Noch heute erinnern sich die meisten Ostdeutschen, die jetzt in ihrer Lebensmitte stehen, genau an den Tag, an dem sie plötzlich D-Mark-Besitzer wurden. Am 1. Juli 1990, einem Sonntag, reihten sie sich oft schon am Morgen in die Schlange vor der ausnahmsweise geöffneten Sparkasse ein, um Geld abzuheben: hartes Westgeld, das bis dahin in der DDR ebenso begehrt wie für die meisten unerreichbar gewesen war. Es war der Tag, an dem in Deutschland der Staatsvertrag über die „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ in Kraft trat.
Warum der westdeutsche Finanzminister Theo Waigel und sein DDR-Kollege Walter Romberg, die den Staatsvertrag am 18. Mai 1990 unterschrieben, dieser Regelung zugestimmt hatten, ist eines der vielen Rätsel der deutschen Vereinigung. Fakt ist, dass sie damit die entmachtete SED, die sich im Februar in PDS umbenannt hatte, zur reichsten Partei Deutschlands machten.
Denn anders, als viele denken, war die SED keine Partei im landläufigen Sinne. Sie bildete eine Art Überstaat, dessen Führungsrolle gleich im ersten Artikel der DDR-Verfassung verankert war. Ohne sie konnte in der DDR keine einzige Entscheidung von Belang getroffen werden – ein Machtmonopol, das nicht einmal die NSDAP hatte. In 40 Jahren Alleinherrschaft hatte die SED ein Vermögen angehäuft, von dem heutige Parteien nur träumen können.
Dieses Vermögen wurde im Zuge der Währungsunion zum Kurs von 2:1 auf D-Mark umgestellt. Auf heutige Verhältnisse umgerechnet, waren dies – ohne Inflationsausgleich – mehr als 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kamen rund 90 Millionen D-Mark auf ausländischen Konten, deren Existenz die Partei verschwiegen hatte. Zum Vergleich: Mit 136 Millionen Euro (2018) besitzt die CDU in Gesamtdeutschland heute weniger als ein Zehntel dieser Summe.
„Das ist eine Überlebensfrage“
Einen Großteil dieses Vermögens hat die Partei vor 30 Jahren beiseite geschafft. Gysi selbst war es, der die Delegierten des Außerordentlichen Parteitages im Dezember 1989 beschworen hatte, die SED nicht aufzulösen, da sie dann ihr Eigentum verlieren würde. Wörtlich erklärte er: „Und deshalb scheue ich jedes Risiko, das muss ich sagen, ich scheue jedes Risiko, das uns
in dieser Hinsicht im Bestand gefährdet. Denn das ist eine Überlebensfrage.“ Noch während der Kongress lief, fertigte die Notarin Sabine Herrmann eine Liste der parteieigenen Unternehmen und vermerkte: „Insgesamt erscheint mir das ‚Verstecken des Parteivermögens‘ in vorstehende Betriebe legal.“ Gemeint war die Idee, das Geld von den Konten der Partei möglichst schnell auf die der Parteibetriebe zu verschieben. Fünf Tage später, am 21. Dezember, fasste das Parteipräsidium den Beschluss Nr. 4/89 über „Maßnahmen zur Sicherung des Parteivermögens der SED-PDS“. Dieser sah vor, „wirksame Schritte gegen Angriffe auf das Eigentum der SED-PDS einzuleiten“.
Von ähnlicher Qualität war der Beschluss vom Februar 1990, gut drei Milliarden DDR-Mark „für soziale und kulturelle Zwecke“ an den Staatshaushalt der DDR abzuführen. Auf ihrer Website rühmt sich Die Linke bis heute dieser Tat. Hinter den Kulissen sorgte die PDS allerdings dafür, dass die DDR-Regierung das Geld – „entsprechend den Empfehlungen des Parteivorstandes“, wie Gysi berichtete – unverzüglich an parteinahe Einrichtungen weitergab.
Auch bei den verbliebenen rund drei Milliarden DDR-Mark bediente sich die Partei raffinierter Tricks, um das Geld verschwinden zu lassen. Wie das Berliner Landgericht feststellte, hatte Gysi unter anderem „die Idee entwickelt, sich zur Vermögenssicherung der Vergabe von Darlehen zu bedienen und diese mit Treuhandverhältnissen zu kombinieren“. Die Methode bestand darin, zuverlässigen Genossen Geld zu leihen, die damit ein privates Unternehmen gründeten. Sie waren aber nicht selbst Besitzer, sondern fungierten als Treuhänder der Partei, worüber strikte Verschwiegenheit vereinbart wurde. Das so verschobene Geld sollte später an die SED-PDS zurückfließen.
Um diesen Machenschaften einen Riegel vorzuschieben, beschloss die DDR-Volkskammer am 31. Mai 1990, das Vermögen der DDR-Parteien unter treuhänderische Verwaltung zu stellen. Ab dem 1. Juni durften sie, wie es im neuen Paragrafen 20 b des Parteiengesetzes hieß, „Vermögensveränderungen wirksam nur mit Zustimmung“ der neu gebildeten Untersuchungskommission vornehmen. Gleichwohl vergab die PDS laut einem internen Bericht bis zum 30. Juni 1990 Darlehen in Höhe von 417 Millionen DDR-Mark.
