Selten findet sich ein so kompaktes Lehrstück, nicht nur an journalististischem Selbstverständnis, sondern zugleich auch an politischem Staatsverständnis der Classe Politique wie im Kommentar von Armin Lehmann auf tagesspiegel.de, Titel: Die armseligen Taschenspielertricks von CDU und FDP.
Dass es sich im Thüringer Landtag um einen „Taschenspielertrick” gehandelt haben soll, ist semantisch arg überhöht. Die Herabstufung auf Geschäftsordnungsfinte ist angebracht. Dass diese niemand im Ramelowlager erkannt und durch eine Intervention im Landtag enttarnt hat, gehört indirekt auch zu meinem Thema hier, zum Staatsverständnis der Classe Politique. Machtträger neigen stets dazu, sich zu sicher zu fühlen.
Nachstehend zitiere ich aus dem Kommentar auf Tagesspiegel online einen zusammenhängenden Teil, um dann auf einige Schlüsselsätze daraus einzugehen:
„Es kann nicht sein, dass die absurde Gleichsetzung von AfD und Linker zu Regierungen führt, deren Legitimation wie in Erfurt nicht integer, wenn auch verfassungsgemäß sind.
Trotz Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Ausschließeritis der Parteien bahnen sich demokratische Mechanismen ihre eigenen krummen Wege. Und es wäre sehr viel mehr jenseits der AfD an Zusammenarbeit möglich, wenn man nur wollte. Die Union müsste sich trauen, ihren Wählern zu begründen, warum es zwar mit der AfD keine Koalitionen geben kann, mit der Linken aber womöglich schon.
Und wenn nicht das, dann hätte es in Thüringen wenigstens die Chance gegeben, Bodo Ramelow, der nun wahrlich kein Linksextremist ist, im zweiten Wahlgang zu wählen, ohne einen Unvereinbarkeitsbeschluss zu verletzen. Strategie und Taktik in der Politik gern – aber nicht um jeden, nicht um diesen Preis.
Auch die FDP ist offenbar nur am eigenen Kalkül interessiert. Denn mindestens hat sie es zugelassen, um es sehr vorsichtig zu formulieren, dass der Eindruck im Raum steht, sie habe nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen erneut Eigeninteresse über staatspolitische Verantwortung gestellt.”
Passage 1: … absurde Gleichsetzung von AfD und Linker …
Wer im gängigen Sprachgebrauch AfD und Linkspartei gleichsetzt, meint damit im härtesten Fall, dass beide nicht zum demokratischen Spektrum gehören, und weniger hart, dass die beiden die sogenannten Ränder im demokratischen Spektrum sind. (Dass ich von der Links-Rechts-Mitte-Begriffswelt nichts halte, ist hierbei unmaßgeblich.) „Absurd” ist an solcher Gleichsetzung nichts.
Passage 2: Die Union müsste sich trauen, ihren Wählern zu begründen, warum es zwar mit der AfD keine Koalitionen geben kann, mit der Linken aber womöglich schon.
Daran ist zweierlei bemerkenswert. Der Autor hält es für notwendig, dass die CDSU ihren Wählern gegenüber begründet, warum das eine nicht, das andere aber „womöglich schon” geht. Bei SPD, FDP und Grünen müsste sie nicht. AfD und Linkspartei können laut Autor nicht gleichgesetzt werden, das findet er „absurd”. Aber etwas anderes als SPD, FDP und Grüne ist für Lehmann nicht nur die AfD, sondern auch die Linkspartei.
Passage 3: … Bodo Ramelow, der nun wahrlich kein Linksextremist ist, …
Will Lehmann damit sagen, Ramelow ist nicht linksextremistisch, seine Partei aber schon?
Passage 4: … nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen erneut Eigeninteresse über staatspolitische Verantwortung gestellt.
Vielen Dank Herr Lehmann. Ihre Lektion, die, das ist mir klar, repräsentativ für fast alle ihre Berufskollegen ist, lautet:
Staatspolitische Verantwortung bedeutet, die Staatspartei an der Macht zu halten, alles zu unterbinden, was die Macht der Staatspartei gefährden könnte, und alles zu ermöglichen, was die Staatspartei an der Macht hält.
Aus dieser Sicht war es staatspolitisch unverantwortlich, dass Lindner Jamaika verhinderte, und deshalb ist es staatspolitische Verantwortung, den Lindner-ähnlichen Fehltritt von Kemmerich zu korrigieren, um Ramelow erneut zum Ministerpräsidenten in Thüringen zu machen – zur Erhaltung der Macht der Staatspartei.
Fußnote: Bei der Deutschen Staatspartei handelt es sich um jenes Gebilde, das zur Zeit noch von Frau Merkel moderiert wird und aus der entkernten CDSU plus SPD, Grünen und Linkspartei sowie den nach-thüringischen Resten der FDP besteht.