Es brauchte tatsächlich nicht weniger, als diesen einen großartigen epischen Moment, den deutschen Fußball wieder in der deutsche Fußballseele zu verankern. Dorthin, wo sich Bilder eingenistet hatten wie dieses hier: Angela Merkel setzt nach einem gewonnen Finale von der Tribüne herab zum Kabinen-Selfie-Hopping an. Undenkbar. Zuviel für die empfindliche deutsche Fußballseele. Die eines überhaupt nicht mag: Die Politisierung ihrer Lieblingsbeschäftigung.
„The ten men of Germany flirted with disaster before Toni Kroos scored a stunning free-kick to keep the holders alive in Group F.“, schreibt Jakob Steinberg nach dem Spiel Schweden – Deutschland für den Guardian.
Gündogan, Özil, Merkel – völlig egal. So einen deutschen Fußball-Moment wie im gestrigen Spiel gegen Schweden, kann man nicht emotionslos an sich vorbeiziehen lassen. Jemand muss schon ein traurig nüchterner Mensch sein, diese letzte Minute der Nachspielzeit nicht als das anzuerkennen, was es war: Eines dieser deutschen Fußballwunder mit dem Potenzial, den Enkeln nacherzählt zu werden.
Ein Freistoßtor in Vollendung in der wirklich letzten Minute der fünfminütigen Nachspielzeit: Makellos in der Ausführung, makellos im vorbereitenden Zusammenspiel zwischen Kroos und Reus. Eine „Eiseskälte“ attestiert anschließend beispielsweise die Süddeutsche in ihrer Überschrift. Um dann im Artikel von „atemberaubender Schönheit“ dieses Treffers zu sprechen. Kroos erweiterte zunächst den Winkel zum Tor, in dem er den Ball in kurzer Distanz auf Reus ablegte, der in stoppte, zur Seite trat und Kroos‘ Schuss so exakt jene Flugbahn ermöglicht, den Ball unhaltbar angeschnitten ins rechte obere Eck des schwedischen Tores zu jagen.
Die Vorgeschichte denkbar ungünstig: In der 31. Minute war Sebastian Rudy mit vermutetem Nasenbeinbruch und Blutstürzen aus beiden Nasenlöchern ausgewechselt worden, in der 82. Minute wurde Jérôme Boateng mit gelb-rot vom Platz gestellt. Mehr Eskalation auf dem Weg zur Niederlage, mehr Drama, mehr Zuspitzung hin zu diesem einen epischen Moment ist kaum möglich.
Aber dieses laue 2018er Fußball-Deutschland hat exakt so ein Fußballwunder gebraucht. Nicht das verlorene Auftaktspiel gegen Mexiko war der Stimmungskiller, schon im Vorfeld wollte keine rechte Freude aufkommen.
Die aktuelle Gefühlslage der Deutschen war bis zu diesem Kroos-Moment nicht geeignet, irgendeine Fußballbegeisterung aufkommen zu lassen, welche die deutsche Nationalmannschaft noch 2014 zum Sieg getragen hatte. 2018 sind die Wimpel, die Fahnen und schwarz-rot-goldenen Autodekorationen Ladenhüter. Gündogans und Özils Erdogan-Begeisterung waren da nicht Auslöser, sondern nur der Überlauf-Tropfen im Fass, nur Bestätigung, die Treue zur Mannschaft auf ein Minimum herunterdampfen zu können. Das verlorene WM-Auftaktspiel gegen Mexiko schien diese Haltung zunächst auch überdeutlich zu bestätigen.
Und dann kam Toni Kroos.
Das Fazit des Journalisten des Guardian ging so: „One of the all-time great moments to win the game.“ Ein Endspieldrama schon im zweiten Gruppenspiel. Die deutsche Mannschaft war gefordert, der Rostocker Toni Kroos hat in letzetr Minute abgeliefert. In diesem einen Freistoßmoment darf alles andere getrost vergessen werden. Die Politisierung des Sports ausgeblendet dank eines Fabeltors. Willkommen zurück, du deutsche Elf.