Die Handball-Bundesliga erlebt derzeit die schwierigste Spielzeit ihrer Geschichte. In der Liga, die als die stärkste der Welt gilt, stehen 38 Saisonspiele an. Meister Kiel und Vizemeister Flensburg müssen darüber hinaus 14 Gruppenspiele in der Champions League bestreiten und auch die Nationalmannschaft fordert mit Test- und Qualifikationsspielen ihren Tribut. Eigentlich ganz normal, sagen die Spieler und Funktionäre und lächeln müde über die Wehklagen der Fußballer, wenn es um die Belastung und fehlende Zeit geht. Doch während die hochbezahlten Fußballer die teuren Hygienekonzepte und Coronatests ohne Weiteres umsetzen können und eigentlich in einer Blase leben, müssen die Handballer täglich um ihre Gesundheit fürchten, obwohl Belastung und Dienstreisen nicht hinter denen der Fußballer zurückstehen.
Schon jetzt müssen zahlreiche Spiele in der Handball-Bundesliga abgesagt werden, weil Spieler oder Funktionäre positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Wenn an einem Spieltag nur zwei oder drei Spiele ins Wasser fallen, droht bis Mitte Juni das pure Chaos. Somit wächst auch die Angst vor dem Highlight der Gilde, wenn ab dem 13. Januar die deutsche Nationalmannschaft in Ägypten zur Weltmeisterschaft antreten muss.
“Machulla: Eine Handball-WM ist jetzt verantwortungslos!”
Maik Machulla, Trainer der SG Flensburg-Handewitt, ist Mitglied der Trainer-Task Force und sprach sich gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen eine Austragung der Welttitelkämpfe aus: „Wenn man sieht, wie viele Einschränkungen wir im Privaten haben und wie viel Verantwortung wir als Handballer übernehmen wollen, ist es Wahnsinn, davon auszugehen, dass die WM gespielt wird.“ Der 43-Jährige erinnert an den Lehrgang des Deutschen Handball-Bundes im vergangenen Monats, als vier Spieler positiv getestet zu ihren Vereinen zurückkehrten und somit für den Beginn des Terminchaos in der Handball-Bundesliga sorgten. Eine WM mit 32 Teams und somit 600 Handballern exklusive Trainern, Funktionären und Sponsoren sei verantwortungslos, den Versprechungen des gastgebenden ägyptischen Verbandes, alles sei sicher, wolle und könne man auch kaum Glauben schenken: „Wir schauen da in die Glaskugel. Wir als Klubs haben Bauchschmerzen, wenn wir die Spieler aus unserem Hygienekonzept herausgeben, und fragen uns, wie wir sie zurückbekommen.“
Jetzt hat sich auch ein Weltstar gegen die Weltmeisterschaft im Januar ausgesprochen: „Wie soll ich meinem Sohn erklären, dass er sich nicht mit Freunden treffen und Handball spielen darf, und dann reisen wir zum Handballspielen quer durch Europa?”, fragte Filip Jicha, Cheftrainer des THW Kiel in den Kieler Nachrichten. Und weiter: „Ja, eine Handball-WM in Ägypten wäre sicher eine Riesensache. Aber bitte ein Jahr später! Eine Verschiebung um ein Jahr nach dem Vorbild der Olympischen Spiele wäre die optimale Lösung.” Der ehemalige Weltstar hat in den vergangenen Wochen schon erlebt, was es heißt, während der Pandemie zu trainieren und zu reisen, und versteht nicht, dass der Weltverband bisher so stur an diesem Termin festhält. Er befürchtet nach den Titelkämpfen in Ägypten zahlreiche Spielverschiebungen und hat Angst, dass ihm auch in der Champions League, die für das Überleben des Rekordmeisters so wichtig ist, die besten Spieler fehlen.
In den vergangenen Wochen haben aber nicht nur einstige Weltklassespieler und Bundesligatrainer den mahnenden Finger erhoben, sondern auch zahlreiche Geschäftsführer, die am Ende der Saison auch wirtschaftlich Bilanz ziehen müssen. Flensburgs Dierk Schmäschke findet die Idee seines Kieler Kollegen Jicha perfekt: „Ich würde es für vernünftig halten, die WM und alle nachfolgenden Turniere um ein Jahr zu verschieben – ähnlich wie es mit den Olympischen Spielen 2020 passiert ist.”
