Tichys Einblick
Regierungskrise in Berlin

Die Ampel vor dem Ende: Macht Platz!

Die Zustimmungswerte für die Ampel sind nicht im Keller. Sie sind unterm Haus begraben. Eine Auferstehung kann es daher nicht geben. Das Letzte, was der Ampel bleibt, ist gleichzeitig das Dringlichste fürs Land: Die Ampel sollte Platz machen.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Mehr als einen Regierungswechsel. Eine Wende. Das versprach Helmut Kohl (CDU) den Westdeutschen mit seinem Amtsantritt 1982. Zwar war seine „geistig-moralische Wende“ eine dankbare Steilvorlage für Kabarettisten. Doch viel subtiler als „wir links schlau, andere rechts doof“ war deren Gagschema noch nie. Und letztlich behielt Kohl Recht. Die Bundesrepublik veränderte sich – zu ihrem Besseren. Ein depressives Land in Schockstarre wurde zu dem attraktiven Ziel, nach dem sich so viele Bürger der DDR 1989 so sehr sehnten, dass sie die von den Sozialisten errichtete Mauer stürmten.

Noch 1982 schrieben deutsche Autoren wie Franz Xaver Kroetz Stücke, in denen sie sich mit dem auseinandersetzten, was sie für die Arbeiter hielten. In der von Linken geschaffenen Welt lebten diese Arbeiter nur für ihre Arbeit, fürchteten die Arbeitslosigkeit mehr als den Tod und verfielen in hoffnungslose Apathie und Sinnlosigkeit, so wie diese eintraf. Fünf Jahre später gab es Vollbeschäftigung, eine Gründerwelle und jede Menge Vertrauen in die Zukunft. Auch existierte nun eine Popliteratur, die sich über verschrobene linke Zottelautoren wie Kroetz nur noch lustig machte.

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Die Musik wurde eine andere. Bis 1982 bestimmten ölige Schlagersänger wie Roy Black oder Rex Gildo die Szenerie. Sie lebten gleich mehrere Lebenslügen. Noch schlimmer: Althippies wie die Bots, die fast alle möglichen Weltuntergangs-Szenarien beschworen haben, außer dass uns der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Erst verspottete die Neue Deutsche Welle diesen ernsten Musikbetrieb, dann folgten selbstbewusste Sängerinnen wie Sandra, die auf internationalem Niveau ihren Männern ein Lied davon sangen, dass sie niemals deren Maria Magdalena sein würden. Selbst Rio Reiser wollte nicht mehr kaputt machen, was ihn kaputt machte, sondern der König von Deutschland sein oder seinem Junimond nachtrauern.

1982 war eines der depressivsten Jahre der bundesdeutschen Geschichte. Der Regierungswechsel in Bonn leitete die Wende in der Stimmung des Landes ein. Eine Wende, die Deutschland 2024 dringender denn je bräuchte. Samt einem dazugehörigen Regierungswechsel. Die Ampel hat Land und Wirtschaft nicht nur vor die Wand gefahren. Sie hat auch alles dazu beigetragen, dass die Stimmung so schlecht ist, wie sie ist. Dass Apathie herrscht, wo Unternehmergeist benötigt würde. Misstrauen, wo Vertrauen gefragt wäre. Vollversorgungsmentalität statt Eigenitiative.

Helmut Kohl war bei weitem nicht der einzige, der Aufbruch-Stimmung verbreitete. Konrad Adenauer tat dies nach dem Krieg aus den Trümmern heraus, Ludwig Erhard versprach und lieferte „Wohlstand für alle“, Willy Brandt wagte mehr Demokratie und Helmut Schmidt ging die Wirtschaftskrise der 70er Jahre entschlossen und sachkundig an. Gerd Schröder war der letzte, der versprach, nicht alles andere, aber vieles besser zu machen und der mit den Hartz-Gesetzen den Ruck durchs Land gingen ließ, den Bundespräsident Roman Herzog zuvor mit Recht eingefordert hatte. Sie waren Politiker, die noch wussten, dass Regieren mehr bedeutet als ausuferndes Mikromanagement in überbordenden Gesetzen.

