Die Tagesschau kann es nicht verdauen: Javier Milei, der argentinische Frontmann des Libertarismus, soll ein „Kenner der ‚zentral auf Gewaltfreiheit ausgerichteten Denkschule‘ rund um (den Ökonomen Friedrich von) Hayek“ sein. Deshalb hat er auch die Hayek-Medaille der Hamburger Hayek-Gesellschaft erhalten. Das referiert das Online-Angebot der ARD. Anwesend waren auch die AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch und der Vorsitzemde der Werteunion Hans-Georg Maaßen. In seiner Dankesrede soll Milei auf provokante Töne weitgehend verzichtet haben. In Hamburg kam es zu einem Protest von rund 360 Personen.
Milei hatte vor seiner Wahl angekündigt, überflüssige Ministerien aufzulösen, und hat seit seinem Amtsantritt wirklich zahlreiche Büros und Sekretariate mit vielen Mitarbeitern ersatzlos gestrichen und aus 18 Ministerien zehn gemacht, die Zahl der Behörden von 106 auf 54 praktisch halbiert. 22.000 Staatsdiener verloren so angeblich ihren Job, dazu noch über 50.000 Angestellte aus der Bauwirtschaft, weil Milei viele Infrastrukturpläne eingestellt habe.
Der Argentinier habe außerdem „offen verkündet“, dass er „den Staat von innen zerstören“ wolle. Zudem ist Milei gegen den Klima-Wahn und gegen Abtreibungen. „Ist das denn alles gewaltlos?“, hört man eine Frage aus dem Subtext des Artikels nach vorne drängen. All das scheint irgendwie unfassbar aus Sicht des ARD-Autors.
Und dann gab es doch diese schlimmen Unruhen, inszeniert vor allem von mächtigen Gewerkschaften, als Milei seine Gesetzespakete durch Parlament und Senat bringen wollte. War dagegen nicht die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas vorgegangen? Allerdings warfen auch die Demonstranten mit Steinen und verletzten so zwei Beamte und einen Journalisten. Demonstrationen im (nicht globalen) Süden sind manchmal so eine Sache, wie man in Frankreich und anderswo sehen kann. Das war im März. Im Juni setzte die Polizei bei ähnlichen Protesten Tränengas und Gummigeschosse ein.
Ein paar Liberale mögen Milei – wo ist die Nachricht?
Zur gleichen Zeit sprach Milei als Ehrengast bei einer Konferenz libertärer Stiftungen in Buenos Aires, im Publikum auch ein Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung aus dem engsten Umfeld der deutschen FDP. Die FNS unterhält laut eigenen Angaben eine „Partnerschaft“ mit der organisierenden argentinischen Stiftung „Libertad y Progreso“. Aber dass Liberale einen Libertären vielleicht mehr schätzen könnten als den staatsgläubigen Rotfunk oder die dazu passende Grünpresse, ist eigentlich recht naheliegend. Wo ist also der Skandal, den die Tagesschau uns hier „exklusiv“ verkaufen will? Sogar Patricia Bullrich, die Vorsitzende der Propuesta Republicana (PRO) und Innenministerin unter Milei, führt gar ihren Weg in die liberal-konservative Partei auf die Naumann-Stiftung zurück.
Heute wurde Milei erstmals offiziell von Kanzler Scholz in Berlin empfangen. Allerdings wurde sein Besuch „nach intensiven Diskussionen innerhalb der Bundesregierung und aufgrund der wachsenden Kritik sowohl aus der deutschen Zivilgesellschaft als auch von politischen Gruppen“ gründlich zusammengestrichen, so die Frankfurter Rundschau. Heute wurde aus Berlin in die Medien nachgeschoben, Mileis Kurzbesuch ohne Pressekonferenz und sonst übliches militärisches Protokoll bei Scholz wäre sein eigener Wunsch gewesen. Das ist ein erneuter Offenbarungseid der Moralrepublik Deutschland, in der internationale Beziehungen unter der Parteilichkeit der Regierenden leiden. Das durfte zuletzt Robert Habeck – als angeblich Unschuldiger – in Peking erleben. Olaf Scholz wird Milei natürlich treffen, aber öffentliches Herzeigen der Beziehung scheint nicht mehr opportun. So schnell wird man in politischen Berlin zum Außenseiter.
Aber Milei ist nun einmal der demokratisch gewählte Präsident seines Landes. Im Innern setzt er sein Reformwerk fort. Gerade erst passierten zwei Gesetzentwürfe den Senat, der eine mit denkbar knapper Mehrheit von 37 zu 36 Stimmen, aber dennoch. Bisher wurden zudem alle Gesetze, die Milei einbrachte, in den beiden Parlamentskammern gründlich abgeschliffen. In einem der neuen Gesetze ging es um die Senkung der Neuverschuldung. Die Wiedereinführung einer Einkommenssteuer für Großverdiener, die auch im Gesetz stand, strichen die Senatoren aus dem Entwurf. Sie zeigten sich also staatsferner und libertärer als Milei selbst in seinem Gesetzentwurf.