IHF-Präsident Moustafa auf den Spuren der FIFA
Doch für die sorgenden Rufe hat man beim Handball-Weltverband IHF nur wenig übrig. Es geht um Geld und um Macht. Schon längst gleichen die IHF und auch der europäische Verband mit ihren Plänen auf Kosten der Clubs den Fußballverbänden FIFA und UEFA und lassen sich nicht gerne reinreden. Immerhin sind sie es ja, die mit ihren Millionenverträgen mit den TV-Sendern für das Geld bei den Vereinen sorgen. Bei der Januar-WM kommt noch hinzu, dass der mächtige IHF-Präsident Hassan Moustafa unbedingt in seinem Heimatland dieses Turnier austragen möchte. Eitelkeit vor dem Herrn! Mit den typischen Floskeln eines Sportfunktionärs in diesen Zeiten gibt er die fadenscheinige Begründung: „Die Männer-Weltmeisterschaft ist nicht einfach ein Ereignis, sondern ein weltweit bedeutendes Sportgroßereignis. Sie stellt die größte Bühne für den Handballsport dar, und daher liegt es im besten Interesse aller Beteiligten, die WM zu organisieren.”
Die Gesundheit der Protagonisten, die für die Popularität dieser Sportart stehen, steht auf dem Spiel und mit ihr der nationale Clubhandball. Aber wie im Fußball spielt man beim Handball auch die Karte Wirtschaftlichkeit und Geld aus: „Für die gesamte Handball-Branche ist es von großer Bedeutung, die Weltmeisterschaft auszurichten. Vom Fernsehen über die Sponsoren bis hin zu den verschiedenen Zuschauern profitiert jeder Akteur auf unterschiedliche Weise von der Organisation der Veranstaltung. Die WM nicht durchzuführen, würde insbesondere für die Spieler einen enormen Sichtbarkeitsverlust bedeuten”, sagte der 76-Jährige Moustafa.
Gegen ihn hat schon der Internationale Sportgerichtshof CAS ermittelt. Dem Ägypter wurde vorgeworfen, an zahlreichen Spielmanipulationen im Rahmen der Olympia-Qualifikation 2008 in Asien beteiligt gewesen zu sein. Seit über 20 Jahren ist Moustafa im Amt und er weiß, dass er sich mit einer erfolgreichen WM in seinem Heimatland die Krone des Handballkaisers aufsetzen kann. Dann hätte er viele Kritiker zum Verstummen gebracht. Doch es ist für ihn ein Tanz auf dem Drahtseil. Und je lauter die Kritik an einer Ausrichtung ist, desto nervöser könnten der Weltverband und Moustafa werden. Da helfen auch nicht die Versprechungen von der sichersten WM aller Zeiten: „Man muss bedenken, dass die Weltmeisterschaft unter komplett anderen Bedingungen stattfinden wird“, sagte der IHF-Präsident nach den letzten Qualifikationsspielen in Europa mit zahlreichen positiven Coronatests und versicherte, „dass alle erdenklichen Maßnahmen getroffen werden, um die Gesundheit einer jeden Person zu gewährleisten, die an der Weltmeisterschaft beteiligt ist“.
Frauen-EM: Co-Veranstalter Norwegen hat sich zurückgezogen
In Skandinavien sorgt man sich mehr um das Wohl der Spitzensportler. Und wenn für die Gesundheit des Individuums nicht gesorgt werden kann, dann sagt man eine Veranstaltung ab, auch wenn es weh tut. Mitte November hat Norwegen schon für ein entsprechendes Signal in der Sportwelt gesorgt. Zwei Wochen vor der Handball-EM der Frauen hatten die Skandinavier mitgeteilt, dass sie sich aufgrund der Pandemie als Co-Gastgeber neben Dänemark zurückziehen müssen: „Basierend auf den eingehenden Bewertungen der norwegischen Gesundheitsbehörden sowie den klaren Forderungen und Wünschen der politischen Behörden ist klar, dass Norwegen nicht Gastgeber des Euro-Frauenhandballs sein kann“, teilte der norwegische Verband vor zwei Wochen mit.
Nun wird das kleine Dänemark alleine das Turnier mit 16 Teams vom 3. bis 20. Dezember veranstalten: „Der Handballsport, hier vertreten durch den Dänischen Handballverband und die Europäische Handballföderation, hat alle Voraussetzungen, Vorbereitungen und notwendigen Gesundheits- und Hygienekonzepte geliefert, um die EHF EURO 2020 in Dänemark spielen zu können“, so EHF-Präsident Michael Wiederer, der in einer Verbandsmitteilung betonte: „Die Women´s EHF EURO 2020 ist eine starke und vitale Plattform für die Werbung des Europäischen Frauenhandballs. Die 16 teilnehmenden Teams warten nur für das finale Startsignal.“ Klingt nach etwas mehr Menschlichkeit in Zeiten einer Pandemie als bei Hassan Moustafa und den Handball-Weltverband.