Ein solcher Politiker findet sich in der Ampel nicht. Auch keine Politikerin. Annalena Baerbock, Nancy Faeser, Klara Geywitz, Lisa Paus, Bettina Stark-Watzinger, Svenja Schulze oder Steffi Lemke mögen zwar ein anderes Geschlecht als ihre Kollegen haben. Aber für einen anderen Politikstil stehen sie nicht. Den Angriff auf Schutzräume der Frauen, das „Selbstbestimmungsgesetz“, haben sie opportunistisch mitgetragen. Bestenfalls haben sie wie Baerbock den alten Rekord an Peinlichkeiten des Bundespräsidenten Heinrich Lübke gebrochen oder wie Faeser die Meinungsfreiheit wie kein anderer Politiker in der bundesdeutschen Geschichte angegriffen. Die Ampel hat versucht, sich selbst als „Fortschrittskoalition“ zu stilisieren. Doch sie war nichts anderes als die Fortsetzung der Merkel-Jahre mit anderem Personal – wobei ihr Chef Olaf Scholz nicht zufällig der Vizekanzler und somit zweite Mann der Merkel-Jahre war.

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Eine Bundesregierung ist zwar nicht dafür verantwortlich, dass im Land gute Stimmung herrscht. Aber sie kann daran schuld sein, wenn schlechte Stimmung dominiert – und die Ampel ist 2024 definitiv schuld daran. Etwa an der Vollversorgungsmentalität. Unter dieser Bundesregierung sind die Preise in einer gewaltigen Inflation davongelaufen. Zwar gab es Erhöhungen der Löhne und Renten, doch das Steuersystem fraß diese weg und sorgte so dafür, dass arbeitende und einst arbeitende Menschen weniger Wohlstand hatten. Das war für die Ampel okay. Aber Menschen, die nicht arbeiten und teilweise nie gearbeitet haben, wollte sie vor diesem Schicksal bewahren und erhöhte das Bürgergeld innerhalb eines Jahres um 25 Prozent – in der aberwitzigen Hoffnung, dass ausgerechnet mehr Geld fürs Nichts-Tun Menschen zum Mehr-Tun animieren sollte.

Unternehmergeist tötet kaum ein anderes Land auf der Welt so konsequent ab wie Deutschland. Wer nebenberuflich selbst getöpferte Vasen vertreiben und sich an das Gesetz halten will, wird gleich nach der Unternehmensgründung bombardiert: mit Zwangsmitgliedschaften, mit Zwangsbeiträgen, mit Berichtspflichten und mit Formularen. Jeder Deutsche besitzt mit der Geburt eine Steuernummer, hinter der sind all seine Daten beim Staat abgegeben – und trotzdem muss dieser Deutsche mit jedem Formular seine Stammdaten wieder und wieder ausfüllen. Eher mutet der deutsche Staat seinem Bürger zu, die selben Angaben 237-mal einreichen zu müssen als seinen Beamten auch nur einmal, eben diese Angaben über die Steuernummer abzurufen. Eigentlich sollte Deutschland unter Nancy Faeser seine Verwaltung digitalisieren, sodass solcher Datenverkehr künftig einfacher verlaufen kann. Doch Faeser hat diese Ziele meilenweit verpasst. Das sollte der Innenministerin nie wieder passieren. Deswegen beschloss sie, dass sich die Ampel in der Digitalisierung der Verwaltung keine Ziele mehr setzt. Wer eine solche Regierung hat, braucht sich über fehlenden Unternehmergeist im Volk nicht zu wundern.

