Die Graichen Affäre offenbart vor allem eins: Die deutsche „Energiewende“ und Dekarbonisierung der gesamten Volkswirtschaft ist gescheitert. Es ist das Projekt einer kleinen verschworenen Gemeinschaft, deren Mitglieder zwischen NGOs, Parteien und Ministerien hin und her wechseln und den „Energiewendestaat“ bilden, schreibt Michael Sander.
Die Grundidee war von Anfang an sowohl technisch, als auch ökonomisch fragwürdig. Technisch, weil ein Stromnetz nunmal kein Speicher ist und daher zu jedem Zeitpunkt immer genauso viel eingespeist werden muss, wie verbraucht wird, sonst bricht es zusammen. Wind und Sonne liefern den Strom jedoch nach Wetterlage und Sonnenstand und nicht nach Bedarf. Es braucht daher grundlastfähige Backup-Kraftwerke, welche gegebenenfalls hoch- und runterfahren können, je nachdem, ob „Erneuerbare” einspeisen oder nicht. Als CO2-arme Technologien kommen dafür nur Wasserkraft und Kernkraft in Frage.
Alle anderen Länder mit vergleichbaren Dekarbonisierungszielen setzen entweder auf das eine oder das andere. Doch Wasserkraft in nennenswertem Umfang hat Deutschland nicht und letzteres will Deutschland nicht. Das Backup für „Erneuerbare” ist daher fossil, weshalb Deutschland bisher zuverlässig seine „Klimaziele” verfehlt. Doch nicht nur das: Eine parallele Energieinfrastruktur ist teuer, vor allem, wenn diese den ungeliebten fossilen Strom nur einspeisen darf, wenn Wind und Sonne nicht liefern. Hinzu kommen die enormen Kosten für den Aufbau eines gewaltigen Wind-Maschinenparks, der trotzdem nie ausreicht und der aufgrund des hohen Verschleißes auch ständig erneuert werden muss. Deshalb ist Deutschland zwar weltweit führend bei den Strompreisen, nicht jedoch beim „Klimaschutz”. Die Alternative wären Speicher, doch diese gibt es nicht, jedenfalls wiederum nicht in nennenswertem Umfang. Angedacht ist die Produktion von Wasserstoff aus Überschussstrom, der dann an dunklen und windarmen Tagen wieder in geeigneten Gaskraftwerken (gibt es noch nicht) rückverstromt werden soll.
Doch dies würde neben dem Aufbau gewaltiger Wind-Überkapazitäten nochmal eine weitere teure Infrastruktur erfordern und ob diese dann wirtschaftlich betrieben werden könnte, steht in den Sternen. Die deutsche „Energiewende” bleibt trotz Milliardeninvestitionen eine Utopie. Die trotzige Aufforderung, nun erst Recht in den Ausbau zu investieren, bedeutet letztendlich, gutes Geld schlechtem Geld hinterherzuwerfen.
Dass man diesen Irrweg in Deutschland mehr als 20 Jahre lang verfolgen konnte, und auch das macht die Graichen-Affäre nochmal schmerzlich bewusst, liegt daran, dass die „Energiewende” von Anfang an als Elite-Projekt einer kleinen Szene von überzeugten Verfechtern betrieben und gegen jede Kritik abgeschirmt wurde. Diese Szene besteht, wie Anna Verona Wendland in einem Tweet treffend bemerkt, aus eigens gegründeten “NGOs, Lobby-Organisationen, Ministerialen & Ex-Ministerialen, die alle in den unterschiedlichen Rollen hin- und herwechseln”. Man kennt sich persönlich, man teilt dieselbe Sichtweise und das gleiche Ziel. Es ist eine informelle, aber nichtsdestotrotz eingeschworene Gemeinschaft.
Frau Wendland nannte es passend den „Energiewendestaat”. Kritiker werden von Vertretern dieser Szene zuverlässig abgekanzelt, und die Rahmsdorfs, Kemferts und Holzheus sorgen dafür, dass der Strom der Desinformation nicht abreißt. Viele Journalisten, welche die Ziele der „Energiewende” teilen, den Weg dorthin jedoch nie in Frage stellten, tun ein Übriges, den exekutiven Apparat in den Ministerien gegen jede Kritik von außen zu immunisieren.
