Mit der Übernahme des Vorsitzes in drei Ausschüssen durch Abgeordnete der AfD tut die im Bundestag neue Partei den ersten Schritt zur Einfügung in den deutschen Parteienstaat, der sich seit der ersten großen Koalition in der Bonner Republik immer größere Teile von Staat und Gesellschaft gefügig gemacht hat.
Seit Richard von Weizsäcker sein inzwischen historisches Wort von der Machtversessenheit und Machtvergessenheit der Parteien sprach, ist alles nur noch schlimmer geworden. Der alles durchdringende Parteienstaat ist zur Karrieremaschine und zum Selbstbedienungsladen der Parteien missraten. Um politische Entwürfe geht es längst nicht mehr, sondern nur noch um die Begünstigung der bedingungslos Gehorsamen und die Ausgrenzung und Benachteiligung derer mit eigenem Willen.
Die erklärten Feinde der AfD beschwören dieselbe als Wurzel allen Übels und als Ende der Demokratie. Die erklärten Freunde der AfD erwarten von ihr die Lösung aller Probleme und das Ende des Übels. Beide werden schneller, als viele denken, erleben, dass die AfD eine Partei wie alle anderen deutschen Parlamentsparteien wird.
Der Parteienstaat ist in einer einzigen Hinsicht nahezu perfekt: als Einschleifmühle neuer Parteien. Diese Perfektion hat kein genialer Kopf geschaffen, sie ist einfach das Egebnis des betörenden Charmes des Berufs Politik als fünfte Sparte des öffentlichen Dienstes, als allerhöchster Dienst: der einzigen ohne Eingangsvoraussetzungen und zugleich der höchst bezahlte.
Der nächste Schritt der Domestizierung ist eine eigene politische Stiftung für die AfD. Das markierte auch den Break Even Point bei den Grünen. Am längsten dauerte es, bis die damals schon länger etablierten Parteien die Grünen in ihren Kreis aufnahmen, deutlich kürzer bei der PDS – heute Die Linke. Bei der AfD wird es noch schneller gehen.
Die Anhänger der AfD werden das empört zurückweisen, klar, sonst wären sie ja keine Anhänger. Aber die Lebenserfahrung hat mich gelehrt, dass auf die Zugänglichkeit der Zeitgenossen für Annehmlichkeiten deutlich mehr Verlass ist als auf Prinzipientreue und Ablehnung von Privilegien, die sich solange gut scharf verurteilen lassen, so lange sie nicht erreichbar sind. Sie erinnern sich: der Fuchs und die sauren Trauben.
1994 schrieb ich für die Kolumne „Standpunkt“ des Focus einen Beitrag zum Zustand der FDP. Ich war damals noch CEO der Naumann-Stiftung und ständiger Gast des Präsidiums der FDP (wo ich fast 20 Jahre nahezu jede Woche politischen Nahunterricht erlitt). Zur Erinnerung: Eine Bundestagswahl stand vor der Tür und bei der nächsten ging es so aus, wie ich in diesem Standpunkt prognostizierte. 1998 wurde zum ersten Mal eine Bundesregierung glatt abgewählt. In meinem Text begründete ich, warum die FDP eine Zukunft nur als radikale Programmpartei hätte und nicht als kleines Volksparteilein, das sein Monopol als politischer Mehrheitsbeschaffer an die Grünen verlor und nun die PDS als weiterer Mehrheitsbeschaffer auf den Plan tritt. Was ich über die FDP schrieb, interessierte Helmut Markwort nicht, aber dass die PDS auch Koaitionspartner werden könnte, empfand er damals als verblüffend neuen Gedanken. Nur deshalb erschien mein Text. Hier ein Auszug:
«Dann nahmen die Grünen der FDP ihr Monopol als Mehrheitsbeschaffer: Damit begann die existentielle Bedrohung der arithmetischen Koalitionsfunktion. Nun kommt auch im Westen die PDS hinzu: als „echte“ sozialistische Partei. Sie reduziert die FDP zum Mehrheitsbeschaffer im „bürgerlichen Lager“. Das wird am 16. Oktober in Bonn noch einmal reichen – etwa mit der Botschaft: Drei Zentner Kohl brauchen Diät – Zweitstimme FDP.
Für die FDP, die am 17. Oktober einfach so weitermachte, käme das Aus. Die PDS wird SPD und Grünen „Linke“ wegnehmen. Wechseln Jusos zur PDS und Julis zu den Grünen? SPD und FDP haben Jugendorganisationen schon einmal verloren. Die Tarnkappen-Allianz von SPD und PDS (Lambsdorff: PDSPD) treibt alte SPD-Wähler zur CDU. Für „Sozialliberale“ werden so SPD und Grüne noch wählbarer: Partner der „Besserverdienenden“ geben ihre Zweitstimmen nur noch den Grünen. Schwarz kann mit Grün regieren oder mit den Radieschenroten oder allein. – Kein Markt mehr für die alte FDP.»
Das notwendige radikale Aufbrechen des Parteienstaats als Voraussetzung für die Repolitisierung der entpolitisierten Republik wird dadurch auf den Tag verschoben, an dem eine wirklich neue politische Kraft in die deutsche Politik tritt. Ich meine damit keine Partei, denn der würde es genau so ergehen, wie es nun der AfD vorgezeichnet ist. Trotzdem oder besser deswegen bin ich sicher, dass weitere neue Parteien entstehen werden. Je schneller die AfD vom System Parteienstaat assimiliert wird, desto früher.
Eine wirklich neue Kraft hingegen braucht eine Person mit dem nötigen Charisma und einen virtuosen Umgang mit den neuen Medien. Dort findet die öffentliche Willensbildung statt. So wie die Parteien diese Rolle an die Massenmedien verloren, vor allem an das Fernsehen, verlieren die alten Medien ihre Rolle an die neue Kommunikationswelt, die erst begonnen hat, sich zu entfalten. Facebook, Twitter und so weiter sind nicht die neue Kommunikationswelt, wie die alten Medien mit ihren naiven Online-Ablegern meinen. FB und Co sind nur der erste kleine Schritt. Entwickelt wird diese neue Welt in den U.S. und in China. Der Rest der Welt steckt im alten Kommunikationszeitalter und merkt es nicht einmal.
Dass sich der ganze Westen in einer tiefen Krise befindet, lässt sich von Washington bis Peking verfolgen, am wenigsten im deutschen Hauptstadt-Berlin und dem EU-Funktionärssilo Brüssel. Aber nur Mut, das wird schon. Unerwartet, wie meist in der Geschichte.