Wie lief die Tat ab? Bei dem Täter, der am Mittag des 9. Oktober einen Anschlag auf die Synagoge in Halle ausführte und im Verlauf des Attentats zwei Menschen außerhalb der Synagoge erschoss, handelt es sich um Stephan Balliet, 27, der in Benndorf lebte, einem Ort etwa 40 Kilometer von Halle entfernt. Balliet bereitete die Tat minutiös vor und erstellte eine Dokumentation, in der er den Anschlag auf die Synagoge zu Yom Kippur mit einer Art Drehbuch plante. Balliet listet dort auch die Waffen auf, die er mitführte: Ein Luty SMG 9mm Parabellum-Gewehr und eine Schrotflinte, einen Revolver, zwei weitere Gewehre mit Munition und einen Säbel. Außerdem hatte er mehrere Granaten und Nagelbomben gefertigt. Sein Plan bestand darin, die Synagoge zu stürmen und mit Schusswaffen und Granaten so viele Menschen wie möglich zu töten. Seine Tat filmte er mit einer Schulterkamera, und streamte sie direkt ins Netz.
Noch ist unklar, woher er die Waffen und insgesamt 4,4 Kilo Thermit-Sprengstoff hatte. Von Balliet gibt es ältere Fotos, auf denen er in Phantasieuniform posiert.
Offensichtlich war Balliet – zum Glück – trotz seines militärischen Gehabes ungeübt im Umgang mit seinen Waffen. Er versuchte die Synagogentür aufzuschießen, drang aber mit der Schrotmunition nicht durch. Als er versuchte, ein Tor des von einer Mauer geschützten Geländes aufzusprengen, lehnt er die Luty Parabellum gegen die Mauer und lässt sie dort für einen Moment etwa 15 Meter entfernt von sich stehen. Dann nimmt er sie wieder an sich, kommt zu dem Schluss, dass er es nicht schafft, in die Synagoge einzudringen (Kommentar: „verkackt“), erschießt stattdessen eine zufällig vorbeikommende Passantin von hinten und einen Mann in einem Dönerladen. Versehentlich zerschießt er auch den Reifen seines Autos, in dem er Waffen und weitere Granaten gelagert hatte. Er flieht zwar erst einmal mit seinem Wagen, der auf der Felge fährt, erpresst dann aber in einer Autowerkstatt ein anderes Auto, und muss deshalb den größten Teil seiner Ausrüstung zurücklassen.
Was waren seine Motive?
Vor der Tat spricht er in seinem Auto eine Art Bekenntnis in die Kamera: „Hi, my name is anon and I think the holocaust never happened. Feminism is the cause of the decline of the west, which acts as a scapegoat for mass immigration. And the root of all these problems in the jew. Would you like to be friends?“
(Hi, mein Name ist Anon und ich glaube, der Holocaust hat niemals stattgefunden. Feminismus ist die Ursache des Niedergangs der westlichen Welt, der als Sündenbock für die Masseneinwanderung dient. Und die Wurzel all dieser Probleme sind die Juden.“)
Anon steht in der militant-rechtsextremen Internetszene für Anonymus. Während er spricht, läuft im Hintergrund im Auto eine Live-Aufnahme von Alek Minassian. Minassian verübte am 23. April 2018 einen Anschlag in Toronto, Kanada, mit einem Van und tötete dabei zehn Menschen.
Minassian wollte nach eigener Aussage damit einen Aufstand der „Incels“. Incel steht für „involuntary celibate“ – unfreiwilliges Zölibat. Die Bewegung von zumeist weißen jungen Männern ist stark antifeministisch ausgerichtet und in Teilen gewalttätig. Der letzte Incel-Anschlag fand am 17. Juni 2019 durch Bryan Isaack Clyde in Dallas, USA, statt. Offenbar identifizierte sich Balliet stark mit dieser Szene.
In seiner Vorbereitungsdokumentation nennt Balliet als Feinde „Juden, Commies (Kommunisten), Verräter“.
Welchen Hintergrund hat der Täter?
Balliet wuchs in Eisleben im Mansfelder Land auf. Als Jugendlicher spielte er Schach beim Verein „1925 Helbra“; im Jahr 2004 gewann er in seinem Jahrgang bei der „Mansfeld-Schacholympiade“.
Sein Chemiestudium brach er aus gesundheitlichen Gründen ab. Den Sicherheitsbehörden fiel er bisher nicht auf. Unbekannt ist auch, ob er mit anderen Personen aus der rechtsextremen beziehungsweise Incel-Szene in Verbindung stand.