Empörung in der Ukraine: Der Aachener Friedenspreis geht in diesem Jahr an ukrainischen Journalisten Ruslan Kotsaba. Der künftige Friedenspreisträger ist unter anderem bekannt für seine Aussage: „Die Juden haben Stalin und Hitler gezüchtet – der Holocaust war die Strafe dafür“. Hört man sich einschlägige Aussagen des 52-jährigen an, so ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass er ein stramm antisemitisches Weltbild hat (mit deutscher Übersetzung hier zu finden). Unter anderem sagte der Westukrainer: „Die Juden erinnern sich an diese Periode“ (den Holocaust, Anm. der Redaktion) „vermutlich mit Trauer, daran, wie sie wie Schafe dahinliefen, und zu Tausenden erschossen wurden, obwohl sie nur von ein, zwei Maschinengewehrschützen bewacht wurden, obwohl sie doch mit ihren Körpermassen jeden Konvoi hätten erdrücken können. Aber sie spürten eben, dass sie eine Strafe zu verbüßen haben, dafür, dass sie den Nationalsozialismus heranzüchteten, den Kommunismus heranzüchteten.“
Der Aachener Friedenspreis wird von einem gleichnamigen, 1988 gegründeten Verein verliehen, den Kritiker als „linksradikal“ bezeichnen und dem unter anderem die Stadt Aachen, der SPD-Unterbezirk, der Kreisvorstand der Grünen und die „Linke“ in der Städteregion Aachen angehören. Der Verein hatte 2006 Strafanzeige gegen Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister Jung erstattet wegen „Vorbereitung eines Angriffskrieges“.
Er war schon wiederholt im Zusammenhang mit Antisemitismus in die Schlagzeilen geraten. Bernhard Nolz, Preisträger von 2002, hatte mit einer antisemitischen Karikatur für eine heftig umstrittene Ausstellung über Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948 geworben: Dort war eine Krake zu sehen, die am Kopf eine israelische Flagge trägt, auf der statt des Davidsterns ein Hakenkreuz gezeichnet war.
Ebenfalls mit antisemitischen Karikaturen machte Walter Herrmann von sich reden, der den Preis selbst 1998 erhalten hatte und auch Mitglied im Verein war. Unter anderem stellte er eine Zeichung aus, in der eine mit US-amerikanisch-jüdisch-israelischen Motiven und Symbolen gekennzeichnete Person ein palästinensisches Kind verspeist”. Kritiker sahen darin Analogien zu jener Propaganda, „in der Juden als Kindermörder geschmäht werden”.
„Das Antisemitismus-Problem im Aachener Friedenspreis ist lange bekannt“ – mit diesen Worten zitierte die Aachener Zeitung 2011 den Vorsitzenden des Vereins Karl Heinz Otte. Vorstandsmitglied Matthias Fischer kam damals mit weiterreichenden Anträgen wegen des Problems im Verein nicht durch und beklagte, dass „sich Teile der Linken und (Vorstands-)Mitglieder des Aachener Friedenskreises” mit latentem Antisemitismus „nicht hinreichend auseinandersetzen wollen”. „In unseren Reihen gibt es Antisemitismus“, sagte Fischer: „Das Thema ist nicht zu Ende. Der eigene Antisemitismus muss kritisch aufgearbeitet werden, wenn wir als Friedensinitiative glaubwürdig agieren wollen.” Die Mehrheit im AFG-Vorstand versuche, antisemitische Ausfälle als Ausrutscher darzustellen. „Das entspricht aber nicht der Realität. Es ist ein Dauerproblem.” Die Warnungen von vor acht Jahren wirken heute auf bittere Weise prophetisch.
Der Verein sorgte auch anderweitig für Schlagzeilen. So verlieh er seinen Preis vor einigen Jahren auch an drei Schulen, weil sie keine Bundeswehr im Unterricht haben wollten – wobei eine der Schulen den Preis ablehnte mit dem Hinweis, dass die „dargestellten und für preiswürdig empfundenen Umstände weder rechtlich noch tatsächlich zutreffen. Neben Kotsaba sollen den Preis, wie am Mittwoch bekannt wurde, dieses Jahr am 1. September der „Initiativkreis gegen Atomwaffen“ und die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt!“ erhalten. Sie setzen sich für den Abzug von US-amerikanischen Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel ein, lautet die Begründung.
Der WDR berichtete über die die Ankündigung der Preisverleihung, ohne allerdings auch nur mit einem Satz die Problematik der Person Kosabas zu erwähnen. Auch darauf, dass der Verein und damit auch sein Preis umstritten sind, wird nicht hingewiesen – vielmehr klingt der Artikel so, als handle es sich um einen renommierten Preis wie etwa den Aachener Karlspreis – wobei hier gerade wegen der Namensähnlichkeit ein expliziter Hinweis ratsam gewesen wäre.
