die ungeheure Beschleunigung in einer aus einer Kanone geschossenen Kugel überleben könnten. Sein Ergebnis: Jules Vernes mit einem Geschoss beschleunigte Menschen würden die dabei auftretenden Beschleunigungskräfte nicht überleben.

Oberth entwickelte die mathematischen Grundlagen für Weltraumflüge mit Raketen; Grundlage aller Raumfahrt ist auch heute noch seine „Raketengrundgleichung“. Er dachte sich das Prinzip einer Rakete aus, die mit Alkohol und Sauerstoff angetrieben wurde. 1922 wurde seine Arbeit „Die Rakete zu den Planetenräumen“ an der Universität Heidelberg nicht als Doktorarbeit anerkannt – mangels Experten. Die gab es im rumänischen Klausenburg, wo die Dissertation anerkannt wurde.

Heute gilt dieses Buch als visionäres Meisterwerk. Oberth bringt hier den Nachweis, dass mehrstufige Raketen die Fluchtgeschwindigkeit von 11.200 m/sec oder die Zweite Kosmische Geschwindigkeit erreichen und aus der Umklammerung der Erdanziehungskraft in den Weltraum fliegen können. Menschen können diese Geschwindigkeiten überleben. Er skizzierte darin die prinzipiellen Grundzüge der Raumfahrt und war Vorbild für weitere Raketenpioniere wie Wernher von Braun oder Eugen Sänger. Oberth beriet übrigens den deutschen Regisseur Fritz Lang bei dessen legendärem Film „Frau im Mond“.

Das Wettrennen zwischen den amerikanischen und sowjetischen Raketenbauern nahm rasant an Fahrt auf. Das Saturn-Projekt erhielt das »DX-Rating«, die höchste nationale Prioritätsstufe für Werkstoffe, Personal und andere Ressourcen. Kennedy ordnete an, dass die Forscher rund um die Uhr arbeiten, um eine Trägerrakete und zwei Raumschiffe zu entwickeln. Die Saturn 5 soll die Astronauten in die Mondumlaufbahn bringen. Raumschiff Nummer eins – das Mutterschiff – bliebe im Mondorbit. Das zweite Raumschiff – die Landefähre – würde vom Mutterschiff abdocken und zwei Astronauten auf den Mond bringen.

Am 3. Juni 1965 unternimmt Edward White seinen Weltraumspaziergang. Doch er ist wieder nur der Zweite. Der Russe Leonov kam ihm im März zuvor. Trotzdem erleidet die Raketenforschung in der Sowjetunion ihren entscheidenden Rückschlag. Ihre Trägerraketen sind fehlerhaft; die gigantische Nositel 1 wird unter hohem politischen Druck aus Moskau zusammengebaut. Das 105 Meter hohe und 2.700 Tonnen schwere Ungetüm soll am 21. Februar 1969 in Tjuratam, dem heutigen Baikonur, starten. Dreißig Triebwerke haben die russischen Raketenbauer zusammengefügt. Zu viel, das komplexe Antriebssystem versagt, die Rakete wird in einer fürchterlichen Explosion zerstört.

Raketenentwicklung ist ein riskantes Abenteuer. Hochexplosive Treibstoffe müssen beherrscht werden. Auch in den USA gibt es Fehlschläge, es zerreisst Raketen. Zwei Jahre vor dem Flug zum Mond der schwärzeste Tag des Apollo Programmes. Am 27. Januar 1967 sterben bei einer Brandkatastrophe in der Apollo-1-Kommandokapsel in Cape Kennedy die Astronauten Virgil Grissom, Edward White und Roger Chaffee an der Spitze einer Saturn-IB.

Die »Space People« entwickeln auch besonders dünnwandige Gehäuse aus Aluminium, das spart kostbares Gewicht. Sie bringen Verfahren hervor, dünne und hitzeempfindliche Aluminiumbleche zu schweißen, ohne die man auch heute kein Aluminium verwenden könnte. Die ehemaligen Peenemünder Experten perfektionierten die Lagesteuerung, die sie vor dem Zweiten Weltkrieg im Versuchszentrum an der Ostsee entwickelt hatten. Auf Luftlagern schwebten Kreiselelemente des Trägheitsnavigationssystems und registrierten die Lageveränderungen der Rakete im Raum. Die müssen extrem genau arbeiten, um auch bei langen Flügen genau steuern zu können. Solche Gyroskope basierend auf deutscher Kreiseltechnik und amerikanischer Elektronik sind in jedem Flugzeug zu finden.

Ein Geheimnis des Erfolges der amerikanischen Raketenentwicklung: Technische Kompetenz war mehr als ein Schlagwort, es war ein Lebensstil, betonte von Puttkamer: »Von Braun bestand darauf. Sein Geschick, ein Team aufzustellen, zu führen und zu inspirieren, war legendär. Wie kein anderer verstand er es, sich mit einer Spitzenmannschaft zu umgeben, sich dabei stets voll bewusst, dass man zur Schaffung eines echten Teamgeistes alle Leute am Prozess beteiligen und mit einbeziehen muss. Er war ein Meister darin, jedem das Gefühl seiner eigenen Wichtigkeit zu vermitteln, und deshalb setzte jedermann alles daran, ein Bestes zu leisten.«

Das Ergebnis ihrer gründlichen Arbeit: Alle Starts und Flüge der gewaltigen Saturn-Raketen verliefen erfolgreich, keine einzige endete im Desaster. Die lokalen Zeitungen überschlugen sich übrigens mit Schlagzeilen über die Erfolge der »Space People« und berichteten in vielen Details über die Fortschritte.

Der unbemannte Erstflug des Saturn-Apollo-Systems, das aus über neun Millionen Einzelteilen bestand, funktionierte gleich beim ersten Mal perfekt, wie sich von Puttkamer erinnerte. Die über 100 Meter hohe Raketenkonstruktion überstand auch die heftigsten Schwingungen. Davor hatten die Entwickler um Wernher von Braun am meisten Angst: Dass sich die lange Raketenkonstruktion unter den gewaltigen Kräften der Triebwerke aufgrund von Schwingungsresonanzen zusammenzieht und wieder streckt. Folge solcher Schwingungen längs des Raketenkörpers konnten Druckschwankungen in den Treibstoffleitungen sein bis hin zum Ausfall der Triebwerke, wie das beim Apollo 6-Flug passierte.

Sie bauten deshalb einen gewaltigen Testturm, in dem die gesamte Saturn-Rakete mit der Apollo-Kapsel frei aufgehängt werden konnte. Die akustische Energie sehr starker Lautsprecher schüttelte die gesamte Konstruktion durch. So konnten die Ingenieure deren elastisches Verhalten testen.

Dann, nach einer Reihe von bemannten Apollo-Testflügen auch rund um den Mond der Flug zur ersten Landung auf unserem Nachbarplaneten.

Lesen Sie morgen: Start der größten Rakete der Welt.

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