Eigentlich war es ja zu erwarten gewesen: Die publizistische Breitseite auf den erfolgreichen Wahlkämpfer der Freien Wähler in Bayern, Hubert Aiwanger. Denn 40 Tage vor der bayerischen Landtagswahl zeigen sich schon die Konturen der nächsten Landesregierung, jedenfalls wenn nichts wirklich Wichtiges geschieht:
Die CSU und Markus Söder bleibt irgendwo unter 40 Prozent hängen. 40 Prozent ist für jeden Christdemokraten und für jeden Sozialdemokraten der unerreichbare Wahlkmapfhimmel. Die CSU erwartet von ihren Spitzenkandidaten schon 60-Plus; mit Gegenwartsrabatt mindestens 50 für die Alleinregierung. Bei 38 Prozent oder noch weniger hätte Franz-Josef Strauß verlangt, „dem Bürscherl noch etwas Kunstdünger in die Schuhe zu kippen“, wie er weiland über Kurt Biedenkopf lästerte. In Bayerns Biergärten lacht man über den Witz: „Was ist eine unerfüllbare Aufgabe? Die Position zu finden, die Söder nicht schon gewechselt hat.“
Weil die CSU voraussichtlich schwächelt, fällt der Blick auf die Koalitionspartner. Die FDP ist zu schwach, um die Schwäche der CSU auszugleichen, wenn sie überhaupt in den Landtag kommt. Die SPD schwächelt mit unter 10 Prozent stimmlich zu sehr, um im Lärm der Hofbräuhaus-Schwemme auch nur eine Maß bestellen zu können. Die AfD bleibt ausgesperrt. Bleiben Grüne und wie bisher Freie Wähler. Die Grünen sind der Wunschpartner aller Journalisten, wenn es schon die CSU sein muss. Die Freien Wähler und Aiwanger sind der natürliche Partner, auch weil Aiwanger zwar im Bierzelt den konservativen Revolutionär des Bewahrers gibt, aber im Regierungsalltag hinter Söder scharwenzelt, wenn der eine Baerbock-Wende um 360 Grad macht.
Derzeit liegen Freie Wähler und Grüne in etwa gleichauf; aber den Grünen unter ihrer aufgeregt herumzappelnden Tiktok-Intellektuellen Katharina Schulze bläst halt der kalte Berlin Ostwind um die Ohren. An einem zweistelligen Aiwanger käme die CSU bei der Partnersuche nicht herum.
Das mag man sich bei der Süddeutschen ausgerechnet haben und hat in den biblischen 40 Tagen vor der Wahl ein Flugblatt voller antisemitischer Schmierereien präsentiert, das von Aiwanger stammen soll. Es liest sich wie ein Donnerschlag, um die Freien Wähler zu ducken und die schwarz-grüne Koalition zu promovieren. Das Flugblatt ist zwar so 35 Jahre alt, aber taufrisch, publizistisch so gesehen. Aiwanger hat zunächst die Stellungnahme verweigert, was ihn automatisch schuldig macht. Die Story war zwar irgendwie wacklig, kein Zeuge wollte sich nennen lassen, und so mussten heimlich rückwärts allerlei Konditionalformen wie könnte, vielleicht und womöglich in den bereits veröffentlichten Text eingeschmuggelt werden, um möglichen Klagen ein „so haben wir nicht gemeint, was wir geschrieben haben“ entgegen halten zu können. Der Höhepunkt war dann am Samstag die Story „Das verräterische W“ der SZ: Ein Schreibmaschinen-Gutachten, präsentiert in heiligem Ernst von der Süddeutschen Zeitung: Ein „W“ auf dem Flugblatt weist eine ähnliche Lücke auf die ein „W“ in einer von Aiwanger vorgelegten Schülerarbeit.
Man staunt. Es gibt zwar keine Schreibmaschinen mehr, aber Schreibmaschinen-Buchstaben-Begutachter.
Zu dem Zeitpunkt allerdings hatte sich Aiwanger bereits als Autor enttarnt, allerdings nicht Hubert, sondern sein Bruder.
