Tichys Einblick
Kanzlertauglich?

Das Sündenregister des Olaf Scholz

Der SPD-Kanzlerkandidat wird zu Recht als „Teflon“-Mann etikettiert. An ihm scheint nichts haften zu bleiben, obwohl er im Amt wiederholt versagte.

IMAGO/photothek

Olaf Scholz wirkt immer ruhig und bedächtig, manchmal fast langweilig staatstragend. Sein unterkühlter hanseatischer Habitus wirkt vertrauenserweckend, zumal dann, wenn seine Konkurrenten um das Kanzleramt entweder als „Tolpatsch“, wie Armin Laschet inzwischen fast pauschal diskreditiert wird, oder als überambitioniert und überfordert wirken wie Annalena Baerbock. Das von der SPD-Wahlkampagne beförderte Bild vom kompetenten Kanzler Scholz zeigt Wirkung im Volk, wenn die Demoskopen das Stimmungsbild im Land korrekt abbilden. Dabei hat der Mann schon häufig in verantwortungsvollen Positionen in seiner Laufbahn bewiesen, dass zwischen Anspruch und tatsächlicher Leistung ein erheblicher Widerspruch besteht.

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Es lohnt sich deshalb, zwei Wochen vor dem entscheidenden Wahlsonntag an sein Sündenregister zu erinnern, das in diesen Wochen zu selten im Blickfeld steht. Kann man Olaf Scholz tatsächlich das höchste Amt im Staat anvertrauen? Was hat er als Kurzzeit-Innensenator und als späterer Regierender Bürgermeister in Hamburg oder als Bundesfinanzminister geleistet?
Fall 1:

Zwei Monate vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg (23. September 2001) wollte Scholz als Innensenator bei den Wählern damit punkten, dass er den Brechmitteleinsatz bei Drogendealern als Beweissicherungsinstrument durchsetzte. Denn in Hamburg sorgte damals die Schill-Partei für Law and Order-Stimmung. Dabei war diese Methode als Folter in vielen Ländern längst diskreditiert. In den USA etwa hatte das Oberste Bundesgericht bereits 1952 entschieden, dass „diese Methoden zu sehr an Folterhandlungen heranreichen“.

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Das OLG Frankfurt stufte 1999 das zwangsweise Verabreichen von Brechmitteln als Verstoß „gegen die Menschenwürde und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht“ ein. Die Hamburger SPD war bis zu den kurzen Tagen von Innensenator Scholz (Mai – September 2001) gegen diese Methode. Doch Scholz inszenierte skrupellos die 180 Grad-Kehrtwende. Sie nutzte der SPD nichts. Denn sie verlor die Regierungsmehrheit und wurde von einer CDU/Schill-Partei-Koalition unter Ole von Beust abgelöst.
Fall 2:

In die Regierungszeit von Olaf Scholz als Regierender Bürgermeister von Hamburg (2011 bis 2018) fallen zwei Skandale, die ihn politisch diskreditieren. Da ist zum einen seine mehr als zwielichtige Rolle in der Affäre um die Hamburger Warburg-Bank zu nennen. Die Bank beteiligte sich an illegalen Cum-Ex-Dividendengeschäften und betrog den Fiskus um hohe Millionenbeträge. Als die Mitarbeiter der Hamburger Finanzbehörden eine Rückforderung über 47 Millionen Euro an die Bank stellten, sprach der damalige Bankvorstand Christian Olearius drei Mal bei Scholz vor. An die Gesprächsinhalte vermochte sich Scholz später – wie immer, wenn es für ihn brenzlig zu werden droht – nicht mehr zu erinnern. Bekannt ist allerdings, dass die Finanzverwaltung in Hamburg die Steuerrückforderung dann zurücknahm – unter internem Protest der beteiligten Betriebsprüfer. Der Vorgang stinkt zum Himmel.