Mit dieser Mentalität sorgt die Ampel – und sorgt der Staat bereits seit Merkel – dafür, dass es kein Vertrauen gibt. Wer hierzulande ein Unternehmen gründet, merkt schnell, dass sich der Staat über ihn nicht als über einen neuen Macher freut, sondern ihn als potenziellen Verbrecher unter Generalverdacht nimmt. Das beste Beispiel dafür ist das Lieferkettengesetz. Unternehmer müssen lückenlos nachweisen, dass ihr indischer Zulieferer keine Kinder zur Arbeit einsetzt, ausreichend Frauen in Führungspositionen bringt und den Müll nach schwäbischem Vorbild trennt. Wenn der Unternehmer das nachweisen kann, ist das immer noch kein Grund zur Freude – dann muss er dem Staat erklären, warum er offensichtlich nicht ausreichend geprüft hat. Irgendeine Schuld ist schließlich immer. Darin ähnelt der Merkel- und Ampel-Staat der mittelalterlichen Kirche. Wenn man die Bürger lange genug foltert, geben sie schon irgendwas zu.

Selbstvertrauen kommt von Vertrauen. Doch wo soll das herkommen, wenn die Innenministerin im Staatsfernsehen verkündet, dass sie die gesellschaftliche Mitte anschlussfähig für Rechtsextremismus hält. Wenn sie beschließt, dass es die Bringschuld der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sei, nach entsprechenden Vorwürfen vor Gericht zu beweisen, dass sie nicht der rechtsextremen Mitte angehören, wenn sie ihren Job und ihre Pension behalten wollen. Die den Inlands-Geheimdienst die Konten ihrer politischen Gegner untersuchen lässt, worauf die Daten dieser Gegner in den Berichten von staatlichen und staatsnahen Medien auftauchen – weil die rein zufällig zur gleichen Zeit das Gleiche recherchiert haben wollen. Keine Ahnung und kein Interesse, ob Faesers Regierungsstil nun besonders feministisch ist. Aber dass er jegliches Vertrauen in Deutschland zerstört, das ist sicher und entscheidend.

Die deutsche Wirtschaft muss künftig mehr als nur den Wohlstand seiner Betriebe und Beschäftigten erwirtschaften. Sie muss eine immer größer werdende Menge an älteren, vielleicht pflegebedürftigen Menschen mitfinanzieren. Sie muss die Lücken im Netz aus Straßen, Brücken, Schienen und Netzempfang schließen, die unter Merkel und Scholz aufgerissen sind. Sie muss die Verteidigungsbereitschaft wiederherstellen, die derzeit weder in der Armee noch im Internet gegeben ist. Für diese Aufgabe braucht es jede Menge Selbstvertrauen und damit auch Vertrauen. Doch ihr Misstrauen spricht die Ampel mit jeder verdammten Berichtspflicht aus, mit denen sie ihre Gesetze so vollstopft.

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Die deutsche Wirtschaft sind nicht nur die Unternehmer. Die Reichen. Die Starken. Die wir laut Politphilosophen wie Rolf Mützenich einfach nur – Abrakadabra – höher mit Steuern belasten müssen und – Simsalabim – sind all unsere Probleme gelöst. Die Wirtschaft sind alle die, die den Wohlstand mehren und erhalten: die Verkäuferin, der Maschinenführer, die Pflegerin, der Straßenreiniger, der Entwickler und die Handwerkerin.

Irgendwie gehört der Philosoph mit Schwerpunkt Genderwissenschaften auch dazu. Aber hat schon mal jemand den Satz gehört: „Lassen Sie mich durch, ich bin Philosoph mit Schwerpunkt Genderwissenschaften!“? Oder ruft jemand den Philosophen mit Schwerpunkt Genderwissenschaften, wenn das Klo verstopft, die Straße kaputt oder der Computer defekt ist? Oder wünscht sich jemand den Philosophen mit Schwerpunkt Genderwissenschaften als helfende Hand am Bett seiner Mutter, wenn die sich nicht mehr selber helfen kann? Wir haben zu wenige Pfleger, zu wenige IT-Experten, Straßenbauer, Klempner und Ärzte – dafür viel zu viele Philosophen mit Schwerpunkt Genderwissenschaften. Für sie hat die Politik über 200 Professuren geschaffen, während Arzt eigentlich nur noch werden kann, der in Kunst, Religion und Staatskunde eine Eins hatte, so hoch sind Bedarf und Nachfrage nach Studienplätzen in der Medizin – und so gering das staatliche Angebot.

