Tichys Einblick
Hybris auf beiden Seiten des Atlantiks

Der Wahlverlierer steht längst fest: US-Demoskopie und deutsche Politik

Wie können es die Amerikaner nur wagen, den eindeutigen Umfragen, den trendigen Meinungen oder den klugen Ratschlägen aus Deutschland zu widersprechen?! Die Meinungsforschung ist die große Verliererin der Wahlen in den USA - und die hybriden Kommentatoren in Deutschland.

imago images / MediaPunch

Es fehlt jetzt nur noch, dass die deutsche Kanzlerin, nachdem sie aus der Schockstarre aufgewacht ist, zum Telefonhörer greift und dem amtierenden (und wahrscheinlich auch künftigen) Präsidenten Trump per Ordre de Mutti alternativlos befiehlt: „Diese Wahl ist unverzeihlich! Sofort rückgängig machen!“

Tja, erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Auf die Frage eines Radioreporters, worüber ich mich in der US-Wahlnacht am meisten gefreut habe (mit dem Unterton: doch hoffentlich über gar nichts), kam als spontane Antwort: „Über die langen Gesichter der deutschen Medienkollegen und der Politiker.“ Blankes Entsetzen! Wie können es die Amerikaner nur wagen, den eindeutigen Umfragen, den trendigen Meinungen oder den klugen Ratschlägen aus Deutschland zu widersprechen?! Und damit steht der Wahlverlierer bereits jetzt fest: die Medien und die sogenannten Meinungsforschungsinstitute. Nach vier Jahren nichts dazugelernt! Wieder völlig am Volk und der Stimmung im Lande vorbei. Nicht knapp, sondern total daneben. Teilweise bis zu 15 Prozentpunkte!

Genauso wenig, wie deutsche Wahlen an der feinen Elbchaussee oder dem hippen Prenzlauer Berg entschieden werden, fallen die amerikanischen Würfel an den Küsten. Nicht Hollywood oder die Wall Street bestimmen (allein) den Präsidenten, zwischen Atlantik und Pazifik gibt es auch noch etwas anderes: hart arbeitende, christlich orientierte, konservativ denkende und ganz normale Menschen. Leute, die Klartext à la Trump lieben und bis heute die Nase voll haben von der Lyrik eines Obama. Die keinen Ankündigungspräsidenten wie Clinton mehr wollen, sondern einen Macher. Und jemand, der seine Wahlversprechen verwirklicht. Auch wenn sie manchem noch so exotisch erschienen. „Das wird er doch niemals umsetzen,“ war die einhellige Meinung der deutschen Polit-Schickeria 2016. Trump hat Wort gehalten: Klare Kante gegen China, gegen Abtreibung, gegen die Gender-Ideologie. Friedensinitiativen im Nahen Osten und Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt (wo blieb eigentlich die von Merkel und Co herbeibeschworene Intifada?!). Keinen Krieg begonnen, stattdessen Soldaten nach Hause geholt. Und Jobs, Jobs, Jobs. Ohne Corona wären die USA heute kurz vor der Vollbeschäftigung.

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Das sehen die Amerikaner. Und nicht die Frisur, die Tweets oder die markig-martialischen Sprüche. So habe ich das Land in zwanzig Jahren kennengelernt, jeweils einen Monat lang. Vor exakt auf den Tag genau fünf Jahren habe ich den Wahlsieg Trumps schriftlich vorausgesagt, obwohl er damals noch Gegenkandidaten bei den Republikanern hatte. Genau mit diesen Argumenten. Selbst gute Freunde und nette Kollegen rieten mitfühlend, mich auf meinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Denn jeder, der gerne Cola trinkt oder Hamburger verspeist, wähnt sich ja als Amerika-Experte. Null Ahnung von der Realität im Mittleren Westen, der jetzt die Wahl entscheiden könnte

Der durchschnittliche Amerikaner jenseits von Sunset Boulevard und Fifth Avenue will stolz sein auf sein Land, hasst den Kommunismus und jegliche Einschränkung von Freiheit — und sei es das Kommando einer imaginären Sprachpolizei oder einer falschen Einwanderungsideologie. „In God we trust“ — dieses uralte Wort selbst auf den neuen Dollarscheinen ist für Amerikaner kein Lippenbekenntnis. All diese Gefühle, Sehnsüchte, Prinzipien haben Donald Trump und vor allem sein (im säkularisierten Deutschland kaum wahr genommener) Vizepräsident Mike Pence bedient. Deren Spitzensatz in jeder Wahlkampfrede, wovon ich einige vor vier Jahren live erlebte: „Wir wollen nicht so werden wie Deutschland.

