Erwin Manz ist noch im Amt. Gut. Außerhalb von Rheinland-Pfalz wird kaum einer den Mann kennen. Innerhalb übrigens auch nicht. Müsste man den Biologen klassifizieren, wäre er ein graustichiges Mauerblümchen, das sich im Politapparat hochgedient hat, bis es als Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Umweltministerium ausgewachsen war. Mit 61 Jahren – danach kommt nur noch der Ruhestand.
Das wäre auch so gewesen, wenn er am Tag vor der katastrophalen Flut im Ahrtal nicht so folgenschwer versagt hätte. Manz war es, der erfuhr, dass sein Haus gefährlichen Unsinn verbreitet hatte. Nämlich, dass an der Ahr gar nicht mit einer so schweren Flut zu rechnen sei. Und auch er war es, der entschied, es genüge, diesen gefährlichen Unsinn einen Tag später zu korrigieren. Doch an diesem Tag später hatte die Flut 134 Menschenleben gekostet. Darunter das Leben der Bewohner eines Behindertenheimes. Hilflose Menschen, deren Evakuierung nicht rechtzeitig eingeleitet wurde. Manz ist immer noch im Amt. Wie auch immer die Grünen das erklären mögen.
Doch auch wenn der Fall Anne Spiegel noch ein Thema ist, ist Manz keines. Zum einen ist er als rheinland-pfälzischer Staatssekretär schlicht nicht so wichtig. Zum anderen berührt er nicht annähernd so stark das grüne Selbstverständnis, wie es der politische Untergang seiner ehemaligen Chefin getan hat. Mit Spiegel ist der Partei eine linke Frau weggebrochen – ein Profil, das sie am liebsten zur Bundeskanzlerin machen würden, wenn die Wähler nicht auf so etwas wie Lebensläufe achten würden. Vor allem aber hat Spiegels von medialem Druck erzwungener Rücktritt das grüne Selbstverständnis in Frage gestellt.
Das grüne Selbstverständnis, das da lautet: Wir sind die Guten. Und folgerichtig ist, was die Grünen machen, ist gut und edel und wichtig. So gut und so edel, dass eine Grüne nicht einfach sang- und klanglos abtreten kann. Nach nur vier Monaten im Amt. Nein, ihre Arbeit muss „unglaublich gut“ gewesen sein – auch wenn sie keine 20 Wochen gedauert hat. Und ihr Abgang geprägt sein durch eine „Transparenz und Offenheit, wie sie es sonst nicht gibt“, wie Grünen-Chef Omid Nouripour schwärmte. Eigentlich hatte Spiegel nachweislich Medien und ihre eigene Partei angelogen. Aber in einem Land, in dem Schulden nun Sondervermögen heißen, darf man Lügen gerne auch „Transparenz und Offenheit, wie sie es sonst nicht gibt“ nennen.
Und so hält sich der Hashtag „#AnneSpiegel“ noch in den Trends, obwohl die Namensgeberin schon zwei entscheidende Tage in Richtung Vergessenwerden hinter sich gebracht hat. Wobei es mehrere Argumente in den Verteidigungen gibt. Das eine lautet, Spiegel sei halt überfordert gewesen.
Wobei ihre Kritiker ja auch nichts anderes sagen.
Andere Spiegel-Verteidiger versuchen sich in Whataboutism:
Und wenn gar nichts hilft, muss ihre Arbeit halt überhöht werden. Die Arbeit von gerade mal vier Monaten.
Spannend ist aber, dass sich Medienvertreter vehementer vor Spiegel stellen, als es grüne Parteigänger tun. Denn für sie hängt noch viel mehr vom Selbstverständnis der Grünen als die Guten ab, als es für die Partei der Fall ist. Denn wenn die Grünen eine Partei wie jede andere auch sind, sind sie selbst nur Claquere, die das Gebot zur Unabhängigkiet ignorieren. Nur wenn die Grünen die Guten sind, schreiben auch sie selbst im Auftrag der Weltrettung.
Und so beginnt denn die Verteidigungs-Tortur. Die Zeit sieht in Spiegels Lügen und Pflichtversäumnissen das „Recht auf Atempause“. Für die Kolumnistin Hatice Akyün ist jede Kritik an Spiegel „Gegeifere“, das so tue, „als hätte es Maskendeals und 9999 Euro Spendendinner nie gegeben“. Mit der gleichen Logik könnte der Mörder Freispruch verlangen, weil es ja schließlich schon Doppelmorde gegeben hat. Die Kolumnistin Sibel Schick zieht – endlich – die Frauenkarte: „Es geht um den sexistischen & fortschrittsfeindlichen Doppelstandard, dass konservative Männer immer unschuldig seien und im Amt bleiben dürfen, egal wie korrupt und fehlerhaft sie sind.“ Wobei man – und gerne auch frau – den Grünen in Rheinland-Pfalz Schicks Worte mit auf den Weg geben möchte: Wenn Spiegel zurücktreten musste, sollte Erwin Manz ihr folgen. Schon im Sinne der Geschlechter-Gerechtigkeit.