In dem WDR-Beitrag heißt es: Mutiger Einsatz für Frieden Der 52 Jahre alte Journalist Ruslan Kotsaba wird für seine Friedensbemühungen im Osten der Ukraine ausgezeichnet. Der Aachener Friedensverein sagt: „Kotsaba hat den Mut, als Einzelner gegen den Krieg und für friedliche Lösungen einzutreten.“ Seit nunmehr fünf Jahren herrsche in der Ostukraine Krieg. Kotsaba spreche von einer humanitären Katastrophe. Der Wiederaufbau werde Jahrzehnte dauern.
Kein Wort steht in dem WDR-Artikel darüber, wie extrem umstritten Kotsaba in seiner Heimat ist: Seine Kritiker werfen ihm vor, Nationalist und Verschwörungstheoretiker zu sein; damit sei er auch in Deutschland zum Kronzeugen geworden, gerade in den Kreisen jener Linken, die Russlands Invasion in der Ukraine als „Bürgerkrieg“ verharmlosen und den ukrainischen Widerstand dagegen als „unpazifistisch“ abtun.
Kotsaba-Kritiker werfen ihm vor, der „Wegbereiter der Kreml-Sichtweisen“ im Krieg in der Ostukraine zu sein. Kotsaba mache „Stimmung für den Aggressor“ und fordere die Ukraine de facto zum Aufgeben des Widerstandes gegen den Angriff auf das eigene Land auf, klagt etwa der ukrainische Journalist Oleg Kudrin.
Kotsabas Unterstützer rechnen ihm genau das hoch an: Dass er sich gegen eine militärische Lösung des Konfliktes und vor allem gegen den Einsatz des ukrainischen Militärs aussprach. Der 52-Jährige veröffentlichte auf YouTube ein mehrere hunderttausend Mal angeklicktes Video. Darin erklärte er, er wolle nicht zur Armee gehen und rief zum allgemeinen Boykott der Mobilisierung auf mit dem Hinweis, diese sei gesetzeswidrig, da kein Kriegszustand verhängt worden sei. Während Wladimir Putin selbst einräumte, dass russische Militärs in der Ostukraine aktiv sind („Wir haben nie gesagt, dass keine Leute dort seien, die bestimmte Aufgaben ausübten, einschließlich im militärischen Bereich“) betonte Kotsaba, es handle sich um einen Bürgerkrieg.
Genau diese Haltung gefiel auch den Friedenspreis-Organisatoren. „Anders als die meisten seiner Kolleg*innen bemühte Kotsaba sich um objektive Berichterstattung“, begründete der Verein seine Entscheidung.
Nach einem Auftritt in einem russischen TV-Sender, in dem der Journalist seine Ansichten wiederholte, wurde er Zuhause wegen Hochverrats angeklagt. Ein Gericht sprach ihn zwar von diesem Vorwurf frei, verurteilte ihn aber 2016 zu dreieinhalb Jahren Freiheitsentzugs wegen „Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der Streitkräfte der Ukraine“. Amnesty International erkannte Kotsaba als „Gewissenhäftling“ an und forderte die Ukraine auf, ihn frei zu lassen. Bürgerrechtsorganisationen und Menschenrechtler schlossen sich dieser Einschätzung an.
Es gebe unterschiedliche Meinungen in der ukrainischen Journalisten- und Bürgerrechtlerszene darüber, ob das Verfahren gegen Kotsaba gerechtfertigt gewesen sei, sagt der Journalist Kudrin: Aber es bestehe Einigkeit darüber, dass er „moralisch zu verurteilen sei dafür, die Sichtweisen des Angreifers im angegriffenen Land zu propagieren.“
Mit der Preisverleihung sei die „Grenze linker Idiotie“ in Deutschland erreicht, klagt Kudrin: „Man kann sich vorstellen, wie viele Exkremente im Lauf der Preisverleihung über die Ukraine vergossen werden, ein Land, dass sich gegen einen Angreifer von außen wehrt, der dabei von solchen linken Idioten unterstützt wird.“
Dem Verein „Aachener Friedenspreis“ gehören ca. 400 Mitglieder an, darunter rund 350 Einzelpersonen, sowie etwa 50 Organisationen. Unter diesen die Stadt Aachen, der DGB-Bezirk Nordrhein-Westfalen, die katholischen Organisationen Misereor und Missio (letztere mit ruhender Mitgliedschaft), die in Aachen ihren Hauptsitz haben, der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen, der evangelische Kirchenkreis Aachen, zahlreiche weitere kirchliche Organisationen, und SPD-, Grünen- und „Linke“-Verbände.
In den sozialen Netzwerken löste die Entscheidung heftigen Unmut aus.
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Lesen Sie auch Reitschusters Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad»: Darin lüftet der Autor ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik.