Tichys Einblick
Richtungslos macht beliebig

Die CDU auf Linkskurs

Mit seinen Gedankenspielen für eine Zusammenarbeit der CDU mit der Linkspartei hat der Merkel-nahe Ministerpräsident Günther etwas ausgesprochen, was zur Kanzlerin passt: Nach Links ist die CDU weitgehend anschlussfähig.

Morris MacMatzen/AFP/Getty Images

Erinnern Sie sich noch an die „Rote-Socken-Kampagne“ der CDU in den Neunzigern? „Auf in die Zukunft … aber nicht auf roten Socken“, plakatierte CDU-Generalsekretär Hintze damals. – Er erntete hämische Kommentare aus dem roten Juste Milieu der deutschen Presse. Die Linksjournalisten hätten eine Öffnung zur damaligen PDS und Rot-Rot-Grün durchaus goutiert. Mehr als ein Schönheitsfehler war, dass die CDU sich durchaus viele einst regimetreue „rote Socken“ aus der CDU-Blockpartei einverleibt hatte. Aber es blieb beim eisernen Nein der Union zu Koalitionen mit den SED-Nachfolgern, die heute nach diversen Umbenennungen als „Die Linke“ firmieren.

Heute ist die Diskussion viel weiter. „Ohne Scheuklappen“ sollte die CDU eine mögliche Regierungszusammenarbeit mit „pragmatischen“ Leuten der Linkspartei im Osten prüfen, sagt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther. Anders als Die Linke sieht er die AfD „sehr skeptisch“.

„Fast 30 Jahre nach dem Mauerfall gibt es auch durch eine Reihe regionaler Kooperationen ein gutes Stück Normalisierung zwischen CDU und Linken“, meinte Günther in einem Interview, das am Samstag hohe Wellen schlug. Explizit nannte er Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben, der sich schon offen für Koalitionsgespräche mit der Linken gezeigt hatte.

Günther, 1973 in Kiel geboren, hat in der Union in den vergangenen zwei Jahren eine Blitzkarriere und sich dabei als Merkel-Verbündeter einen Namen gemacht, neben Armin Laschet und Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK). In der Asyl-Politik hat er sich klar hinter die Kanzlerin gestellt. Er führt die erste Jamaika-Koalition eines größeren Landes.

Günthers Interview in der „Rheinischen Post“ hat viel Staub aufgewirbelt. Eine Koalition der CDU mit der Linken? Das hat dann doch Empörung unter Unions-Anhängern ausgelöst. Fast einen Tag ließ er die Diskussion laufen, bis er sich zu einem wenig glaubwürdigen Dementi durchrang.

Die Angst des Establishments vor Konkurrenz
Auf, auf zum letzten Gefecht
Vorher hagelte es Kritik an dem als Merkel-nah bekannten MP aus dem hohen Norden. Als erste schoss die „WerteUnion“, ein Zusammenschluss konservativer Unions-Mitglieder, gegen Günthers Linkskurs: Wenn er Koalitionen mit „mit der Nachfolgepartei der SED nicht ausschließt, ist das ein Schlag ins Gesicht der Opfer des sozialistischen DDR-Regimes“, sagte der Vorsitzende der WerteUnion, Alexander Mitsch.

Später wetterten höherrangige Unions-Politiker gegen Günther, etwa der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU, jetzt Bundestagsvizepräsident: „Teile der CDU scheinen völlig die politische Orientierung zu verlieren“, twitterte er. Der Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs kündigte sogar seinen persönlichen „Scheidungsgrund“ mit seiner Partei an, wenn die CDU sich mit der Linken einließe. Hunderte weitere negative Reaktionen liefen ein.

Als die Diskussion aus dem Ruder zu laufen drohte, meldete sich die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer und twitterte, es werde keine Koalition weder mit der Linken noch mit der AfD geben. Später am Samstagnachmittag versuchte auch Günther den Shitstorm zu besänftigen und relativierte seine Aussage: Eine Koalition mit den Linken lehne er „strikt ab“, teilte er nun mit.

Wenig glaubwürdig ist das alles. Die CDU hat in den vergangenen Jahren schon so viele Kehrtwenden und Kurswechsel vollzogen, dass eine Zusammenarbeit mit den Linken auch nicht mehr ausgeschlossen erscheint.

Politische Hütchenspielerei in der Mark
CDU-Chef Ingo Senftleben wirft mit Nebelkerzen um sich
Früher eherne Grundsätze sind in der Merkel-CDU zu wachsweicher Verhandlungsmasse verkommen. Die Merkel-CDU übernimmt Forderungen der linken Konkurrenz und wechselt wie ein Chamäleon die Farbe. So lange hat „Mutti“ die CDU „modernisiert“ und nach links verschoben, dass sie inzwischen den Grünen näher steht als der FDP – von der AfD, in der sich viele enttäuschte CDU-Konservative gesammelt haben, ganz zu schweigen.

Daniel Günther, der 45-jährige Neu-Ministerpräsident im Norden, hat vermutlich nur Gedankenspiele ausgeplaudert, die im Adenauer-Haus ohnehin angestellt werden. Die Gedankenspiele werden vom Blick auf die Umfragen befeuert. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Stärke der AfD in den östlichen Bundesländern.

Beispiel Brandenburg: Dort stehen laut letzter Umfrage (April) SPD und CDU jeweils bei mageren 23 Prozent, dicht gefolgt von der AfD mit 22 Prozent. Als viertes dann die Linkspartei mit 17 Prozent, dann die Grünen bei 7 Prozent und die FDP bei 4 Prozent. Brandenburgs CDU-Chef Senftleben hat schon angekündigt, er würde mit der Linkspartei über eine Koalition sprechen. Mit der AfD wolle er zwar auch reden, aber nicht koalieren – dem stünde der Vorsitzende Andreas Kalbitz entgegen. Dieser hat in der Tat eine dubiose Vergangenheit ganz rechts außen. Er müsste sich erst noch als demokratische rechte Alternative beweisen.

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Erboste Reaktionen hat Günthers Interview in Sachsen ausgelöst. Ministerpräsident Michael Kretschmer twitterte gleich: „Ich bin es nicht (offen für Linke-Koalition). Die Positionen sind unvereinbar.“ Die sächsische CDU steht laut der jüngsten Umfrage (Juni) noch bei 32 Prozent. Die AfD ist besonders stark (24 Prozent), die SPD besonders schwach (9 Prozent), sie liegt weit hinter der Linken (19 Prozent). Das Allerletzte was Kretschmer nun brauchen kann, ist eine Debatte über einen CDU-Linksöffnung. Aber faktisch steht Kretmscher nächstes Jahr vor einer sehr unangenehmen Wahl: Gegen die starke AfD wird es schwierig, eine Regierungsmehrheit zu bilden. Nach der aktuellen Umfrage bräuchte die Sachsen-CDU zusätzlich zur SPD als Koalitionspartner noch Grüne und FDP, damit es reicht. Es wäre eine wackelige Vierer-Koalition.

Von der Unsicherheit der Union, die ihren inneren Kompass verloren hat, profitiert ganz klar die AfD, die in Umfragen hochfliegt, sowie in schwächerem Maß auch die FDP, die sich als gemäßigte bürgerliche Alternative anbietet.

Der Günther-Testballon für Koalitionen mit den Linken mag an diesem Wochenende erfolglos geplatzt sein. Doch er ist symptomatisch für die Desorientierung der CDU, die sich nun so weit nach links öffnet, dass sie eher mit einer „pragmatischen“ Linken regieren als für eine demokratische Rechte kämpfen würde.

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