Diesen exekutiven Apparat verkörpert Patrick Graichen wie kein anderer. Dass die „Energiewende” trotz unterschiedlicher Bundesregierungen immer weitergetrieben wurde, ist auch sein Verdienst. Jetzt, wo der politische Arm der Bewegung, die Grüne Partei, Graichens Partei, an den Schalthebeln der Macht angekommen ist, scheint die Zeit des Durchregierens gekommen zu sein.
Die rücksichtslose Exekutierung des Atomaustiegs mitten in einer beispiellosen Energiekrise war ein erster Vorgeschmack. Mit dem Heizungsgesetz, an dem Habeck mit aller Gewalt festhalten will, soll nun das offenkundige Versagen des gesamten Konzeptes erneut auf die Privathaushalte abgewälzt werden. Der Nutzen für den CO2-Ausstoß ist zwar auch hier kaum erkennbar, wie eine parlamentarische Anfrage ergab, doch das ficht den „Energiewendestaat” nicht an. Denn das Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele noch erreichen kann, erscheint immer unwahrscheinlicher und das macht vor allem die Grüne Partei nervös, die ihrerseits von ihren radikalen Unterstützern auf der Straße unter Druck gesetzt wird. Dass die Ursache des Versagens im Sonderweg der „Energiewende” selbst zu suchen ist, davon will aber niemand etwas wissen. Die Reihen sind fest geschlossen, das Netzwerk steht und auch der Schuldige ist längst ausgemacht: Es ist der Bürger, der Autofahrer, der Fleischesser, der Gas- und Ölheizer, der in den Urlaub Flieger, der durch sein egoistisches und uneinsichtiges Verhalten das „Weltklima” gefährdet und daher zur Räson gebracht werden muss.
Der „Energiewendestaat” ist daher ein strenger, ein autoritärer Staat. Sein Versagen auf der großen Bühne dient ihm als Rechtfertigung, den Bürger und die Industrie mit immer neuen Gesetzen und Auflagen zu schikanieren, weshalb letztere zunehmend das Weite sucht. Der Verlust der Freiheit wird dabei mit einem erschreckenden Schulterzucken als unvermeidbarer Kollateralschaden in Kauf genommen, ebenso wie der Verlust des Wohlstandes durch hohe Preise und eine fortschreitende Deindustriealisierung.
Dieser „Energiewendestaat” muss weg, die Graichens dieser Republik müssen gehen. Das Kapitel autoritärer „Klimastaat” muss beendet werden, bevor noch weiterer Schaden entsteht. Helfen kann dabei die Einsicht, dass die „Energiewende” trotz gewaltiger Anstrengungen auch klimapolitisch nicht von Erfolg gekrönt war und Deutschland im europäischen Vergleich immer noch weit davon entfernt ist, da zu stehen, wo es stehen will und sollte.
Was wir brauchen, ist ein unideologischer Neustart der „Energiewende”, ein Neustart, der auf dem Bestehendem zwar aufbaut, aber keine Technologie ausgrenzt und der das langfristige Wohl des Landes im Blick behält. Und ja, an der Kernkraft führt dabei kein Weg vorbei. Sie ist als CO2-arme und allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz sichere Technologie, als einzige in der Lage, grundlastfähigen und zugleich bezahlbaren Strom im Überfluss zu produzieren. Strom der dringend gebraucht wird, damit die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft auch ohne Zwang gelingt.
Das wird keine leichte Aufgabe in einem Land, wo die naturverklärende Gegenaufklärung seit langem aktiv ist und welches sich seit Jahren eingeredet hat, man könne und müsse das „Weltklima” quasi mit einem Sprint in Deutschland retten, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor. Die Bekämpfung des Klimawandels ist jedoch ein globaler Marathonlauf und dieser Lauf wird an der Technologiefront entschieden. Gerade hier könnte Deutschland liefern, denn es ist immer auch noch das Land der Ingenieure. Gleichzeitig könnte man davon profitieren, wenn die Wertschöpfung durch neue technologische Verfahren wieder im eigenen Land stattfindet, statt diese in andere Länder auszulagern. Dazu brauchen wir eine neue Offenheit gegenüber Technologie, pragmatische und schnelle Genehmigungsverfahren und den Abbau einer wuchernden Bürokratie.
Was wir dabei nicht brauchen, sind Besserwisser in den Ministerien, die meinen, man könne die Industrie planwirtschaftlich lenken, und weil das nunmal nicht funktioniert, dann dem Autoritarismus verfallen.
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