Jacques Attali, der ehemalige Berater von Mitterrand und Pariser Vordenker, der sich nie gescheut hat, seinen Deutschlandhass öffentlich zu machen, riet allen französischen Regierungen, Deutschland dazu zu zwingen, gemeinsame Schulden der EU zu akzeptieren. Das Ziel dieses Unterfangens sei nicht nur, die Verschuldungskapazität der EU in eine neue Dimension zu bringen, sondern ein für alle Mal Deutschland an eine französisch dominierte EU zu fesseln. Klug – um nicht zu sagen hinterlistig – wie Attali ist, hatte er erkannt, dass sich Deutschland damit der wesentlichen Option, die gerade nach dem Lissabon-Vertrag allen Mitgliedsländern zusteht, faktisch begeben würde: Der Möglichkeit, aus der EU auszutreten. Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, hat der Brüsseler Bürokratie vor Augen geführt, was passiert, wenn – zu Recht oder zu Unrecht – ein Volk der Meinung ist, dass es die Kontrolle über sein eigenes Schicksal verloren hat.
Die Argumente der von-der-Leyen-Kommission, das Geld würde aus dem Haushalt der EU zurückgezahlt, sind eine bewusste Täuschung und erreichen die Dimension politischen Betrugs. Denn erstens muss der EU-Haushalt gewaltig erhöht werden. Dies ist nur durch eine Steigerung der Beiträge der Mitgliedsländer möglich, die allesamt gegenüber diesem Postulat zurückhaltend bleiben werden. Hält diese Zurückhaltung an – dies ist jedenfalls bei den südlichen und osteuropäischen Ländern mit Sicherheit zu erwarten – dann wird die Kommission auf die „Alternativlosigkeit“ der Erzielung neuer Eigenmittel hinweisen.
Auf diese Weise hätte sie die in Art. 114 II AEUV eindeutig verbotene Steuererhebung durch die Union umgangen. Der von-der-Leyen-Vorschlag ist also nicht nur in flagranti ein Verstoß gegen das Anleihenfinanzierungsverbot des Art. 311 AEUV der Europäischen Union, sondern er ist der bisher gelungene Versuch jener Kreise, die Frau von der Leyen – seitdem sie Verteidigungsministerin ist – aus Frankreich steuern, um Deutschland an die EU zu ketten und unserem Land nur noch die Möglichkeit zu lassen, durch immer größere Beitragszahlungen und Bürgschaften den Kollaps sowohl des Euroblocks als auch der gesamten EU zu verhindern.
Wir werden sehen, wie weit Frau von der Leyen mit der Wiederaufbaulüge kommt. Sie hofft jedenfalls angesichts des Verteilungsschlüssels der üppigen Gelder, die bisher skeptischen bis ablehnenden ost-mitteleuropäischen Staaten durch üppige Zuweisungen bestechen zu können. Dabei fällt der Milliardenbatzen, der Polen zu teil werden soll (ca. 64 Mrd Euro), besonders ins Auge. Welcher Regierungschef – so auch der kluge Premierminister Morawietzki – wird auf die Möglichkeit verzichten, ganz unverdient einen solchen Milliardenbetrag für sein Land loszueisen und in einem Zug alle Rechtsstreitigkeiten mit der EU-Kommission, insbesondere die Verfahren nach Art. 7 EUV, zu bereinigen. Dem von-der-Leyen-Plan liegt also die Vorstellung zugrunde, dass sich die Kritiker der Brüsseler Bürokratie, die heute überwiegend in Ost-Mitteleuropa sitzen, werden kaufen lassen.
Diese korruptive Zustimmungsmechanik legt die eigentliche Gefahr des von-der-Leyen-Plans für die geistige Freiheit Europas bloß. Die Kommission will sich unter missbräuchlicher Ausnutzung einer mittelschweren Pandemie selbst ermächtigen, die Finanzierung – contra legem – zu revolutionieren und gleichzeitig mit dem so „gestohlenen“ Geld sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gefügig zu machen. Vor einer Europäischen Kommission, die über 750 Milliarden Euro – davon 500 Milliarden in Gestalt von verlorenen Zuschüssen – zu entscheiden hat, kuschen alle Mitgliedsländer, insbesondere diejenigen, die wie Polen sich mit einem Verteidigungshaushalt von 8 Milliarden Euro zufriedengeben müssen.
In dessen Folge werden alle Mitgliedsländer – besonders diejenigen, die auf signifikante Zuschüsse aus Brüssel stets hoffen konnten – ihren Lobbyismus in Richtung Brüssel verstärken. Das EU-Parlament, bisher schon Vorzimmer der Kommission, wird endgültig zu einer großen Lobbyblase verkommen. In dieser Lobbyblase wird rechenschaftslos das Geld Dritter verteilt. Aus dem Bericht des langjährigen französischen Europabeamten, Jacques Lovergne, wird deutlich, dass die Kommission schon mit ihrem jährlichen Etat von 140 Milliarden und seiner Verteilung in den Mitgliedsländern heillos überfordert ist. Wie der Rechnungshof in tausend Seiten langen Berichten (die niemand liest) belegt, ist die Brüsseler Kommission außerstande, die Gelder, die sie in die Mitgliedsländer überweist, zu kontrollieren.
Das unkritische Echo, welches diese Anmaßung in der eigenen Partei, der CDU, von Laschet bis Merz gefunden hat, verrät sehr viel über den Gleichschaltungsprozess der politischen Meinung in Deutschland. Es belegt leider: Die CDU ist eine Linkspartei geworden, in der kein Platz für liberale EU-Kritiker mehr ist. Aber noch ist die Selbstbestimmung der Deutschen nicht verloren. Denn die Gruppe der Widerständigen ist in ihrem Willen, sich der Abdankung der deutschen Demokratie entgegenzusetzen, ungebrochen. Nur eins ist jetzt schon sicher: wenn 2027 nach den Plänen der Europäischen Kommission mit der Tilgung der EU-Anleihen begonnen werden soll: Die Akteure, die heute den Weg in die Schuldenunion weisen und damit die Zukunft Europas verbauen, werden nicht mehr an der Macht sein. Dies ist eine Befürchtung, weil sie dann kaum noch zur Rechenschaft gezogen werden können. Aber es ist auch der Keim neuer europäischer Hoffnung.