In Berlin wurde Anfang des Jahres eine Wohnung für 1.071 Euro warm angeboten. Mieten konnte man dafür drei Zimmer zu insgesamt 74 Quadratmetern und das Gefühl sich gegen tausende Mitbewerber durchgesetzt zu haben. Mehr als 600 Bewerbungen wurden auf diese Wohnung alleine in der ersten Stunde eingereicht. Zur Besichtigung war die Schlange der Interessenten mehr als 100 Meter lang und schaffte es in die Lokalpresse.
Sicherlich, die Wohnung war in guter Lage im beliebten Stadtteil Charlottenburg – wer aber in der Hauptstadt schon eine Wohnung gesucht hat, weiß: Es war ein unschlagbares Angebot. Ähnliche Vermieter können schnell 1.000 Euro kalt für ein Objekt aufrufen. Schon 2017 sorgte ein ähnlicher Fall für aufsehen: Nobelviertel Prenzlauerberg, 80 Quadratmeter, knapp unter 1.000 Euro: 800 Bewerber kamen zur Besichtigung. Zahnärzte, Gynäkologen und Bundestagsabgeordnete seien gekommen, so die Vermieter zum Focus.
Das ist die Bundeshauptstadt und eine der kulturell wichtigsten Städte des Kontinents. Aber auch andere Großstädte und die Klein- und Mittelstädte haben diese Probleme. Ruft man auf dem Immobilienportal Immoscout24 Wohnungen mit den obigen Charakteristiken auf, kostet die Wohnung meistens gar mehr als in Berlin – und es gibt kaum mehr als 20 Angebote. In Frankfurt und Umgebung ist es ähnlich: Wiesbaden, Darmstadt, sogar Offenbach rufen Preise um 1.000 Euro für 75 Quadratmeter und zwei Zimmer in zentraler Lage auf.
Was kann man tun? Roland Tichy diskutiert das Problem am 9. September in Dresden auf der Bauen Kaufen Wohnen Messe. Zu Gast sind Experten aus Politik und Wirtschaft. Die Messe soll Themen zum Immobilienerwerb, Finanzierung, Bau und Renovierung der eigenen vier Wände abbilden. Ein besonderer Fokus sind die Themen Wohneigentum und Energie.
Die Bauwirtschaft ist in der Krise
Es muss gebaut werden, um der Wohnungsnot zu begegnen. Doch die Immobilienbranche steht vor dem Zusammenbruch. Anders lassen sich die Entwicklungen nicht mehr beschreiben. Das Statistische Bundesamt meldete in der vorherigen Woche, dass im ersten Halbjahr dieses Jahres 27 Prozent weniger Anträge auf Wohnungsbau gestellt wurden als im Vorjahr. Das sind 50.600 Wohnungen, die weniger genehmigt wurden. Das Ifo-Institut meldet, dass die Bauunternehmen vor leeren Büchern stehen. 40 Prozent der befragten Unternehmen beklagen einen Auftragsmangel, im Juni waren es noch 35 Prozent, vor einem Jahr 11 Prozent.
Die Baubranche sieht sich mit einer linker-Haken-rechter-Haken-Kombination konfrontiert. Nach Jahren, in denen Banken ihr Geld nicht schnell genug verleihen konnten, steigen die Zinsen nun scharf an. Das schlägt besonders auch auf den Bausektor durch. Der Leitzins der EZB beträgt jetzt 4,25 Prozent, Tendenz steigend, um die Inflation zu bekämpfen. Der Bauzins folgt dem Leitzins eng. Die Kosten für Baumaterial wie Holz und Stahl sind schon lange aufgrund der Nachfrage aus Nordamerika und China hoch, die Energiepreise sinken wieder – sind aber immer noch hoch. Das Ergebnis ist ein linker Haken aus hohen Preisen, dem ein rechter Haken staatlicher Überregulierung folgt. 10,5 Prozent der Wohnungsbaufirmen sind laut Ifo-Institut in Finanzierungsschwierigkeiten. 2022 waren es halb so viele.
Der rechte Haken ist die Überregulierung Deutschlands, die insbesondere auch in der Baubranche zuschlägt. Der Mindestlohn von mittlerweile 12 Euro spielt da rein, ist aber nicht alles. Ein üppiges Bürgergeld macht die Arbeit im kräftezehrenden Bau unattraktiv. Und zahllose Vorschriften darüber, wie zu bauen ist, verschärfen die Situation.
Regulierung wird vertagt – nicht abgeschafft
Ab 2025 gelten neue Effizienzstandards für den Bau. Effizienzstandards gibt es jetzt schon, die neuen Standards verlangen aber eine noch intensivere Dämmung von Neubauten und mehr Investitionen in Dämmmaterial. Nun will Bauministerin Klara Geywitz den Stichtag für diese neuen Regeln vertagen. Es ist eine Scheinhilfe für die Branche: Bauprojekte, besonders Großprojekte, wie sie nötig sind, um der Wohnungsnot zu begegnen, werden nicht auf Sicht geplant, sondern Jahre im voraus. Auch will sie durchsetzen, dass Neubauten schneller abgeschrieben werden können, und so für die Besitzer Steuern sparen. Aber: Das reduziert nicht die Kosten des Baus an sich. Es ändert nichts daran, dass es einen Mangel an Bauland gibt, oder das investitionsfeindliche Versuche, Wohnungsunternehmen zu enteignen, von der Politik in Städten wie Berlin aktiv gefördert werden.
Ein Vertagen der neuen Effizienzstandards ist auch Augenwischerei. Das EU-Parlament arbeitet die Details für ein Gesetz aus, das vorsieht, dass neu errichtete Wohnhäuser ab 2030 nur noch als Null-Emissionshäuser gebaut werden dürfen. Bis 2050 muss jedes Gebäude ein Null-Emissionshaus sein. Der Sektor als ganzes, also auch der Bauvorgang, soll CO2-frei werden. Das Parlament verhandelt nun mit den Mitgliedstaaten, wie das Gesetz in den Details aussieht. Bestehende Wohngebäude müssten danach bis 2030 zu einem Mindeststandard an Effizienz nachgerüstet werden. Solche Unsicherheiten verursachen nicht nur Kosten zur Durchführung: Sie verunsichern Investoren und Bauherren. Denn ein Haus ist eine Investition, die über ein Leben abbezahlt wird. Derartige Regulierungen mit kurzem Zeithorizont machen Planung gefährlich und treiben die Risiko-Kosten. Neue Wohnungen, Einfamilienhäuser oder Mietwohnungen entstehen dadurch aber nicht.