Tichys Einblick
VIRUS UND SPRACHE

Der Corona-Wortschatz

Die meisten Neuwörter bleiben Gelegenheitsbildungen, welche die konkrete Situation, in der sie entstanden, nicht überleben. Coronakrise wird allerdings – wie vorher Finanzkrise und Weltwirtschaftskrise – in den allgemeinen deutschen Wortschatz eintreten.

imago Images/Sepp Spiegl

Das Wort des Jahres 2020 wird Corona sein, das sich in wenigen Wochen so schnell verbreitete wie das Virus, das es bezeichnet. Um Corona herum sind Hunderte von Wortzusammensetzungen (Komposita) entstanden, ein eigenes Lexikon, von Corona-Abstrich bis Corona-Zug (auf den viele Betrüger aufspringen). Die deutsche Sprache hat auf die Coronakrise kommunikativ effizient reagiert.

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Das Mitte der 1960er Jahre entdeckte Coranavirus bekam seinen Namen nach dem lateinischen Wort corona „Kranz, Krone“, das im übertragenen Sinn auch die „Sonnenkorona“ bezeichnet, den Strahlenkranz um die Sonne, der nur bei totaler Sonnenfinsternis sichtbar wird, und dem die äußere Hülle des Virus unter dem Elektronenmikroskop ähnelt. Ins Deutsche wurde corona schon früh entlehnt und entwickelte sich im Mittelhochdeutschen lautlich zu krone. Die lateinische Form blieb erhalten beim weiblichen Vornamen Corona und – orthographisch angepasst – beim Substantiv Korona als Fachbegriff der Astrophysik sowie studentensprachlicher Ausdruck für einen Teilnehmerkreis („die ganze Korona lachte“), der dann in die Umgangssprache einging.
Ein sehr seltenes Wort

Wortgeschichtlich kommt der Latinismus Corona im Deutschen kaum vor und, falls doch, meist als (internationaler) Eigenname, konkret: Biermarke, kubanische Zigarrenmarke, Hotelname, Städtename (Kalifornien), Vor- und Nachname. Der Vorname Corona wurde und wird in Deutschland ganz selten vergeben, ist allerdings nicht unbekannt: Goethe, der 1778 die Schauspielerin und Sängerin Corona Schröter für das Weimarer Theater engagierte, widmete diesem Namen und seiner schönen Trägerin folgenden Zweizeiler:

So häuft sie [Schröter] willig jeden Reiz auf sich,
und selbst dein Name ziert, Corona, dich.

Auch in der orthographisch eingedeutschten Form Korona wird das Wort sehr wenig verwendet: In allen Ausgaben der ZEIT von 1947-2017 ist es rund siebzig Mal belegt (also durchschnittlich einmal pro Jahrgang), jeweils zu einem Drittel als Nachname, astronomischer bzw. optischer Begriff und saloppe Bezeichnung für eine prominente Personengruppe: „die Korona der Staats- und Regierungschefs/der modernen Architekten/der protestantischen Kirchenführer“ u. Ä.

Die Häufigkeit von Corona änderte sich schlagartig Anfang 2020 mit der weltweiten Verbreitung der Infektionskrankheit Covid [corona virus disease]-[20]19.

Coronakrise

Als Kurzbezeichnung für die neue Krankheit setzte sich fachsprachlich Covid-19 durch, in der Alltagssprache aber Corona, das viel medientauglicher ist: Eine Schlagzeile wie „So kriegen Sie jetzt Ihr CORONA-GELD!“ (BILD 26. März 2020) lässt sich schlecht mit „Covid-19-Geld“ formulieren.

Corona wurde zum Schlüsselwort, das die Nachrichten beherrscht: In einer einzigen Ausgabe der ZEIT (26. März 2020) kommt es allein oder in Komposita fast zweihundert Mal explizit vor; implizit, in Formulierungen wie „die Krise“, „das Virus“, „die Pandemie“, wird das Wort noch viel häufiger mitgemeint. Zwei Drittel der expliziten Belege entfallen auf die „großen Drei“ des Corona-Wortschatzes: Corona, Coronavirus und Coronakrise. Der Rest sind Komposita, die nur einmal oder weniger häufig vorkommen; eine Auswahl:

Corona-Beratung
Corona-Impfstoff
Corona-Schock
Corona-Eindämmung
Corona-Infizierte
Corona-Symptome
Corona-Epidemie
Corona-Pandemie
Corona-Tote
Corona-(Verdachts)Fall
Corona-Patient
Corona-Zahlen
Corona-Geld
Corona-Party
Corona-Zeiten

Wie viele Corona-Wörter gibt es im Sprachgebrauch? Genau lässt sich das nicht feststellen, weil tagtäglich neue hinzukommen – so will die EU aktuell einen Corona-Haushalt vorlegen – und ältere ausgemustert werden: Niemand spricht heute mehr von dem Coronavirus-Hype, den das Fernsehen (heute-journal) am 30. Januar erfand. In der Pressesprache werden z. Z. schätzungsweise zwei- bis dreihundert Corona-Wörter häufiger verwendet. Von wem stammen diese Neuwörter? In Einzelfällen ist der Urheber bekannt, ansonsten wird die Suche nach ihm so schwierig wie die nach dem „Patienten Nr. 1“ einer Infektionskette. Exakt lässt sich nur angeben, zu welchem Zeitpunkt ein bestimmtes Wort zum ersten Mal belegt ist – was aber nicht ausschließt, dass es vorher schon länger verwendet wurde.

Sprachliches Krisenmanagement

Der Corona-Wortschatz ist sozusagen die Antwort der deutschen Sprachgemeinschaft auf die Krise, und dieser kommunikative Umgang, der sich spontan und ohne staatliche Vorgaben herausbildet, funktioniert besser als die reale Krisenbewältigung: In der realen Welt fehlen Schutzanzüge und vieles mehr; sprachlich, als Wörter, ist alles vorhanden: Corona-Schutzanzüge, Corona-Impfung, Corona-Schnelltest usw.

Das sprachliche Mittel, mit dem im Deutschen die Coronakrise verarbeitet wird, ist die Wortzusammensetzung: Man kann in der deutschen Sprache – vergleichbar dem Altgriechischen – aus mehreren bekannten Wörtern problemlos ein neues bilden: Corona → Corona-Virus → Coronavirus-Pandemie. Nicht-Muttersprachlern fällt am Deutschen die Länge der Wörter auf. Dabei geht es weniger um Wortungetüme wie die sprichwörtliche „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwe“ als um alltägliche Wörter mit 20-30 Buchstaben: Einkommensteuererklärung, Schienenersatzverkehr, Haftpflichtversicherung. Die Wortzusammensetzung ist ein bequemes, allen Deutschsprechern verfügbares Mittel, um einen neuen Sachverhalt prägnant auszudrücken. Nur ein kleiner Teil dieser Neuwörter schafft allerdings langfristig den Sprung ins Wörterbuch; die meisten bleiben Gelegenheitsbildungen, welche die konkrete Situation, in der sie entstanden, nicht überleben. Coronakrise wird allerdings – wie vorher Finanzkrise und Weltwirtschaftskrise – in den allgemeinen deutschen Wortschatz eintreten.

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