Geldparkplatz Sowjetkonten
Von besonderer Chuzpe zeugte der sogenannte Putnik-Deal, der später vor Gericht landete und deshalb besonders gut dokumentiert ist. Dass Gysi, wie sonst oft, gegen die Aufarbeitung seiner Vergangenheit juristisch vorgeht, ist hier also nicht zu befürchten. Dabei ging es um die Idee der Parteispitze, einen Teil ihres Vermögens auf Konten der sowjetischen Truppen in der DDR zu „parken“. In Absprache mit dem PDS-Präsidium reiste Gysis Stellvertreter Wolfgang Pohl deshalb im Juni nach Moskau. Die KPdSU riet jedoch davon ab, da die Militärkonten den bundesdeutschen Behörden wegen der Vorbereitungen auf die Währungsunion bereits bekannt seien. Stattdessen schlug der Geschäftsführer des sowjetischen Zentralkomitees vor, so zu tun, als hätte die PDS noch Altforderungen der KPdSU zu begleichen. Am besten solle die Partei das Geld an eine sowjetische Firma mit Konten im Ausland überweisen. Das Präsidium stimmte dem Plan sofort zu.
Der damalige Kreisvorsitzende der PDS in Halle, Karl-Heinz Kaufmann, erhielt den Auftrag, sich von der Moskauer Firma Putnik eine Generalvollmacht ausstellen zu lassen und damit im In- und Ausland diverse Konten einzurichten. Gleichzeitig verfasste er im Namen von Putnik mehrere Mahnschreiben, in denen er gegenüber der Partei Altforderungen in Höhe von 107 Millionen D-Mark geltend machte. Zwölf Millionen D-Mark sollte zum Beispiel die angebliche Behandlung der Augen- krankheiten von Dritte-Welt-Studenten gekostet haben, 25 Millionen die Errichtung eines „Zentrums der Internationalen Arbeiterbewegung“. Anschließend veranlassten Parteivize Pohl und PDS-Finanzchef Wolfgang Langnitschke, dass die Gelder überwiesen wurden. Für seinen Einsatz erhielt Kaufmann in Absprache mit dem Parteipräsidium 3,2 Millionen D-Mark.
Doch die Empfängerbanken machten der PDS einen Strich durch die Rechnung. Sie schöpften Verdacht, sperrten die Beträge und informierten das Bundeskriminalamt. Noch am selben Tag, dem 18. Oktober 1990, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Da Deutschland seit zwei Wochen wiedervereinigt war, konnten Beamte ungehindert die Berliner Parteizentrale und Kaufmanns Wohnung durchsuchen.
Als Gysi am Abend des 25. Oktober 1990 zurückkehrte, fand noch in derselben Nacht eine Krisensitzung in der Wohnung von Hans Modrow, dem letzten SED-Ministerpräsidenten der DDR, statt. Man vereinbarte, dass Pohl und Langnitschke am nächsten Tag die alleinige Verantwortung für die misslungene Schieberei übernehmen sollten. Während Pohl sich umstandslos dazu bereit erklärte, lehnte Langnitschke ab, weil er überzeugt war, im Auftrag der Partei gehandelt zu haben. Tatsächlich sprach das Landgericht Berlin beide 1995 vom Vorwurf der Untreue frei, „da sie im Auftrag und mit Wissen der Verantwortlichen der PDS sowie ohne persönliche Bereicherungsabsicht mit dem Ziel gehandelt hätten, die entsprechenden Gelder für die PDS zu sichern“.
Umdeutung von Urteilen
Gysi deutete den Freispruch später so um, als wäre damals die PDS freige- sprochen worden. „Gerade an diesem Fall wird deutlich, mit welcher Unverfrorenheit und Zielstrebigkeit die SED-PDS/PDS gegen die Vorschriften des Parteiengesetzes der DDR verstoßen hat“, resümierte 1998 der KoKo-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages: „Er verdeutlicht auch, dass die Parteispitze, insbesondere auch Dr. Gysi, diese Aktivitäten maßgeblich veranlasst und gesteuert hat.“
Dass die Hintergründe überhaupt bekannt wurden, ist allein PDS-Finanzchef Langnitschke zu verdanken. Er gab dem Ausschuss umfassend Auskunft, während Gysi die Aussage verweigerte. Wenig später, am 8. Juni 1998, wurde
Langnitschke in der Schweiz auf einem Zebrastreifen tödlich überfahren.
Der Vergleich war für die Partei ein gutes Geschäft. Das bis dahin bekannt gewordene Altvermögen war ihr ohnehin bereits entzogen worden. Und das, was nicht wieder aufgetaucht war, würde wohl auch in Zukunft kaum mehr zu finden sein. Wenn Linke-Politiker heute verkünden, die Partei hätte damals auf das gesamte SED-Vermögen „verzichtet“, erinnert das an einen Bankräuber, der seine Beute erfolgreich vor der Polizei versteckt hat und dann erklärt, dass er keine Ansprüche mehr darauf erhebt.
Immerhin konnte die Untersuchungskommission in 16-jähriger Arbeit mehr als eine Milliarde Euro an Immobilien, Geldbeständen und anderen Vermögenswerten sicherstellen. Keiner der Verantwortlichen wurde jemals zur Rechenschaft gezogen, denn die Volkskammer hatte es versäumt, für Verstöße eine Strafe festzulegen. Nur ein einziges Mal musste Gysi ein Ordnungsgeld zahlen – 900 Euro, weil er sich geweigert hatte, vor dem KoKo-Untersuchungsausschuss über den Verbleib des Milliardenschatzes auszusagen.