Die Ampel will gerne ihre Politik damit rechtfertigen, dass sie genau das bringe, was „die Wissenschaft“ fordert. Nur wird „die Wissenschaft“ von Menschen repräsentiert, die immer genau das für richtig halten, was Grüne oder SPD sagen und machen: wie Alena Buyx, Marcel Fratzscher, Harald Lesch oder Mai Thi Nguyen-Kim. Wobei die Politik der Merkel- und Ampel-Jahre nicht nur in der Wissenschaft an jedem Verstand vorbei Personal gefördert hat. Kein Mensch kann sich daran erinnern, wann er zuletzt über Carolin Kebekus gelacht hat, aber daran, dass sie in Sachen Pandemieklimagegenrechtseinwanderungselbstimmung immer genau die grünen Töne nachflötet. Oder Herbert Grönemeyer, der vor 22 Jahren sein letztes gutes Lied geschrieben hat und seitdem nur noch der Regierung nachsingt.

Das ist dann auch ein Kulturbetrieb, der aus eigenen Kräften nicht leben kann, sondern von Subventionen, Rundfunkgebühren und Preisgeldern abhängig ist. Das Brot des Künstlers ist der Erfolg beim Publikum. Eigentlich. Doch der deutsche Kulturbetrieb ernährt sich fast ausschließlich von Staatsgeld – und frisst sich dabei einen Schmerbauch an. Genauso wie die staatlich finanzierten Nicht-Regierungs-Organisationen oder die Asyl-Industrie, die mit Aufnahmeeinrichtungen, Integrationskursen und Förderprogrammen sich ein Vermögen nach dem anderen verdient. Ob das nun Eigeninitiative oder Vollversorgungsmentalität ist, ist eine Frage für Philosophen. Ohne Schwerpunkt Genderwissenschaften. Doch für eine Gesellschaft können solche Wegkonsumierer des Wohlstands nicht gut sein. Schon gar nicht in der Menge, wie es sie in Deutschland gibt.

„The Economist“
Merkels Schatten: Eine Ära des Rückschritts für Deutschland
Das Land braucht Sängerinnen, die erfolgreich sind, weil sie über das richtige Leben singen. Nicht weil das Staatsfernsehen sie puscht, da sie die richtige Meinung vertreten zu Pandemieklimagegenrechtseinwanderungselbstimmung. Kabarettisten, die lustig sind – und mehr Erkenntnis bieten, außer dass sie rechts doof finden. Wissenschaftler, die um Thesen ringen und sich um deren Beweise bemühen, statt nur den Mächtigen auf Bestellung nach dem Mund zu sprechen.

Das alles mag nicht die Aufgabe der Ampel sein. Doch das alles wird nicht möglich sein, solange die Ampel noch da ist, die sich eben diesen Kultur- und Wissenschaftsbetrieb als Hofstaat angefüttert hat. Ja. Friedrich Merz ist nun wirklich kein Bote des Aufbruchs. Mit Angela Merkel und der CDU hat die ganze Misere überhaupt erst angefangen. Und mit Ursula von der Leyen in Brüssel ist eine der wichtigsten Verursacherinnen aktueller deutscher Probleme immer noch eine Christdemokratin. Nein. Demnach versprüht die CDU alles andere als den Geruch nach Aufbruch.

Doch der Tag beginnt um Mitternacht. Kohl ist auch nicht als Messias des Aufbruchs in Bonn eingezogen. Aber Messiase werden nach dem Hosana gerne mal gekreuzigt. Nachhaltiger sind die, die nicht für die Predigt der Wende gefeiert werden, sondern diese mit der Tat einleiten. Ob das Merz gelingen kann, weiß heute niemand. Dass es aber nicht gelingen kann, solange die Ampel noch da ist, ist überdeutlich. Deswegen bleibt ihr nur noch eins zu tun, wenn sie dem Land nutzen will: Sie sollte Platz machen.

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