Tichys Einblick
Prioritätensetzung der evangelischen Kirche

Deutsche Pflegeheime distanzieren sich von Berliner Senioren-Rausschmiss für Flüchtlinge

Die Auflösung des Altenpflegeheims in Berlin Wedding zugunsten der Errichtung eines Flüchtlingsheims lässt andere Pflegeheimbetreiber in Deutschland auf Distanz gehen. Doch finanzielle Anreize und politischer Druck können dies schnell verändern, die nächsten Schließungen von Pflegeheimen finden bereits statt.

Symbolbild

IMAGO / photothek

Nachdem Lörrach bereits Mieter städtischer Wohnungen für die Flüchtlingsansiedlung zu opfern bereit war, verschob die Kündigung der Bewohner des Pflegeheims des Berliner Johannesstifts die Grenzen des Möglichen nochmals weiter. Nun sind selbst die Ältesten und Pflegebedürftigen – jene Wählergruppe, nebenbei, die auch nach 2015 den für die Flüchtlingskrise verantwortlichen Altparteien am treuesten die Stange halten – nicht mehr auf ihrem Alterswohnsitz sicher und müssen sich nun an ihrem Lebensabend nochmals auf die Suche nach einer Bleibe machen.

Bürokratische Apparate haben sich als das Lieblingsvehikel einer entmenschlichenden Politik erwiesen, da ihre unpersönlichen Mechanismen es erlauben, die Schuld stets von sich zu weisen. In dem undurchdringlichen Dickicht an für die Außenwelt undurchsichtigen Verantwortlichkeiten ist es ein Leichtes, unliebsame Entscheidungen als systemimmanent erscheinen zu lassen.

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So bahnt es sich auch bei der Suche nach Verantwortlichen für die Schließung des Altenpflegeheims „Wohnen & Pflege Schillerpark“ des Paul Gerhardt Stifts in Berlin Wedding an. Träger der Einrichtung ist die Johannisstift-Diakonie, beide Stifte sind Einrichtungen der evangelischen Kirche. Das Paul Gerhardt Stift hatte der Johannisstift-Diakonie 2006 das Pflegeheim mit einer Kapazität für über 140 Bewohner mit einer Mindestpachtzeit von 25 Jahren inklusive Option zur Verlängerung vermietet.

Doch der Sprecherin des Johannisstifts zufolge hat das Paul Gerhardt Stift bereits 2021 – also 10 Jahre vor Ablauf des Pachtvertrags – Eigenbedarf angemeldet. Dieser wurde jedoch nie genau definiert. Verdacht regte sich erst, als im November 2022 eine Stellungnahme vom Vorsteher des Paul Gerhardt Stifts, Pfarrer Martin von Essen, im Pflegeheim die Runde machte und von dort an die Öffentlichkeit gelangte. In dieser Stellungnahme wurde der Eindruck erweckt, die Johannisstift-Diakonie hätte selbst den Mietvertrag gekündigt. Statt von Eigenbedarf war nur mehr von der Schließung des Pflegeheims die Rede. Die Verkürzung der Pacht sei Teil einer Vereinbarung zwischen Betreiber und Vermieter, das Gebäude bis Ende 2024 zu nutzen.

Dann aber die nicht unerheblichen Details: Das Stift habe „jahrzehntelange Erfahrung“ in der Arbeit mit Flüchtlingen, und von Essen kündigt an, dass das Stift die „Plätze für mehrfach traumatisierte Schutzbedürftige“ erweitern würde. Der geplante Anfang für diese Erweiterung war Ende 2022. Für die 110 Bewohner des Altenpflegeheims bedeutete das, die Koffer zu packen. Der Hälfte der Bewohner wurde bereits zum Jahresende 2022 gekündigt, was mitunter sehr tränenreich verlief. Der Focus zitiert Angehörige, die davon berichteten, dass tagelang Container vor den Türen standen, Möbel wurden einfach weggeschmissen. Die andere Hälfte der Bewohner muss nach vorverlegter Beendigung des Pachtverhältnisses bis Jahresende 2023 die Wohneinrichtung räumen.

Finanzieller Druck und der unerklärte „Eigenbedarf“

Rechtlich dürfte es sich bei der Entscheidung um eine schwer nachvollziehbare und vertrackte Situation gehandelt haben, denn Johannisstift-Sprecherin Lilian Rimkus berichtete von langwierigen Verhandlungen mit dem Paul Gerhardt Stift, in denen die Johannisstift-Diakonie auf eine langfristige Lösung hoffte. Letztlich habe man der vorzeitigen Aufhebung der Mietverträge zugestimmt, da es „unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der nach den Miet- und Pachtverträgen vereinbarten Pachtzinserhöhungen“ gab. Müsste man an dieser Stelle spekulieren, man könnte meinen, dass über angedachte Pachtzinserhöhungen finanzieller Druck auf die Johannisstift-Diakonie ausgeübt wurde, um diese zur Einwilligung zu bewegen.

Denn eine Kündigung hätte juristisch bei der Planung eines Flüchtlingsheims einige Schwierigkeiten mit sich gebracht, da dies nicht als Eigenbedarf deklariert werden durfte. Die abgerungene – um nicht zu sagen erzwungene – Einwilligung der Johannisstift-Diakonie machte die Sache viel leichter. Das Paul Gerhardt Stift war seitdem auch nicht untätig, bereits im Februar 2023 bezogen die ersten Flüchtlinge die erst kürzlich frei gewordenen Unterkünfte in den obersten beiden Stockwerken.

