Anne Spiegel (Grüne) könnte noch Ministerin sein. Wäre sie nur in Mainz geblieben. Im Kabinett von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sind die Ansprüche nicht so hoch. Dort darf auch im Amt bleiben, wer sich als hoffnungslos überfordert mit seiner Aufgabe erweist. Unfähigkeit ist im Team Dreyer ein Club-Ausweis.
Dann gibt es den Innenminister Roger Lewentz (SPD). Der hat am Abend vor der Flutnacht Krisenmanagement betrieben, war in der Nähe des Geschehens, hat sogar versucht, seine Chefin zu erreichen. Doch sowohl Dreyer wie Lewentz sind irgendwann ins Bett gegangen, um rund 130 Todesfälle buchstäblich zu verschlafen. Work-Life Balance zählt im Team Dreyer. Zumindest die Work-Life Balance der Team-Mitglieder.
Mittlerweile sind Videos aufgetaucht, die ein Hubschrauber in der Flutnacht aufgezeichnet hat. Sie sind auf Rhein-Zeitung.de zu sehen. Die Bilder sind stark verpixelt. Um die Persönlichkeitsrechte der Opfer zu schützen. Aber auch um die Gefühle der Zuschauer nicht zu überfordern. Ein berechtigter Schritt. Die Bilder sind verstörend. Selbst verpixelt noch. Das sieht Lewentz anders. Die Videos zeigten eine Flut, ja, aber doch nicht, wie dramatisch die Lage gewesen wäre, sagt Lewentz: „Legen Sie mir das bitte nicht als Kälte aus“, zitiert die Rhein-Zeitung den Innenminister.
Die Bilder waren derart, sagt Lewentz, dass es richtig war, als Krisenmanager in der Katastrophe die Brücke zu verlassen und ins Bett zu gehen. In den Videos hatte er nichts gesehen, was ihn davon abgebracht hat. Also hätte. Weil gesehen haben, will Lewentz die Bilder auch erst in diesem September. Über ein Jahr nach der Katastrophe. Also die schlimmen Bilder waren gar nicht so schlimm und zudem habe er sie ja gar nicht gesehen. Plausibilität zählt im Team Dreyer wenig. Ebenso wie Anstand und Verantwortung. Wetterdienste und sogar Privatleute warnten Tage vor der Flutnacht, was da auf die Ahr zurollt. Ein Polizei-Hubschrauber steigt in der Nacht in die Luft und filmt eindrucksvolle Bilder. Aber all das soll beim Team Dreyer nicht angekommen sein.
Wie die Videos dann auftauchten, ist ein Skandal im Skandal. Der AfD-Abgeordnete Michael Frisch entdeckte sie eher zufällig beim Durchstöbern der Akten. Er machte die Bilder öffentlich. Einsatzleiter Christoph Semmelrogge präsentiert der Rhein-Zeitung eine Geschichte über technische Pannen und falsche Ablagen, die dafür gesorgt hätten, dass die Videos in der Aufklärung nicht beachtet wurden. Der Koblenzer Polizeipräsident Karlheinz Maron sagt, die Videos seien „ohne Wissen“ der für das große Flutgebiet zuständigen Polizeipräsidenten an die Öffentlichkeit geraten. Ob die Videos „mit ihrem Wissen“ für die öffentliche Aufklärung zugänglich geworden wären, bleibt zweifelhaft.
Das Team Dreyer bildet eine Schönwetter-Regierung. Buchstäblich. Wie sich in jener tödlichen Nacht im Juli 2021 gezeigt hat. Malu Dreyer ist keine Krisenmanagerin, die wach bleibt, um alles zu tun, um Tote zu verhindern. Dreyers Gesicht muss ausgeschlafen sein, wenn es am Tag danach ausgeruht und würdevoll Staatstrauer darstellen muss. Haltung statt Handlung heißt die Devise im Team Dreyer. Damit hat Politik heutzutage Erfolg. Armin Laschet scheiterte schließlich an unglücklichen Bildern, die er im Ahrtal produzierte. Dreyer war da ausgeschlafener.
Spätestens seit die Ampel seit 2016 in Rheinland-Pfalz regiert, fasst das Team Dreyer keine heiklen Eisen mehr an – dem Koalitionsfrieden zu Liebe. Zu einem Großteil besteht ihre Arbeit aus Haltung zeigen. Symbolhandlungen. PR-Termine, auf denen das Team Dreyer im geschützten Raum Rechts den Kampf erklärt oder sonst mit schönen Worten die Welt rettet. Danach essen alle zusammen Spundekäs’ und gehen später berauscht von sich selbst ins Bett. Heiße Themen, dringende Probleme packt das Team Dreyer nicht an. Die werden in Gesprächsrunden ausgelagert, um Aktivität vorzutäuschen. Das Team Dreyer kennt mehr Wörter für Arbeitskreise als Grönland für Schnee.
Einer von diesen Arbeitskreisen ist der „Zweite Runde Tisch Wiederaufbau im Ahrtal“. Dort sagen Teilnehmer schwergewichtige Sätze wie: „Materialengpässe und gestörte Lieferketten, rasant steigende Preise beim Einkauf, Fachkräftemangel und Inflation treffen auf steigende Energiekosten“, wie Tagesschau.de über die Plauderrunde berichtet. Mit der Konsequenz, dass die Bürger nun an der Ahr in ihren zweiten Kältewinter gehen. Die Ereignisse in der Flutnacht haben die zuständigen Politiker buchstäblich überrollt, ließen sich diese vielleicht entschuldigen. Doch im Wiederaufbau hätten sie die Zeit gehabt, tätige Buße zu begehen.
Statt alle Hebel in Bewegung zu setzen, den Menschen an der Ahr zu helfen, richtet Dreyer Arbeitskreise ein. Statt die Aufarbeitung zur Chefsache zu machen, delegiert sie die Aufgaben immer wieder an untere Stellen. Eher würde die Identitätspolitikerin Dreyer darüber reden wollen, dass es Chefinnensache heißen müsste. Das Gleiche gilt für die politische Aufarbeitung: Manz ist Mitglied der Grünen. Seine Entscheidung, die falsche Pressemitteilung nicht zu korrigieren, hat tausende Menschen in Lebensgefahr belassen. Rund 130 Bürger sind tatsächlich ums Leben gekommen. Lieber lässt Dreyer einen derart Überforderten im Amt, als sich mit dem Koalitionspartner zu streiten.
Noch wichtiger für Dreyers Machttektonik ist Lewentz. Der Innenminister ist auch Vorsitzender der SPD im Land. Er ist für die harten Themen zuständig, Dreyer für die, bei denen ein ausgeruhtes Lächeln reicht. Lewentz hält die Konservativen in der Partei zusammen, wenn Dreyer mit grünen, identitätspolitischen Themen liebäugelt. Zusammen sichern sich beide den Chefsessel. Und darauf kommt es an. In Rheinland-Pfalz genügt es dafür, Haltung zu zeigen. Wenn mal was passiert, lenkt man einfach nochmal mit einer PR-Veranstaltung ab: Erklärt gemeinsam den Kampf gegen Rechts, isst Spundekäs’ und geht berauscht von sich selbst ins Bett. Und hofft, dass einen die Toten von der Ahr im Schlaf nicht heimsuchen.