Auf dem Pariser Platz ist eigentlich alles wie immer: Touristen versuchen, sich vor dem Brandenburger Tor für den besten Schuss für Instagram in Szene zu setzen. Direkt hinter dem Tor ist eine Bühne aufgebaut. Nichts Ungewöhnliches für die Hauptstadt. Das passiert fast täglich. Dieses Mal haben die Freien Bauern zur Demonstration eingeladen.
Im Vorfeld hat es eine Kampagne gegeben. Von den Teilen der Medien, die sich nicht mehr als Kontrolleure der Mächtigen verstehen, sondern ihre Leser, Zuhörer und Zuschauer auf Kurs halten wollen. Stichwort Haltung zeigen. Vom „Mähdrescher-Mob“ schreibt die TAZ. Und die Redakteure der üblichen grünen Medien tun das, was sie seit acht Jahren tun: Den Nazi in jedem suchen, der nicht mit ihnen auf Linie ist. Diese Journalisten müssen gar nicht lange auf dem Platz des 18. März bleiben. Dort sind vereinzelt auch schwarz-rot-goldene Fahnen zu sehen. Für diesen Teil der Medien reicht das schon, um die üblichen Naziverdachts-Beiträge zu produzieren.
Doch es lohnt sich, durch die Reihen zu gehen. Vom Platz des 18. März über die Straße des 17. Juni. Unter den Tausenden von Demonstranten finden sich nicht nur Landwirte. Manche tragen die Arbeitsjacke einer Spedition. Andere outen sich durch ihre Berufskleidung als Dachdecker, Bauarbeiter, Sanitär- oder andere Handwerker. Menschen halt, die einer Arbeit nachgehen. Nicht wie so oft bei der Letzten Generation Studenten oder Arbeitslose, die keiner vermisst, wenn sie auf einer Straße kleben.
Wieder stehen hunderte Traktoren sowie andere landwirtschaftliche Fahrzeuge auf der Straße des 17. Juni bis hin zur Siegessäule – und darüber hinaus bis zum Ernst-Reuter-Platz. Doch dieses Mal haben sich auch andere Fahrzeuge darunter gemischt. Zugmaschinen von Speditionen oder Betonmischer. Würden diese Demonstranten mit den gleichen Methoden der Letzten Generation arbeiten, könnten sie die ganze Stadt lahmlegen. Denen reichen fünf mal fünf Mann, um fünf Hauptverkehrsadern gleichzeitig abzuwürgen. Hier ist der Protest darauf angelegt, sichtbar zu sein. Dazu muss er stören. Aber das Stören ist in dem Fall nicht der Zweck. Die Bauern haben es anders als die Letzte Generation nicht nötig, eine Massenbewegung zu simulieren – sie sind eine Massenbewegung.
„Wir kommen nicht für eine ‚4-Tage-Woche‘ oder 2 Euro mehr Lohn. Wir kämpfen um unsere Existenz“, heißt es auf einem Banner. „Wir lassen uns nicht mehr länger verampeln“, auf einem anderen. Die Ampel ist das Ziel ihrer Politik. Anlass für die Demonstration waren die Besteuerung von landwirtschaftlichen Fahrzeugen durch die Ampel und die Verteuerung des Agrardiesels. Die Besteuerung hat Olaf Scholz’ (SPD) Regierung zurückgenommen, den Agrardiesel will sie nun schrittweise verteuern. Das sollte den Bauernprotesten den Wind nehmen. Das Kabinett hat am gleichen Tag der Demonstration beschlossen, die Verteuerung des Agrardiesels durchzuziehen. SPD, Grüne und FDP scheinen nicht auf die Bauern zugehen zu wollen.
Die Bauern wiederum lassen sich nicht durch „faule Kompromisse“ den Wind nehmen, sagt Frerk Arfsten vor dem Brandenburger Tor. Der Bauer aus Havelberg hat die Kundgebung angemeldet. Bundesweit sind zigtausende Bauern unterwegs. Unter anderem in Potsdam, Dresden, Köln, München und Erfurt. Im Internet machen Bilder die Runde von Bauern, die mit ihren Traktoren Platz machen, wenn Rettungskräfte durch wollen. Ansonsten legen sie mit ihrem Protest Straßen lahm. Für einen Tag. Morgen arbeiten die meisten wieder. Anders als Studenten und Arbeitslose.
Die Rücknahme der Steuern auf landwirtschaftliche Fahrzeuge ändere nichts, sagt Arfsten. Zum einen, weil die Verteuerung des Agrardiesels ja bleibe. Vor allem aber wegen der Gängelung, der sich die Bauern ausgesetzt sehen. Durch eine Bürokratie in Berlin und Brüssel, in der fachfremde Mitarbeiter in ihren Büros besser als der Landwirt wissen wollen, wann der was anpflanzen soll. Durch Monopolisten in der Abnahme der Produkte. Zwar verspreche die Politik, zu helfen – tue aber nichts.
Der politische Referent der Freien Bauern, Reinhard Jung, erinnerte daran, dass in der Woche vor Weihnachten die Freien Bauern nicht vorm Brandenburger Tor sprechen durften. Der Deutsche Bauernverband hat es verhindert. Der ist auf die Kampagne der grünnahen Medien voll eingestiegen und entschuldigt sich nun präventiv für jeden, der im Rahmen der Proteste etwas sagt, was den grünnahen Medien missfällt. Ob er wirklich Bauer ist oder nicht. Der Bauernverband will zwar hart demonstrieren, aber den warmen Platz in den Lobbys der Ministerien und die Sympathie der Medien nicht verlieren.
„Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) gibt den Ton der Wehleidigkeit vor. In einem Netzvideo erklärt er zwar, dass er den Unmut der Bauern verstehe, will dann aber bestimmen, was ihnen an Protest erlaubt ist – und vor allem, was nicht. Der Protest bin ich, ist dabei das Motto des grünen Vordermanns. Wenn es um grüne Themen geht, dürfen Demonstranten für gewöhnlich Steine auf Polizisten werfen, Barrikaden anzünden und Rettungskräfte wie Arbeitnehmer blockieren. Aber geht es nach Habeck, dürfen Bauern ihren Protest nur gemäßigt laut vortragen, in gesetzten Worten, dabei niemandem im Weg sein, am besten bei sich zuhause und auch dann immer noch die Grünen wählen. Denn jede Stimme, die grüne Politik ablehnt, ist für Habeck ein Angriff auf die Demokratie.
So sehr sieht Habeck schon sich selbst und Demokratie als eine Einheit, dass er Uneinigkeit mit ihm als Ablehnung der Demokratie versteht. Er ist auch nur noch umgeben von Politikern und Journalisten, die das genauso sehen. Er täte gut daran, die nächste Demo der Bauern zu besuchen. Dann sieht er auf den Bannern, welche Themen die Menschen beschäftigt: buchstäblich die Angst ums tägliche Brot. Er wird merken, dass das Leben auf dem Pariser Platz normal weitergeht, wenn Bauern demonstrieren. Was sich bei Demonstrationen pro Palästina nicht immer sagen lässt. Doch dass Habeck wie andere Politiker auch in einer Blase lebt, in der die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen nicht mehr wahrgenommen werden – genau das führt dazu, dass die Bauern so entschlossen auf die Straße gehen. Und sich immer mehr Berufsgruppen anschließen.