Tichys Einblick
Energiekrise

Immer mehr Unternehmen legen Produktion still – von Stahl bis Brot

Kein Ende der Energiekrise in Sicht: Stahlwerke, Bäckereien und andere energieintensive Betriebe schließen. Die Deindustrialisierung Deutschlands nimmt Fahrt auf.

Bremer Stahlwerke von Arcelor Mittal

IMAGO / Eckhard Stengel

In der deutschen Industrie und im Mittelstand schließen offenbar die ersten Unternehmen ihre Produktion. Grund sind die hohen Energie- und Strompreise. Selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Entwicklung nach seiner Teilnahme an der Kabinettsklausur in Meseberg „alarmierend“.

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Arcelor-Mittal, der größte Stahlproduzent der Welt, fährt wegen der hohen Energiepreise in Deutschland Ende September zwei Produktionsanlagen herunter. „Bis auf weiteres“ werde einer der beiden Hochöfen am Flachstahl-Standort Bremen stillgelegt. Und auch die Direktreduktionsanlage im Hamburger Langstahlwerk soll außer Betrieb genommen werden. Neben Hamburg und Bremen gibt es in zwei weiteren Werken bereits Kurzarbeit.

„Die hohen Kosten für Gas und Strom belasten unsere Wettbewerbsfähigkeit stark. Dazu kommt ab Oktober die geplante Gasumlage der Bundesregierung, die uns weiter belasten wird“, wird Reiner Blaschek, CEO von ArcelorMittal Germany und für das Werk in Bremen, in „Finanzmarktwelt“ zitiert. „Als energieintensive Industrie sind wir davon extrem betroffen. Mit einer Verzehnfachung der Gas- und Strompreise, die wir innerhalb weniger Monate hinzunehmen hatten, sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig in einem Markt, der zu 25 Prozent aus Importen versorgt wird. Wir sehen dringenden politischen Handlungsbedarf, um die Energiepreise umgehend in den Griff zu bekommen.“

Um den Gasverbrauch in Hamburg zu vermeiden, werde das Vorprodukt Eisenschwamm nun aus Amerika zugekauft, um weiter produzieren zu können – preisgünstiger, aber mit höherem CO2-Fußabdruck. An den Produktionsstandorten Duisburg und Eisenhüttenstadt gebe es aufgrund der angespannten Lage Kurzarbeit.

Porzellan-Hersteller feierte 130-jähriges Bestehen

Der Porzellan-Hersteller Eschenbach in Triptis wird seine Produktion zum Jahresende einstellen. Als Grund gab das Unternehmen die gestiegenen Energiepreise an. Geschäftsführer Rolf H. Frowein sagte mdr Thüringen, Eschenbach müsste für das benötigte Gas ab Januar gegenüber dem aktuellen Vertrag den sechsfachen Preis bezahlen. Ein wirtschaftlicher Betrieb des Unternehmens über das Jahresende hinaus sei daher nicht möglich, ohne die Verkaufspreise zu verdoppeln, hieß es.

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Von der Betriebsschließung sind laut Geschäftsführer 99 Mitarbeiter betroffen. Sie sollen Abfindungen erhalten und bei der Arbeitssuche unterstützt werden. Nach ersten Gesprächen gebe es Hoffnungen, dass mindestens die Hälfte der Mitarbeiter ab Januar neue Anstellungen bei Unternehmen am Standort finden.

Der Traditionsstandort in Triptis feierte in diesem Jahr seinen 130. Geburtstag. Das Werk musste nach 1990 zwei Insolvenzen verkraften. Seit 2005 ist Rolf H. Frowein Eigentümer. Das Unternehmen beliefert seitdem vor allem Hotels und Gaststätten. Laut Geschäftsführer hat Eschenbach Porzellan volle Auftragsbücher. Mit dem Ende der Produktion zum Jahresende müssen nach seinen Worten etwa 1,5 Millionen Porzellanartikel aus dem Lager abverkauft werden.

Produktionsstopp bei Dachziegelwerken

Wegen der Preissteigerungen bei Gas und Strom haben die Dachziegelwerke Nelskamp am 1. September ihre Produktion von Tondachziegeln vorerst eingestellt. Die Einkaufspreise für Strom und Gas hätten sich im Vergleich zum Jahr 2020 etwa versechzehnfacht, so das Unternehmen. Hinzu kämen die Energiepreisumlage sowie weitere Umlagen ab Oktober. Die Lage auf dem Energiemarkt sei so unsicher, dass die künftigen Kosten nicht verlässlich kalkuliert werden könnten, hieß es vom Unternehmen.

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Betroffen vom Produktionsstopp sind die beiden Werke in Groß Ammensleben bei Magdeburg und im unterfränkischen Unsleben. Für die insgesamt gut 300 Mitarbeiter an den zwei Produktionsstandorten wurde Kurzarbeit angemeldet, so Nelskamp. Dies sei ein „harter aber erforderlicher Einschnitt“, hieß es von der Geschäftsleitung. Erst wenn sich die Situation auf den Energiemärkten wieder entspannt habe, werde die Dachziegelproduktion wieder aufgenommen.

Uneingeschränkt laufe dagegen die Produktion an den drei Standorten, an denen Betondachsteine hergestellt werden, weiter. Die Herstellung sei weniger energieintensiv und daher von den Kostensteigerungen nicht so stark betroffen.

Bäckereien und Brauereien ebenfalls betroffen 

Hart betroffen ist auch das Bäckerhandwerk. Dort werden die Backöfen meist mit Gas beheizt. Kleinere Bäckereien schließen, weil der Brotpreis durch die Decke schießt und Konsumenten auf die noch etwas preiswertere, wenn auch weniger schmackhafte Ware von Großbäckereien in Supermärkten ausweicht.

Und auch die Brauereibranche bleibt nicht verschont. Für die Bierabfüllung benötigen Brauereien Kohlensäure, die Flaschenbier am Oxidieren hindert. Und für Kohlensäure braucht es den derzeit ebenfalls knappen Rohstoff Ammoniak. „Wegen der aktuellen Energiepreise haben mehrere Hersteller von Ammoniak ihre Anlagen stillgelegt, weil dessen Herstellung unrentabel geworden ist“, teilte der Deutsche Brauereiverband dem Wirtschaftsmagazin Business Insider mit.

Brauereien wie Rittmayer aus Hallerndorf im Landkreis Forchheim, aber auch andere Getränkeabfüller, sind betroffen. Praktisch wöchentlich besteht die Gefahr, dass die Produktion eingestellt werden muss.

Lesen Sie hier eine Zusammenstellung von weiteren Betriebsschließungen und Standortverlagerungen >>> 

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