Zu den Politikern, die sich zu dem beziehungsweise gegen den TE-Gastbeitrag des Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz äußerten, gehörte auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert. Zur Erinnerung: Vaatz hatte der politischen Führung der Polizei in Berlin vorgeworfen, die Zahl der Demonstranten vom 1. August in Berlin kleingerechnet zu haben, außerdem kritisierte die unterschiedlichen Maßstäbe von linken Politikern, mit denen die Black-Lives-Matter-Demonstrationen zuvor gelobt, die Demonstranten vom 1. August dagegen als „Covidioten“ abgekanzelt worden waren.
Das erlaubt einen interessanten Einblick in Kühnerts Maßstäbe. In TE sind – in Interviews oder eigenen Beiträgen – in den letzten Jahren unter anderem der frühere ifo-Chef Hans-Werner Sinn und sein Nachfolger Clemens Fuest zu Wort gekommen, der Unternehmer Heiner Weiss, der Ökonom Bernd Raffelhüschen, das Vorstandmitglied der Deutschen Bundesbank Johannes Beermann, der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Unternehmer wie Christoph Gröner und Klaus-Michael Kühne, die Bundestags-Vizepräsidenten Hans-Peter Friedrich und Wolfgang Kubicki, der damalige Österreichische Außenminister und heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz, der Autor und frühere SPD-Politiker Thilo Sarrazin, der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer, der Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung Carsten Linnemann, Polizeigewerkschafts-Chef Rainer Wendt, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der Migrationsberater der Bundesregierung Gerald Knaus, der Historiker Michael Wolffsohn, der Schriftsteller Uwe Tellkamp, der Althistoriker Egon Flaig, der Medientheoretiker Norbert Bolz und der Autor Asfa-Wossen Asserate oder der Fußballtrainer Felix Magath, um nur einige zu nennen. Den Fragebogen im gedruckten Magazin füllten bisher unter anderem Focus-Gründer Helmut Markwort, Gloria von Thurn und Taxis, Roger Köppel, der Regisseur Joe Schroeder – und im gerade aktuellen Heft Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki aus. Zu den regelmäßigen Autoren zählen der CDU-Politiker Ismail Tipi, der Publizist Rainer Zitelmann, der Liberale und frühere Grünen-Politiker Oswald Metzger, der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler oder von der CDU Klaus-Peter Willsch. Die Liste ist nicht vollständig. Sie wird ständig länger mit Gesprächspartnern aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Sie müssen etwas zu sagen haben.
Möglicherweise hält Kühnert sie alle für unseriöse Stimmen und glaubt tatsächlich, TE sei ein „Rechtsaußenblog“. Es ist weder Rechtsaußen noch Blog. Aber wenn der Vize und möglicherweise nächste SPD-Parteichef sich mit allen Genannten anlegen möchte, dann ist seine Zeit jedenfalls gut ausgefüllt.
Kühnerts Attacke auf Vaatz und TE weist auf ein grundsätzliches Problem der SPD hin: Sie verfügt kaum noch über Spitzenpersonal mit einer normalen Berufslaufbahn. Ihre Vorsitzende Saskia Esken verbrachte bekanntlich nur sehr wenige Jahre mit Erwerbsarbeit. Kühnert selbst brachte bekanntlich sein Studium nicht zu Ende, als Arbeitserfahrung kann der 31jährige auf gelegentliche Jobs in Call-Centern verweisen. Damit fühlt er sich gut für seine Bundestagskandidatur gerüstet, die er gerade bekanntgab.
Bei ihrem Austritt aus der Partei nach 40 Jahren hatte Ursula Sarrazin kürzlich geschrieben, die SPD sei zu einer „Sekte“ verkommen, in der „die Wirklichkeit nicht mehr beschrieben werden darf“.
Mit dem Beschreiben der Wirklichkeit haben Leute in der Tat Probleme, die noch nie Kontakt mit der Berufswirklichkeit hatten. Wer nur die Welt von sozialistischen Kaderzirkeln kennt, dem kommen irgendwann praktisch alle außerhalb unseriös und rechtsextrem vor. Wahrscheinlich sogar Olaf Scholz. Gegen den gibt es eine Kampagne des linken Parteiflügels („NOlaf“), um ihn als Spitzenkandidat zu verhindern.
Seriöse Stimmen in Berlin spekulieren übrigens darüber, dass Kühnert eigentlich nur ein Ziel verfolgt: den SPD-Vorsitz zu übernehmen und die Fusion mit der Linkspartei zu vollenden.