Tichys Einblick
Steinmeier ohne Augenmaß

Der übereifrige Bundespräsident verschießt sein Pulver

Die Amtsführung des Bundespräsidenten ist geprägt durch innenpolitische Parteinahmen und Stillosigkeiten.

Tristar Media/Getty Images

Zu Steinmeiers Amtsführung als Bundespräsident gäbe es einiges zu bemerken. Er ist das erste Staatsoberhaupt der Bundesrepublik, das in den innenpolitischen Auseinandersetzungen offen und dezidiert Partei ergreift. Das wäre dann seine Aufgabe, wenn wir in einer schwerwiegenden Staatskrise lebten, die eine solche Intervention im Interesse des Gemeinwohls unerlässlich machen würde. Das ist trotz einiger Turbulenzen nicht der Fall. Steinmeiers innenpolitischen Interventionen liegt vielmehr ein rechtsstaatlicher und demokratischer Übereifer zugrunde, mit dem er jedoch das Pulver verschiesst, welches er oder ihm nachfolgende Bundespräsidenten dringend benötigen würden, wenn es wirklich einmal ernst werden sollte. Als Vergleich erinnere man sich an den ruhigen und souveränen Umgang des ersten Bundespräsidenten, des schwäbischen Professors Theodor Heuss, mit den schweren innenpolitischen Konflikten der Anfangszeit der Bundesrepublik.

Zudem sind Steinmeier politische Stillosigkeiten unterlaufen, die nicht zur Würde seines Amts als Staatsoberhaupt passen, so sein Bezug auf die umstrittene Rockband „Feine Sahne, Fischfilet“. Es gab andere politische Missgriffe, darunter die Bezeichnung des amerikanischen Präsidenten Trump als „Hassprediger“ durch Steinmeier ausgerechnet in seiner Zeit als Aussenminister. In Verbindung mit dem innenpolitischen Eifer Steinmeiers entstand so der Eindruck eines mitunter fehlenden Augenmaßes. An Redlichkeit und Ernsthaftigkeit seiner Amtsführung hat es dennoch nie einen Zweifel gegeben.

In der iranischen Telegrammaffäre hat Steinmeier allen Anwürfen zum Trotz auch im Vorjahr nicht unüberlegt oder gar pflichtwidrig gehandelt. Das Verschicken von Gückwunschtelegrammen zum Nationalfeiertag ist ein protokollarischer Akt im Rahmen internationaler Courtoisie. Nationalfeiertage aber knüpfen nun einmal häufig an gelungene Revolutionen an, so etwa der 14. Juli bei den Franzosen und viele andere. Leider gibt es nur wenige Revolutionen, die unblutig verlaufen sind. Die bekannteste Ausnahme ist wohl der Untergang der DDR in den Jahren nach 1989. Oft genug enden Revolutionen in einem Blutbad oder führen direkt in undemokratische Verhältnisse, so in Russland. Das ist schlimm genug, aber es ist nun einmal die politische Realität.

Es wird daher von manchen der Standpunkt vertreten, dass man unter solchen Umständen überhaupt keine Telegramme versenden sollte, vor allem dann nicht, wenn ein Glückwunschbotschaft wie im Fall des Iran innenpolitische Kritik und Widerspruch auslöst. Man würde sich damit allerdings von einer international üblichen Staatenpraxis ablösen, was wiederum erklärungsbedürftig wäre und uns international auffällig machen und isolieren würde. Besser wäre es wohl, bei derartigen problematischen Anlässen zwar eine Glückwunschbotschaft zu schicken, aber kurz und in angemessenem Tonfall, ohne Lobhudelei, aber auch ohne die Empfänger zu verletzen oder zu beleidigen.

Wie alles auf der Welt, hätte der Verzicht auf eine Glückwunschbotschaft an den Iran seinen Preis. Man würde den Verzicht in Teheran, wo man uns sehr genau beobachtet, als Affront betrachten. Die Folgen wäre eine Belastung unserer Beziehungen und die Einschränkung unserer politischen Einflußmöglichkeiten auf den Iran, und das alles in einem Augenblick, in dem die Beziehungen des Iran zu uns und anderen westlichen Staaten hochsensibel sind und angesichts von schweren politischen und militärischen Krisen in der Region. Auf der anderen Seite kann es dem Bundespräsidenten natürlich nicht gleichgültig sein, wenn sein Verhalten in dieser Sache von grossen Teilen der Öffentlichkeit missbilligt wird. Es ließe sich sagen, dass so oder so seine Standfestigkeit gefragt ist.

Was dem Ganzen nunmehr possenhafte Züge verleiht, sind die Begleitumstände. Danach war das Glückwunschtelegramm des Bundespräsidenten fertig und der Botschaft zur Weiterleitung übermittelt, von Steinmeier aber noch nicht endgültig freigegeben. Es ist zunächst einmal ungewöhnlich, dass ein Glückwunsch einer Botschaft gleichsam auf Vorrat und „auf Verdacht“ übersandt wird, während der Absender in Berlin noch unschlüssig ist, ob er überhaupt gratulieren will. Sei es darum – dann aber folgte der nächste Akt im Komödienstadl: der Glückwunsch wurde dennoch von der deutschen Botschaft dem iranischen Aussenministerium offenbar irrtümlich zugestellt. Zu guter Letzt wurde dann dem Glückwunsch aus Berlin der deutsche Botschafter hinterhergeschickt, der den erstaunten Iranern erklären musste, alles sei ein Irrtum gewesen und das Telegramm sei vom Bundespräsidenten nicht autorisiert. Und was nun?

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