Eine "Brandmauer" gegen die stärkste Partei im Osten, eine Zersplitterung der Parteienlandschaft im Westen. Deutschland wird schwer zu regieren. Das ist eine Folge des Monopols, das sich SPD und Grüne gesichert haben.
Nicht nur EU-Europa hat am Sonntag gewählt. Es gab auch mehrere lokale Wahlen in Deutschland. Etwa in Brandenburg. Dort erreichte die AfD das mit Abstand beste Ergebnis. In fast allen Kreistagen ist sie an Havel und Oder nun die stärkste Partei. An ihr müssen CDU, SPD und Co nun vorbeiregieren, wenn sie die „Brandmauer“ aufrecht erhalten wollen.
In Mainz ist die grüne Welt noch in Ordnung. Dort bleibt sie Stand jetzt mit 25,3 Prozent die stärkste Partei. Das kann sich aber noch ändern, weil das rheinland-pfälzische Kommunalwahlrecht kompliziert ist und die gesamte Auszählung sich noch über die gesamte Woche hinziehen wird. Spannend ist schon jetzt der Einbruch der SPD. Die schaffte Stand jetzt 18,7 Prozent in einer Stadt, in der sie nach dem Krieg bis im vergangenen Jahr ununterbrochen den Oberbürgermeister gestellt hat.
Das Spannende an dem Ergebnis: Die Ampel hat ihre Mehrheit verloren. Die wurde einst in Mainz geprobt und dann in Rheinland-Pfalz eingeführt, wo sie dann dank des früheren FDP-Generalsekretärs Volker Wissing zum Modell für Deutschland wurde. Die Mainzer sind also weiter mit der Ampel als die Parteifreunde im Bund – und selbst in dem stark akademisch geprägten Mainz hat diese Konstellation keine Mehrheit mehr.
Ebenfalls spannend: Stand jetzt sind zehn unterschiedliche Parteien im Mainzer Stadtparlament vertreten. Im Stadtverband von Rainer Brüderle wird die FDP jetzt damit leben müssen, dass die Ampel um die Linken oder um Volt ergänzt wird. Eine Partei, die noch grüner als die Grünen ist. Schon jetzt ist die einstige FDP-Hochburg auf knapp über 5 Prozent geschrumpft. Mit noch mehr Gaga und Degrowth dürfte das kaum besser werden.
Wobei Mainz nur ein lokales Beispiel ist. Die Parteienlandschaft wird sich weiter zersplittern. Große Aufmerksamkeit galt in den vergangenen Monaten der Zersplitterung auf der rechten Seite. Doch nun zeigt sich: Die findet eigentlich links statt. Die Werteunion war zur EU-Wahl noch nicht angetreten, das Bündnis Deutschland fiel nicht auf. Anders als Volt und das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Volt vertritt in Sachen Migration, Identitätspolitik oder Klima- und Umweltschutz die reine Lehre. Etwas, das die Grünen in Regierungsverantwortung nicht mehr leisten können. Zum Beispiel, weil sich der Bau von Windrädern mit Artenschutz für Vögel nicht vereinbaren lässt. Das Bündnis Sahra Wagenknecht indes ist bisher als Alternative zur Alternative für Deutschland verkauft worden. Von der AfD kamen aber nur wenige Wähler der EU-Wahl zum BSW, dafür wanderten über eine Million Wähler der Linken und der SPD zu Wagenknecht. Das Bündnis ist also eine linke Partei.
Die „Brandmauer“ wird angesichts der Zersplitterung der linken Parteihälfte daher zum wichtigen Instrument der Machtbildung. Sie kann lockere Bündnisse zusammenhalten. Zumindest im Westen. Um „unsere Demokratie“ (und unsere Posten) zu verteidigen, können Parteien wie die FDP im Beispiel Mainz eine Koalition verteidigen, die um Volt oder Linke erweitert wird. Das heißt noch mehr linke Tralala-Projekte akzeptieren – noch mehr Steuergeld, das an anderer Stelle fehlt, an der es sinnvoll eingesetzt wäre.
Im Osten wird es einfacher mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Vor allem, weil die Linke sogar im Osten zu verschwinden droht. Das würde es der CDU leichter machen, Allparteienkoalitionen zu akzeptieren mit dem Bündnis, SPD und Grünen. Wegen der „Brandmauer“. Für „unsere Demokratie“ in der Rechtfertigung, für unsere Posten als wahres Motiv.
Das ist erst einmal eine praktische Lösung. Die hält vielleicht ein Jahr, bestenfalls fünf Jahre. Aber schon diese fünf Jahre sind wackelig. Denn diese Allparteienkoalition würden die Ursache verstärken, aus der heraus Deutschland schon jetzt schwer zu regieren ist: Die Machtarithmetik, die sich aus der „Brandmauer“ ergibt. Weil Koalitionen mit der AfD Tabu sind, kommt es in
Deutschland mit der Ausnahme Bayern zu keiner Regierung mehr, in der nicht SPD und/oder Grüne vertreten sind.
Egal, wie sehr FDP- und CDU-Wähler woke und wirtschaftsfeindliche, ideologische und irrationale Politik ablehnen, sie bekommen sie am Ende trotzdem. Genau das führt zu den Neugründungen und Aufstiegen von Parteien: Weil sich immer mehr einen Ausbruch aus dieser Logik wünschen. Bauen CDU und FDP Hilfskonstruktionen, um diese Logik zu erhalten, wird diese Flucht in den kommenden Jahren nur noch massiver. Und dann braucht es wirklich andere Wege, Regierungen zu bilden.
Anzeige
Wenn Ihnen unser Artikel gefallen hat: Unterstützen Sie diese Form des Journalismus. Unterstützen