Gewaltsamer Protest gegen Milei gilt als normal
Im zweiten Gesetzentwurf der Regierung geht es um Anreize für Investitionen, die Privatisierung mehrerer Staatsunternehmen und eine Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten in bestimmten Bereichen der Wirtschaftspolitik. Parallel zu den Senatssitzungen hatte es die besagten heftigen Proteste mit „Szenen des gewaltsamen Chaos“ (so Reuters) im Zentrum von Buenos Aires gegeben – immer mit dem Ziel, Mileis Politik zu hintertreiben und zu verhindern. Seltsamerweise kommen die gewaltbereiten Proteste der Milei-Gegner niemandem im Ausland verfassungsfeindlich vor. Wie anders war doch die Kommentierung, als Amerikaner oder Deutsche in die Nähe von Kapitol oder Reichstag kamen. Im Fall Argentiniens scheint der „Mob-Rule“ eine Denkmöglichkeit für die hiesige Presse zu sein – der gewaltsame Protest im südamerikanischen Buenos Aires erscheint ihnen anscheinend sogar pittoresk. Darin gleicht er den BLM-Protesten von 2020 aus den USA.
Nun müssen beide Vorhaben noch von der Abgeordnetenkammer verabschiedet werden. Dabei geht es um einen „reibungslosen Ausstieg aus der Krise“, der wahrscheinlicher würde, wenn die Gesetze schließlich beschlossen würden, so eine Wirtschaftsexpertin in der knapp Contenance wahrenden Financial Times.
Mileis Worte „no hay plata“ – „es gibt kein Geld“ – sind übrigens das genaue Gegenteil einer Aussage des damaligen griechischen Premiers Giorgos Papandreou („λεφτά υπάρχουν“ – „es gibt Geld“) kurz vor Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise. Mileis Version ist vielleicht kein schlechter Wegweiser aus Verschuldung und Inflation. Übrigens: Das Volk weiß meist darum, wenn die Staatsausgaben explodieren, es spielt nur eine Zeit lang mit, solange ihm gesagt wird, es sei alles zu seinem Besten.
Bis jetzt musste Milei, dessen Partei nur über eine Minderheit der Stimmen in beiden Kammern verfügt, viel mit Erlassen regieren, um öffentliche Ausgaben zurückzufahren und die Wirtschaft zu deregulieren. Seine Beliebtheit von immer noch mehr als 50 Prozent hilft ihm dabei. Daneben bleibt Milei nur die Möglichkeit, Beschlüsse, die seiner Agenda schaden, mit einem Veto zu belegen. Anstehende Entscheidungen Mileis betreffen die Zukunft des Pesos und der argentinischen Zentralbank. Anstatt diese „in die Luft zu jagen“, könnte Milei ein System der Währungskonkurrenz in Argentinien einführen, bei dem Peso und Dollar koexistieren.
Kanzler Scholz und die politischen Brigaden in seinem Rücken
Scholz macht sich dünn und schlank angesichts der linken Kritik an Milei, die teils sicher aus seiner Partei und Koalition kommt. Milei wurde medial schon vor seiner Wahl als „rechts“ markiert. Das trägt jetzt Früchte in der linken „Fortschrittskoalition“. Zum anderen ist es aber nicht das erste Mal, dass Scholz eine Pressekonferenz ausfallen lässt.
Das Nachrichtenportal Politico behauptet, es sei in diesem Fall der Wunsch der Argentinier gewesen. Welchen Grund hätte aber Milei für solch einen Schritt? Die Deutschlandreise gehört laut Experten zu einem der wichtigeren Besuche Mileis. Verständlich wäre allerdings, dass auch Milei sich nicht wohlfühlt auf dieser von Medien angerichteten Prangerstimmung. Es sind Scholzens Brigaden, die den libertären Politiker so gründlich dämonisiert haben, dass vielleicht gar kein Raum mehr für offene Worte in Berlin blieb.
Zum anderen ist die Frage, ob Kanzler Scholz – mit diesen Brigaden im Rücken – überhaupt eine verbindliche Gesprächsatmosphäre mit seinen Gästen herstellen kann. Vermutlich nicht. Und das ist der nächste Verlust durch die Berliner Moralchaos-Politik. Nicht nur verdirbt man sich selbst das Klima mit internationalen Partnern. Auch die Beziehungen und Besuche, die noch gelingen, werden vor der Öffentlichkeit versteckt und so der Überprüfung durch Bürger und Nicht-Regierungs-Presse entzogen. Es ist eine politische Verklemmtheit sondersgleichen. Der Staatsbesuch Mileis als Arbeitsbesuch. Aber was da gearbeitet wird, davon sollen Presse und Öffentlichkeit lieber nichts erfahren.