Wobei wir wieder bei den langen Gesichtern wären. Für naive Westeuropäer, die sich willig, gläubig und staatsfromm „vom privaten Lockdown der Frau Merkel“ (FDP-Vizechef Kubicki) dressieren lassen, ist Trump schlicht ein Idiot, ein Clown, ein Irrer. Und der wiederum spottet doch nur über Leute wie Heiko Maas oder seine Mit-Saarländer AKK und Altmaier, um nur drei aus Merkels Erfolgsriege zu nennen. Welches Niveau solche Leute haben, das war überdeutlich in dieser spannendsten aller Wahlnächte zu sehen. Lars Klingbeil (who is Lars?!), der als Generalsekretär die einst stolze Volkspartei SPD dem Abgrund näher bringt, verlautbarte gegen drei Uhr die sensationelle Einschätzung: „Trump hätte in Deutschland keine Chance“. Ganz nebenbei: Das ist ja vielleicht der Grund, warum wir so dastehen, wie wir dastehen! Geradezu nationalistisch-engstirnig auf Deutschland fixiert musste man ja an den sicheren Sieg von Joe Biden glauben. Im Sinne: der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Der deutsche Politiker in seiner hermetisch abgeschirmten Parallelwelt, auch der klassische Journalist in seinem Anti-Trump-Wahn, kann sich doch gar nicht vorstellen, dass „so einer“ Präsident werden kann

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An deutschem Wesen soll also mal wieder alles genesen. Nun, liebe Amerikaner, habt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht ….. Doch nicht das Sandmännchen könnte letztlich die Wahl gewinnen, sondern wieder der polternde Wüterich. Auch der Tenor von FDP-Chef Christian Lindner, kurz nach fünf am frühem Morgen bei BILD-TV, ging in diese Belehrungs-Attitüde, die uns vor aller Welt so verhaßt macht. Angesprochen auf die breite Trump-Zustimmung jenseits der Küstenstaaten meinte der altklug, wir müssten jetzt mehr Goethe-Institute und Generalkonsulate aufs Land bringen, um den Amerikanerinnen (!) und Amerikanern zu zeigen, was unsere Werte sind. Im Klartext: Wir müssen den bekloppten Amis dringend geistig-moralische Entwicklungshilfe in Sachen Demokratie leisten, damit solch ein Typ wie Trump niemals mehr gewählt wird

An Hybris nicht zu überbieten: Wir wollen die alte Demokratie belehren, die uns die unsere doch erst geschenkt und verteidigt hat. Wir, die wir unser Parlament unter dem in Stein gemeißelten Leitspruch „Dem deutschen Volke“ zu einem willfährigen Akklamationsorgan des Kanzleramts pervertiert haben.

Und während das alles so lief, bemühten sich öffentlich-rechtliche, natürlich völlig unparteiische und objektive Moderatoren verzweifelt, irgendeinen Strohhalm für einen möglichen Biden-Sieg zu finden. Schon fast rührend, als gäbe es kein Morgen mehr, sollte Trump tatsächlich gewinnen.

So unklar alles noch ist und so sehr es jetzt auf jede einzelne (Briefwahl-)Stimme ankommt: der deutsche Journalismus plus politisches Establishment haben sich (wie vor vier Jahren) genauso entlarvt wie die amerikanischen Umfrageinstitute. Das Wünsch-Dir-was-Denken, ausgegeben als seriöse Information, ist geplatzt wie eine Seifenblase. Und darin hat Lindner recht: Auch in Deutschland müssen wir uns so langsam fragen, ob Politiker, Demoskopen und Medien wirklich noch nah am Volk sind.


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