Wie geht es den 1,4 Millionen Kranken- und Altenpflegekräften in Deutschland? Darüber gibt der „Berufsgesundheitsindex Pflege“ Auskunft, den seit 2013 das Schweizer Datenanalyse-Unternehmen MediaTenor erhebt. Die Antwort lautet: nicht besonders gut. Der jüngste Index, vorgestellt vor wenigen Tagen in Berlin, verzeichnet den tiefsten Zufriedenheitstand der Beschäftigten seit Beginn der Befragung vor neun Jahren.
Der Index erfasst den Blick der Beschäftigten auf die eigenen Arbeitsbedingungen und das Image, das der Kranken- beziehungsweise Altenpflegeberuf in der Öffentlichkeit genießt. Im Vergleich zu 2021, dem Jahr der letzten Erhebung, sank der gesamte Indexwert in der Altenpflege von 94 auf 90 und in der Krankenpflege von 88 auf 77 Punkte. Dabei liegt der deutliche Rückgang der Berufszufriedenheit nicht in erster Linie an der Höhe des Einkommens, obwohl in der Krankenpflege auch die Zufriedenheit mit der Bezahlung zurückgeht.
Zur schlechten Stimmung tragen der Untersuchung zufolge andere Faktoren aber stärker bei – vor allem der deutlich gestiegene Krankenstand, der wiederum den Stress der Pflegekräfte erhöht, die in Krankenhäusern und Heimen die Arbeit bewältigen müssen. Die Zahl der jährlichen Arbeitsunfähigkeitstage stieg von 26 auf 32 Tage – der Durchschnittswert für alle Berufsgruppen in Deutschland liegt bei 15 Tagen. Da die untersuchten Daten, die aus Befragungen von Beschäftigten, Krankenkassen, Berufsorganisationen und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) stammen, nur bis 2022 reichen, spiegelt sich in diesen Zahlen vor allem die Auswirkung von Corona wider. Insgesamt registrierten Arbeitgeber im Gesundheitswesen zwischen 2020 und 2023 über 400 000 berufsbedingte Krankmeldungen wegen Covid-19, wobei etwa die Hälfte davon auf das Jahr 2022 entfiel.
Etwa 1,5 bis zwei Prozent dieser erkrankten Beschäftigten, sagte Jörg Schudmann, Hauptgeschäftsführer des Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BWG), litten an langanhaltenden gesundheitlichen Problemen und einer damit verbundenen Arbeitsunfähigkeit – wobei seine Organisation allerdings nicht zwischen Long Covid und dem sogenannten Post-Vac-Syndrom unterscheidet, das von der Impfung gegen Covid-19 herrührt. Beide Fälle weisen sehr ähnliche Symptome auf. Neben diesen Spätfolgen spielen aber auch andere Gesundheitsprobleme eine Rolle. Barbara Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, wies bei der Vorstellung des Berichts darauf hin, dass generell psychische Erkrankungen bei Fällen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit eine immer größere Rolle spielen.
Es gibt mehrere Gründe, die dagegen sprechen, dass der Krankenstand in der Gesundheitsbranche nach Corona wieder stark nach unten geht – denn alle Indikatoren weisen auf einen weiter steigenden Arbeitsdruck für die Pflegebeschäftigten hin. In den Wert, der ihre Zufriedenheit mit dem Job misst, geht auch das Verhältnis zwischen Anzahl der Beschäftigten und offenen Stellen ein. Während sich die Lücke zwischen Mitarbeiterstamm und Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften in den zurückliegenden Jahren leicht verringert hatte, gehen beide Werte seit 2021 wieder deutlich auseinander, besonders stark in der Krankenpflege. Die chronische Unterbesetzung in vielen Einrichtungen dürfte also weiter zunehmen.
Zum Rückgang der Zufriedenheit mit ihrem Beruf tragen nach Angaben der Alten- und Krankenpfleger vor allem zwei Faktoren bei: die wechselnden Arbeitszeiten, die bei dünner Personaldecke zur Normalität gehören, und der Mangel an Fortbildungsmöglichkeiten, ebenfalls bedingt durch die zu kurze Personaldecke.
„Wenn Personalknappheit herrscht“, erklärte die Präsidentin des Deutschen Pflegerates Christine Vogler bei der Vorstellung des Zufriedenheits-Indexes in Berlin, „dann kann der Arbeitgeber den Beschäftigten nicht zur Weiterbildung lassen, und dann wissen auch die Beschäftigten, dass sie ihre Kollegen nicht alleinlassen können.“ Andererseits sei Qualifikation für die Mitarbeiter der Pflege in auch die einzige Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg. Vogler zufolge dürften Arbeitsstress durch Unterbesetzung in der Branche in Zukunft vor allem demografisch bedingt dramatisch zunehmen: in den nächsten zehn Jahren, so die Chefin des Pflegerates, würden 35 Prozent der Pfleger und Pflegerinnen in Deutschland in Rente gehen. Der einheimische Nachwuchs an jungen Pflegekräften werde aber weniger als ein Drittel dieser Lücke schließen können. Da in einer alternden Gesellschaft in Zukunft aber deutlich mehr Mitarbeiter in der Kranken- und Altenpflege gebraucht würden, laufe das Gesundheitswesen auf eine schwere Krise zu.
Die Ausbildung in Deutschland könnte auch nicht ohne weiteres gesteigert werden: „Wir haben jetzt schon mit aktuell 52 000 Pflegekräften in Ausbildung einen Höchststand. Damit haben wir sie maximale Kapazitäten schon fast erreicht.“ Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland, so Vogler, sei nötig, könne aber den steigenden Bedarf nicht decken. Zum einen mache die Sprachbarriere Probleme: „Die Bewerber aus anderen Ländern können zwar Pflege – aber sie können sie nicht auf Deutsch.“ In etlichen Fällen würden die heimischen Qualifikationen in Deutschland außerdem nicht anerkannt, was dazu führe, dass die Beschäftigten nur als Pflegehilfskräfte bezahlt würden.
Die Erteilung von Arbeitsgenehmigungen sei zudem Sache der Bundesländer und würde dort sehr unterschiedlich gehandhabt. In Bayern, so Vogler, gebe es eine „fast lane“ – Vermittlungsfirmen für Pflegekräfte müssten sich dort nur an eine einzige staatliche Stelle wenden, die dann die Arbeit aller beteiligten Ämter koordiniere.
In mehreren Bundesländern müssten die Vermittler der dringend benötigten Arbeitskräfte zeitraubend von Amt zu Amt pilgern, um die nötigen Papiere zusammenzubekommen. „Es gibt Staaten, die für Pflegefachkräfte attraktiver wirken“, stellte die Präsidentin des Pflegerates fest. Dazu dürfte auch die im internationalen Vergleich hohe deutsche Steuer- und Abgabenlast beitragen.
Die Probleme, die der Index zeige, meinte Vogler in Berlin, seien für sie überhaupt nicht überraschend. Offen bleibt die Frage, ob sich die zuständigen Politiker mit der Personalnot im Pflege- und Gesundheitswesen, auf die Deutschland zusteuert, überhaupt befassen. Eine Steuersenkung, die einheimischen Pflegekräften und Bewerbern aus dem Ausland wenigstens mehr Netto übriglassen würde, ist unter der Ampel-Regierung jedenfalls nicht zu erwarten.