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Seine „Führungsqualitäten“ bewies Scholz auch mit seiner großspurigen Ansage vor dem G 20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg. Obwohl viele Sicherheitsbedenken gegen das Großereignis in einer dichtbesiedelten Großstadt schon im Vorfeld vorgebracht wurden, weil es im Kongress- und Messezentrum der Stadt geplant war, das an das berüchtigte Schanzenviertel mit seiner starken und gut organisierten linksradikalen Szene grenzt, verkündete Scholz vorher großspurig im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel: „Seien Sie unbesorgt: Wir können die Sicherheit garantieren.“ Die Polizei sei sehr gut vorbereitet und werde mit fast 20.000 Kräften für einen geregelten Ablauf des Gipfels sorgen. „Wir werden Gewalttaten und unfriedliche Kundgebungsverläufe unterbinden.“ Das schiere Gegenteil war der Fall. Die autonome Szene plünderte und brandschatzte, verwüstete ganze Straßenzüge. Nur dem Zufall war es zu verdanken, dass es keine toten Polizisten gab. Statt der politischen Gespräche der versammelten Regierungschefs beherrschten Bilder von bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen die Berichterstattung. Doch Scholz überstand auch dieses miserable Führungstestat und wechselte dann ein gutes halbes Jahr später als Finanzminister in die Bundesregierung.
Fall 3:

Seine Berliner „Führungsqualitäten“ bestanden zunächst darin, dass er im Ministerium eine Führungsebene aufbaute, viele gut bezahlte neue Stellen schuf, die er mit loyalen Leuten besetzte. Die Leitungsebene schottet sich, wie Insider aus dem BMF berichten, vom Rest des Hauses nahezu hermetisch ab. Das erklärt vielleicht am besten, warum der Finanzminister in seiner Funktion eher zum spendierfreudigen „Wumms“ neigt und die langfristigen Folgen der Verschuldung negiert. Die warnenden Stimmen der Fachebenen des BMF sind nicht gefragt, wenn sich der Minister nicht nur in der Corona-Krise als „Volksbeglücker“ inszeniert.

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Dass unter seiner Führung auch die Fachaufsicht mehr schlecht als recht organisiert wird, bewies der größte Bilanzskandal in der deutschen Geschichte. Ohne das politische Wegschauen der verantwortlichen Aufsichtsbehörden des Bundes, die überwiegend zum Geschäftsbereich des verantwortlichen Finanzministers gehören, wäre der Absturz des vormaligen DAX-Unternehmens Wirecard nicht möglich gewesen. Trotz jahrelanger Hinweise auf dubiose Geschäftspraktiken und einer investigativen, aber seriösen Berichterstattung in der angesehenen „Financial Times“ schützten die Aufsichtsbehörden das Skandal-Unternehmen lieber vor kritischen Journalisten, auf die sie die Staatsanwaltschaft wegen „Insiderhandels“ hetzten, als dass die den begründeten vorwürfen nachgingen. Mit einem Leerverkaufsverbot machten sie sich Monate vor dem Platzen des Wirecard-Kartenhauses (geschätzter Schaden: 27 Milliarden Euro) zum Handlanger der betrügerischen Firma. Im Laufe der Aufklärung der Affäre gab es zwar mehrere Bauernopfer, als etwa der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Felix Hufeld abgelöst wurde. Doch das Organisationsversagen, das politische Wegschauen auf der Leitungsebene, die Erinnerungslücken, die Scholz bei Nachfragen nach seiner persönlichen Verstrickung immer wieder bemüht: das alles lässt sich als organisierte Verantwortungslosigkeit einstufen.

Dazu passt die jüngste Volte, die mit der gestrigen staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung von Geschäftsräumen des Bundesfinanzministeriums in den Blick der Öffentlichkeit gerät. Der dem Bundesfinanzministerium unterstellte Zoll ist für die Geldwäsche-Bekämpfung zuständig. Dass Mitarbeiter des BMF im Verdacht stehen, Verdachtsmeldungen von Banken über millionenschwere Geldtransfers nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet zu haben, passt zum Bild, das man sich vom Versagen der BMF-Kontrollbehörden im Wirecard-Skandal gemacht hat. Dort wurden von Mitarbeitern noch kurz vor der Pleite Insidergeschäfte mit Wirecard-Aktien gemacht.

Doch was macht Scholz: Er gibt sich pikiert, dass die Staatsanwaltschaft nicht schriftliche Fragen ins BMF schickt, sondern zwei Wochen vor einer Wahl eine Hausdurchsuchung im Ministerium veranlasst. Und sein Umfeld lässt er streuen, dass schließlich sein Vorgänger Wolfgang Schäuble die Geldwäscheaufsicht ins BMF geholt habe. Scholz vergisst, dass er sein gut drei Jahren Chef im Haus ist und die Ministerverantwortung nicht abschieben kann.

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