Auf bayerischen Bauernhöfen ist Blut eben noch dicker als Druckerschwärze.
Vollends ist jetzt die Story der Süddeutschen der Lächerlichkeit preisgegeben. Das kommt davon, wenn Zeitungen den Wahlkampfhelfer geben. Aber ein paar Fragen bleiben.
Es ist ja schon hundsgemein, Schriftstücke eines 17-Jährigen heranzuziehen, um die politische Karriere eines Mit-Fünfzigers zu zerstören. Man sollte sich erinnern, dass unsere Staatsmänner der Extra-Klasse wie Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz allesamt bei linksradikalen Organisation tätig waren und als zwar junge, aber längst Erwachsene auf Knien in Ost-Berlin und Moskau angereist sind. Nicht vergessen Joschka Fischer, der als erwachsener Steineschmeisser gezeigt werden konnte und mit seiner „Putztruppe“ Frankfurter Juden verfolgte, die die Frechheit besaßen, deutsche Immobilien ihr Eigentum zu nennen und gegen Besetzer verteidigen zu lassen. Fischer geriet außerdem in Verdacht, weil sein Auto eine Pistole transportiert haben soll, mit der der hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry (FDP) erschossen wurde.
Selbstverständlich war es das Auto, ohne Zutun von Fischer, man kennt solche Fälle ja neuerdings, wo sich Autos selbständig machen oder wie im Falle Fischer einem „Freund“ überlassen werden. Aber selbstverständlich sind das Jugendsünden, die den jungen Mann zum Staatsmann reifen lassen, während es bei Aiwanger beim Nazi bleibt. Es lohnt daher, die Reaktionen zu beachten. „Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger aufgefordert, Vorwürfe gegen ihn wegen eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten umgehend aufzuklären. „Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden und zwar vollständig“, sagte Söder am Samstag am Rande eines Termins in Augsburg“, so die weitverbreitete dpa-Meldung. Das klingt weder staatsmännisch noch Vertrauensstiftend und schon gar nicht freundschaftlich über einen Mann, mit dem man fünf Jahre am Kabinettstisch sitzt und sich wünscht, dort weitere fünf zu sitzen. Markus Söder wäre es schon ganz recht gewesen, Aiwanger zu entsorgen, in der Politik gibt es ja bekanntlich keine Freundschaft, nur Interessen. Freundschaft braucht es nicht, wenn doch die Grünen als Koalitionspartner zum Einspringen bereit stehen und der Jubel der Süddeutschen Zeitung gewiss gewesen wäre. Mit den Grünen wäre die angekündigte Berufung eines bayerischen „Queer-Beauftragten“ durch Markus Söder sicherlich eine großes, buntes Regenbogenfest geworden.
Konkurrenzparteien der CSU hatten es nie leicht. In den 50er-Jahren kassierten die Chefs der „Bayernpartei“, die vorübergehend in einer Koalition unter anderem mit FDP und SPD die CSU aus der Regierung verdrängt hatte, bittere Strafen: Sie rückten für mehrere Jahre ins Zuchthaus ein, nachdem man ihnen einen Meineid- Prozess wegen belangloser, aber beeideter Aussagen gemacht hat. Der damalige CSU-Generalsekretär Fritz Zimmermann erhielt eine milde Strafe für seinen Meineid, wobei das Urteil auch noch aufgehoben wurde: wegen Unterzuckerung. Die Ehre war wiederhergestellt und Zimmermann Bundesminister von 1982 bis 1991.
Es war eben immer schon gefährlich, in Bayern der CSU zu nahe zu treten, und neuerdings scheint es noch gefährlicher zu sein, schwarz-grün zu gefährden. Aber so weit ist es nicht, noch nicht. Vorerst, bis zum Auftauchen weiterer „Jugendsünden”, ist Aiwanger gerettet und gestärkt, denn der Angriff der Süddeutschen ist nur peinlich und widert an. Und für Söder war es diese eine Wendung zu viel, die doch ein paar Wähler eher abschrecken könnte, die erwarten, dass man anders miteinander umgeht unter Erwachsenen.