Es bahnt sich womöglich ein grundlegender Machtkampf zwischen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem deutschen Bundesverfassungsgericht (BVG) an. Nur eine kurze Pressemitteilung zum Aufsehen erregenden Urteil des BVG über die Verfassungswidrigkeit des Anleihenkaufprogramms der EZB veröffentlichte der EuGH – aber die hat es in sich. Denn darin sprechen die Richter in Luxemburg den Richtern in Karlsruhe glatt die Kompetenz ab. Nur er sei dafür zuständig, das Handeln einer EU-Institution zu beurteilen.
Da steht zwar zunächst lapidar: „Die Dienststellen des Gerichtshofs kommentieren Urteile nationaler Gerichte nicht“. Aber dann tut die Pressemitteilung letztlich sogar noch mehr. Es ist ein unmissverständlicher Rüffel: „Ganz generell kann auf die ständige EuGH-Rechtsprechung hingewiesen werden, wonach ein im Vorabentscheidungsverfahren ergangenes EuGH-Urteil für das vorlegende nationale Gericht bindend ist. Um die einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu wahren, ist nur der zu diesem Zweck von den Mitgliedstaaten geschaffene EuGH befugt, festzustellen, dass eine Handlung eines Unionsorgans gegen Unionsrecht verstößt. Meinungsverschiedenheiten der mitgliedstaatlichen Gerichte über die Gültigkeit einer solchen Handlung wären nämlich geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung aufs Spiel zu setzen und die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen. Wie andere Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten sind auch die nationalen Gerichte verpflichtet, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren. Nur so bleibt die Gleichheit der Mitgliedstaaten in der von ihnen geschaffenen Union gewahrt. Der Gerichtshof wird sich in dieser Angelegenheit nicht weiter äußern.“
Der EuGH will also klarstellen, dass er über den höchsten nationalen Gerichten steht und keinen Widerspruch von ihnen dulden will. Das Verfassungsgericht hatte am Dienstag geurteilt, dass der Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB teilweise gegen das Grundgesetz verstößt, weil Bundesregierung und Bundestag die EZB-Beschlüsse nicht geprüft haben. Das höchste deutsche Gericht hat sich damit erstmals über ein Urteil des EuGH hinweggesetzt und dessen Begründung widersprochen.
Nach Angaben des Spiegel prüft die EU-Kommission nun sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung des BVG-Urteils gegen europäisches Recht verstoße.
Nun wird erneut deutlich, was Kritiker schon lange thematisieren: Dass der EuGH sich nicht nur als ein neutrales Gericht, sondern letztlich auch als treibende Kraft der europäischen Einigung betrachtet. Und das Urteil des BVG wird offensichtlich von den Luxemburger Richtern als ausreichender Anlass für eine grundlegende Machtdemonstration betrachtet. Das Signal aus Luxemburg für die Bundesregierung dürfte eindeutig sein: Wagt es bloß nicht, das Urteil eures Verfassungsgerichts zu befolgen und das Anleihekaufprogramm ergebnisoffen zu prüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundesregierung dies ernsthaft vorhat, ist vermutlich ohnehin eher gering. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass die Regierenden Urteile aus Karlsruhe letztlich tatenlos zur Kenntnis nehmen.