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Was aber wurde aus den Senioren? Das Johannisstift bot diesen an, in einer anderen Einrichtung ihrer Organisation unterzukommen, doch, so Rimkus, „dies wurde zu unserem großen Bedauern nur begrenzt wahrgenommen, hauptsächlich wegen der dadurch entstehenden fehlenden räumlichen Nähe zu Angehörigen“. Nachdem das Ende der Einrichtung in Berlin Wedding absehbar war, begannen viele Senioren, aber auch Mitarbeiter, frühzeitig mit der Suche nach neuen Wohn- und Arbeitsorten.

Als bei Martin von Essen nachgefragt wurde, wie denn die Anmeldung des Eigenbedarfs aus 2021 mit der nunmehrigen Umwandlung in ein Flüchtlingsheim vereinbar wäre, verwies dieser auf dieselbe Stellungnahme, die bereits Ende 2022 im Pflegeheim die Runde machte. Darin wird behauptet, die Umnutzung wäre erst nach dem vorzeitig geänderten Vertrag beschlossen worden. Dass diese Vertragsänderung aber ohne die Anmeldung des Eigenbedarfs gar nicht möglich gewesen wäre, bleibt unerwähnt, ebenso wie die Tatsache, dass Flüchtlingsunterkünfte vom Land intensivst bezuschusst werden, sodass diese im Vergleich zu einem kostspieligen Pflegeheim finanziell weitaus attraktiver sind – ein offenes Geheimnis in kirchlichen Kreisen. Die Berliner Zeitung berichtete aber, dass von Essen behauptet, die Entscheidung sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen gefällt worden, sondern fußte auf „den Bitten des Landesamts für Flüchtlinge“.

Wer nun exakt diese Entscheidung angestoßen hat, wird wohl nie an die Öffentlichkeit gelangen. Was aber gewiss ist, dass diese Verhandlungen auf dem Rücken der Heimbewohner ausgetragen wurden. Und das von karitativen Einrichtungen der evangelischen Kirche, deren Differenzen sich zumindest offiziell an der Bemessung des Pachtzinses spießten, was auch die Angehörigen einiger Senioren empörte.

Pflegeeinrichtungen kritisieren „sozial sehr bedenkliche“ Entwicklung

Doch die Behauptung von Michael von Essen, das Landesamt für Flüchtlinge hätte die Entscheidung beeinflusst, sollte hellhörig werden lassen. Eine Anfrage von Tichys Einblick, ob ähnliche Entwicklungen auch bei anderen Pflegeinstitutionen in Deutschland absehbar wären, blieb zwar vielerorts unbeantwortet, jedoch zeigte sich sowohl eine Mitarbeiterin einer Altenpflegeeinrichtung in Bielefeld als auch die Fachbereichsleiterin Pflege und Senioren der Diakonie Hamburg, Katrin Kell, überrascht und entsetzt von den Vorgängen in Berlin Wedding. In Bielefeld würde „dieses Modell so nicht gelebt“ und die Mitarbeiterin beschrieb diese Entwicklungen als „sehr seltsam und sozial sehr bedenklich“. Auch in Hamburg wusste man zwar nichts über die genauen Beweggründe, betonte aber, dass solche Methoden in den Einrichtungen der Diakonie Hamburg nicht zu erwarten wären.

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Die Pressesprecherin der Caritas Altenhilfe in Berlin, Claudia Kienapfel, gab sich auf unsere Anfrage allerdings etwas bedeckter. Zur Entscheidung in Wedding könne man nur spekulieren, daher zöge man es vor, diese nicht zu kommentieren. Anstatt vergleichbaren Plänen innerhalb der Caritas aber eine dezidierte Absage zu erteilen, verwies sie auf „sehr große Hürden, wenn es um die Schließung eines Pflegeheims geht“. Dies diene dem „Schutz der pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren“.

„Das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner steht im Sinne einer Versorgungssicherheit immer im Fokus einer solchen Entscheidung. Sollten schwere Gründe eine Pflegeheimschließung notwendig machen, ist eine sehr gute Begleitung der Seniorinnen und Senioren und deren Angehörigen vordringlich sowie konkrete Hilfsangebote, um den Menschen an einem anderen Ort ein gutes Wohnumfeld mit bedarfsgerechter Versorgung anzubieten“, so Kienapfel. Was man aus dieser äußerst vorsichtig formulierten Stellungnahme, die an keiner Stelle ein ähnliches Vorgehen ausschließt, oder dieses nur verurteilt, ableiten kann, sei jedem einzelnen Leser selbst überlassen.

Diese Prozesse offenbaren die Realität, dass sich – ob nun über finanzielle Anreize, politischen Druck, oder vollendete Tatsachen in Form angelieferter Flüchtlinge – immer Wege finden werden, um den politischen Willen durchzusetzen. Das Modell von Zuckerbrot und Peitsche scheint sich dabei zu bewähren. Finanzielle Versprechungen machen einerseits die Umwidmung zu Flüchtlingsheimen schmackhaft, während andererseits die Aufrechterhaltung des Status quo politisch und finanziell unmöglich gemacht wird. Die Bereitschaft, die eigenen Senioren auf die Straße zu setzen, ist mittlerweile höher, als Fremden die Tür zu weisen. Wir werden in den nächsten Jahren noch Zeugen von viel Leid werden.

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