Tichys Einblick
Im Namen des »Klimanotstands«

Die autofreie Stadt als Symbol und Experiment

Immer mehr Städte planen autofreie Innenstädte. Dabei wird gerne auf eine internationale Tendenz verwiesen, die nicht einheitlich ist. In Berlin, München und anderswo wollen grün-rote Politiker drastische Konsequenzen aus dem angeblichen »Klimanotstand« ziehen, mit verkehrsberuhigten Zonen oder E-Auto-Zwang.

IMAGO/Reiner Zensen

Monika Herrmann ist Feuer und Flamme für Fahrräder, wie auch ihr Twitter-Konto seit neuestem zeigt: Hinter ihrem Namen sieht man derzeit ein Fahrrad und ein Flammensymbol. Das scheint militant, ist wohl auch so gemeint, daneben wirkt es irgendwie kindlich-trotzig. Denn die Grüne reagiert damit auch auf das neueste von ihr selbst hervorgerufene Skandälchen. Kurz davor hatte die Bild-Zeitung einen Tweet aufgegriffen, in dem Herrmann die Blockade neuer Fahrradwege durch parkende Autos mit den Worten angriff: »Markierung lässt an Deutlichkeit nichts missen«. Damit aber nicht genug, Monika Herrmann versah die Autos auch noch mit paarigen Flammensymbolen.

Das fand wiederum die Bild-Redaktion nicht lustig. In Berlin wurden allein in diesem Jahr schon 25 Autos durch Brandstiftung zerstört, laut Berliner Polizei fast immer aus politischen Gründen. Ob Herrmann an diesen Zusammenhang dachte? Jedenfalls ist er ihr herzlich egal – das zeigt sich an ihrem neuen Twitter-Signet, frei nach dem Motto: Flammenwerfer statt Verbrennungsmotoren. Aber tatsächlich ist Herrmann damit nur die grellste, unappetitlichste Vertreterin einer Bewegung, die dem motorisierten Individualverkehr den Kampf angesagt hat.

Erst vor kurzem sagte es die grüne Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, Bettina Jarasch, sehr deutlich: »Grundsätzlich wollen wir den motorisierten Individualverkehr beenden.« Jarasch hat sich für ihre Kampagne einen scheinbar gemäßigten, ausgleichenden oder auch schwankenden Kurs zugelegt, den sie aber durchaus mit radikalen Spitzen würzen kann.

Tatsächlich schränken immer mehr Stadtverwaltungen in Europa den Individualverkehr ein, allerdings mit sehr verschiedenen Konzepten. So braucht man in Madrid vom kommenden Jahr an eine Ökoplakette, um in der Innenstadt fahren zu können. Die Maßnahme soll danach im Jahrestakt auf weitere Zonen ausgeweitet werden. Das erinnert an die deutsche Plakettenverordnung von 2006, aber auch eine solche Maßnahme erzeugt schon eine gewisse wirtschaftliche Ungleichheit.

In Paris will die Sozialistin Anne Hidalgo ab 2022 den Durchgangsverkehr aus den vier zentralen Arrondissements und Teilen von Saint-Germain verbannen. Anwohner, Hotelgäste und Lieferanten sollen von der Regelung ausgenommen sein. Trotzdem sind auch Straßensperrungen, Fußgängerzonen und einiges an Begrünung angesagt. So sollen die Champs-Elysées (und weitere ikonische Plätze der Metropole) zu einem »außergewöhnlichen Garten« umgeformt werden. Außerordentlich ist mit 250 Millionen Euro auch der Preis der Angelegenheit (nur für die neuen Champs-Elysées). In Frankreich ticken auch die roten Rathäuser inzwischen grün, Hidalgo konnte sich ihre Wiederwahl nur dank den Grünen (EELV) sichern. Das Antlitz und die Funktionalität der europäischen Stadt könnten sich bald stärker wandeln, als wir heute ahnen.

Auch Hidalgo schwelgt in jenen Ideen eines »Chrono-Urbanisten« von der Pariser Universität Sorbonne namens Carlos Moreno, der behauptet, dass die Paradigmen des Ölzeitalters im Schwinden begriffen seien. Ob damit die Notwendigkeit automobiler Fahruntersätze zu Ende geht, ist aber eine ganz andere Frage, die eher etwas mit den Bedürfnissen der Menschen zu tun hat als mit den Mitteln (Füße, Auto, Fahrrad), die sie dafür einsetzen. Mit anderen Worten: Das Bedürfnis nach Mobilität, auch individueller, wird bleiben und sich irgendwie Raum verschaffen. Morenos Konzept einer »ville du quart d’heure« (Fünfzehn-Minuten-Stadt) ist teilweise längst Realität, andererseits eine Utopie, da selbst in einer Großstadt nicht alle Spezialgeschäfte so leicht erreichbar sein können. Für das Land und kleinere Städte dürfte Morenos These vom Ende des »omnipräsenten Autos« umso weniger stimmen.

Innenstädte als Freizeit- oder Wirtschaftsraum?

Was kommt noch?
Rot-Rot-Grün beschließt "mittelfristiges" Verbrennerverbot
Im rot-grün regierten München gibt es ein Konzept »Autofreie Altstadt«, dessen Umsetzung bis 2025 geplant ist. Derzeit soll die Einkaufsstraße Tal zwischen Marienplatz und Isartor zur »autofreien« Zone werden. Taxis und Sightseeing-Busse sollen allerdings bleiben, auch Patienten mit Handicap müssen weiterhin zum Arzt und Lieferanten ihre Kunden beliefern. Der Dialog mit den Bürgern klappt offenbar nicht immer, wie die Abendzeitung meldet. Opposition und ADAC laufen Sturm gegen diese Operation am lebenden Herzen der Stadt.

Die politische Fragestellung ist schon fast kurios, aber vielleicht von prophetischer Bedeutung für unser Wirtschaftsmodell: Ist der Mensch hauptsächlich ein durch die Innenstadt Spazierender und in ihr Feiernder oder einer, der auch möglichst ökonomisch ein Gewerbe betreiben will? Welchem Modell die Münchner Regierenden zuneigen, ist noch nicht ganz klar. Doch wenn man die »autoreduzierten« Zonen immer weiter ausdehnt, wird fraglich, ob die Münchner Einkaufsstraßen ihren Charakter noch lange bewahren können. Zudem dürfte sich der Verkehr in den verbleibenden Autostraßen massieren. Das Problem würde also nur verlagert, vielleicht verschlimmert. Was bleibt, wäre die Drangsalierung der Bürger.

Auch die immer noch laufenden Shutdown-Maßnahmen sprechen eigentlich gegen derartige Beschlüsse, wie der zweite verkehrspolitische Sprecher der AfD im Bundestag, der Münchner Wolfgang Wiehle, gegenüber TE meint. Gerade in der Corona-Zeit drohe so ein definitiver Funktionsverlust der Innenstädte, die schon durch Home Office und Online-Shopping gebeutelt sind. »Die Menschen müssen immer mehr Widerstände überwinden, um an ihr Ziel zu gelangen.« Die Maßnahmen können laut Wiehle auch soziale Folgen haben, denn die manchmal als Alternative vorgestellte E-Mobilität wird auf absehbare Zeit teurer sein als die herkömmlichen Verbrennungsmotoren.

City-Maut, Verbote und Bußgelder
Berliner Grüne: Das Auto muss weg
Eine Civey-Umfrage vom Oktober 2020 im Auftrag des Tagesspiegel ergab eine deutliche Mehrheit gegen autofreie Innenstädte in Deutschland. Nur 35 Prozent befürworten die Idee eindeutig oder tendenziell, dagegen lehnten 56 Prozent autofreie Stadtzentren mehr oder weniger eindeutig ab. 37 Prozent wollten »auf keinen Fall« auf ihr Auto verzichten. Trotzdem sind ähnliche Pläne quer durch alle Bundesländer in großen und kleineren Städten – etwa in Barmstedt, Bielefeld, Furtwangen, Görlitz und Oranienburg – im Gespräch. Das Gewerbesterben dürfte hier oft schon im Gang sein. Hofft man vielleicht auf neue Impulse durch touristischen Mehrwert?

Die Hallenser sahen das für ihre Stadt anders. Am letzten Sonntag stimmten 61 Prozent in einem Bürgerentscheid gegen die vom Stadtrat beschlossene autofreie Innenstadt. Ladeninhaber und Gastronomen waren gegen den Beschluss zu Felde gezogen, hatten vor Umsatzeinbußen gerade durch ausbleibende Besucher gewarnt. In der Folge kam es zu erstaunlichen Frontlinien: Im Zeit-Interview gibt ein CDU-Stadtrat den grünen Modernisierer, während sein Kollege von der Linkspartei zur Vorsicht rät: »Für eine lebendige Innenstadt brauchen wir auch Autos.« Derlei Gegenargumente gelten natürlich nicht, wo der grün-ökologische oder wie auch immer geartete Weltrettungswahn vorherrscht.

Berlin rief die »Klimanotlage« aus – und stritt erst mal weiter

In Land und Stadt Berlin ist schon seit längerem eine »Klimanotlage« ausgebrochen, wobei es sich eindeutig um eine menschengemachte Notlage handelt, die sich in den Köpfen einiger Zeitgenossen abspielt. Man ruft sie aus, damit man so handeln kann, wie man sonst auch hätte handeln wollen. Dass das so ist, kann der kundige Beobachter unter anderem daran erkennen, dass die öffentlichen Lautsprecher sich manchmal versprechen und statt »Klimawandel« aus Versehen »Corona« oder »Pandemie« sagen – die Schlussfolgerungen sind aber jeweils genau dieselben: Schneide deine Freiheiten zurück, lebe gesünder und schone das Klima. Das könnte daran liegen, dass die Grünen und andere wirklich an jene Verschwörungstheorie glauben, nach der Corona die Rache des Planeten sei.

Der eigentliche Beschluss des rot-rot-grünen Senats datiert vom 10. Dezember 2019. Aber die Berliner »Notlage« erforderte anscheinend kein schnelles Handeln. Die grüne Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther konnte sich im Folgejahr nur mit einer Maßnahme durchsetzen: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ließ sie in ganz Berlin Fahrradwege markieren, die wenig später für rechtswidrig erklärt wurden. Der Senat legte Beschwerde ein, ein Oberverwaltungsgericht beugte sich dem Protest von oben, die Radwege blieben. Zwei Millionen Euro hat der Senat in diesem Zuge für schätzungsweise 30 bis 50 Kilometer Pop-up-Radfahrstreifen bereitgestellt.

Fahrradmetropole
Grüne Pläne: Keine Autos mehr in Berlin
Günther, die erst seit kurzem in der Politik ist und davor für den WWF und die Berliner Energieagentur (im Landesbesitz) tätig war, kam bald unter das »friendly fire« der eigenen Koalitionäre, die ihr den »Stil einer Aktivistin« attestierten. Derzeit begrünt sie ehemalige Parkplätze in den östlichen Stadtteilen – natürlich ohne die Bürger vorher zu fragen.

Als sie Bilder von der neuen Karl-Marx-Allee postete, forderte die kritische Twittergruppe GreenWatch in satirischer Absicht die Wiederherstellung der SED-Paradestrecke am selben Ort. Florian Schmidt (grüner Baustadtrat im Kreuzhain) fand das Vorgehen dagegen nur konsequent: »Erst kommunalisiert, jetzt begrünt«.

Die Klimarettung gelingt offenbar nur zum Preis eines sich allmächtig gerierenden Staates. Heute will Günther unter der Überschrift »Neue Mobilität« private Autofahrten in Berlin möglichst unattraktiv machen. Weniger Autostraßen, höhere Parkgebühren und vielleicht eine City-Maut sollen es sein. Doch über die wird noch gestritten. Es ist Klein-Berlins Groß-Klima-Paket, mit Maßnahmen, die bis ins nächste Jahrzehnt reichen und zum Teil wenig praktikabel scheinen. Einst ist aber klar: Es wird weiter gestritten werden – wenn nicht im Senat, dann unter den Bürgern. Die Staus, auch in einst entspannten Lagen, dürften derweil zunehmen, während das Portemonnaie der kleinen Leute weiter geschröpft wird.

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