Tichys Einblick
Von wegen innerparteiliche Demokratie

Das Schweigen der Merkel-CDU

Die innerparteiliche Demokratie der CDU hat sich in eine autoritäre Kultur verwandelt. Parteiführung und Funktionäre dulden es, wenn ein Generalsekretär Merz-Anhänger zu "Dschihadisten" erklärt. Die Kritiker und die Basis sind eingeschüchtert.

MAGO / Reiner Zensen

Das Schweigen über demokratische Missstände in der CDU ist ohrenbetäubend. Eine Recherche von TE zeigte an dem Beispiel Frankfurt/Main, wie sich innerparteilich eine autoritäre Kultur und ein System der Angst etabliert hat, das zur weitgehenden Entmachtung Basis der CDU führte. Mitglieder erzählten von Einschüchterungen, die bis zu Erpressung reichen. Die Forderung ist stets: „Entweder politische Gefolgschaft oder du wirst nichts mehr.“ Wer nicht auf der Linie Merkels ist, sondern zum Beispiel Friedrich Merz favorisiert, wird innerparteilich bekämpft.

Die Mehrheit der Basis wird zu Terroristen erklärt

Manfred Pentz, der Generalsekretär der CDU Hessen, beschimpfte Merz-Anhänger laut Bild als „Merz-Dschihadisten“. Die Mehrheit der Basis, die Friedrich Merz befürwortet, setzte der Generalsekretär somit mit islamistischen Terroristen gleich, die Morde begehen, darunter gezielt an Christen, den „Ungläubigen“. Die CDU ist mit solchen Beschimpfungen weit entfernt, eine Christdemokratische Partei zu sein. Pentz bestätigt mit seinem Verhalten indirekt die TE-Recherche und dass Frankfurt kein Einzelfall ist. Er ist der Generalsekretär des Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Volker Bouffier, der Angela Merkel sehr nahe steht. Pentz entschuldigte sich per schriftlicher Mitteilung: „Mir ist deutlich geworden, dass ich mich bei dieser Konferenz sowohl im Tonfall als auch in der Wortwahl vergriffen habe“, das bedaure er sehr. Für Ministerpräsident Bouffier war der Vorfall mit der Entschuldigung erledigt: „Manfred Pentz hat klargestellt, was er gemeint hat, sein Fehlverhalten eingeräumt und sich zurecht entschuldigt.“ Anders gesagt: Schwamm drüber!

Pentz‘ Entgleisung erinnert an andere Beleidigungen innerparteiliche Kritiker in der Merkel-Ära. 2011 hatte der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla dem konservativen CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach zugerufen: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“. Der Anlass: Bosbach hatte im Zusammenhang mit der so genannten Griechenlandrettung auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass Abgeordnete in ihrer Entscheidung frei sind. Pofalla soll Medienberichten zufolge auch noch gesagt haben: „Du machst mit deiner Scheiße alle Leute verrückt.“

In jüngerer Zeit wird vor allem die konservative Basisbewegung WerteUnion von CDU-Spitzenpolitikern oft wüst angegriffen. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans nannte sie im Februar 2020 pauschal eine „Beleidigung für CDU-Mitglieder“. Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok sagte zur selben Zeit in eine Fernsehkamera, die WerteUnion sei „wie ein Krebsgeschwür“. Vergleichsweise höflich war da noch der Bundesvize des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA, Christian Bäumler, der seine Forderung nach einem Unvereinbarkeitsbeschluss von WerteUnion und CDU damit begründete: „Wir brauchen keine AfD-Hilfstruppe in unseren Reihen.“

Der neugewählte CDU-Vorsitzende, Armin Laschet, hatte sich im innerparteilichen Wahlkampf als Versöhnen der verschiedenen CDU-Lager präsentiert. Doch jetzt blieb ein Rüffel gegen Pentz aus. Einige Basis-Mitglieder in Hessen riefen zum Rücktritt von Pentz auf – doch dies wird von oben ignoriert. Volker Bouffiers kleiner Rüffel sollte genügen. Die Affäre Pentz zeigt damit erneut: Wer auf Linie ist, kann sich Entgleisungen leisten, die skeptische Basis dagegen kann sich so viel aufregen, wie sie will, es führt ins Leere oder womöglich in den politischen Tod.

— Markenkernbotschafter (Merz-Dschihadist) (@IMB91) January 29, 2021

Diskurs ist unerwünscht und stört. Ausgetretene CDU-Mitglieder wie Richard Feuerbach verbreiteten die Recherche von TE über Missstände in der CDU. Feuerbach ist nach der Vorsitzwahl aus der CDU NRW ausgetreten, da die Entscheidung der Delegierten für Laschet, „ein inakzeptabler Affront gegenüber dem“ sei, was er als demokratische Werte betrachte.

Viele CDU-Mitglieder äußerten sich nur in Privatnachrichten an TE: Sie seien froh, dass diese demokratischen Missstände endlich medial thematisiert würden. Viele bestätigten dabei auch, dass die Recherche die Realität abbilde. Doch ein großer Teil der Mitglieder traut sich nicht einmal, in den sozialen Medien die TE-Recherche zu teilen. Zu groß sei die Angst, in der CDU politisch ausgeschlossen zu werden. Dies ist nicht verwunderlich, wenn Merz-Befürworter von Generalsekretären als Terroristen gebrandmarkt werden. Dennoch gibt es auch einige mutige CDU-Mitglieder, die von diesem System der Angst frei sind oder sich nun davon freimachen.

Alexander Mitsch, langjähriges CDU-Mitglied und Gründer sowie Bundesvorsitzender der WerteUnion, äußerte sich anlässlich der Recherchen besorgt und erleichtert zugleich gegenüber TE: „Frankfurt ist kein Einzelfall. Ich kenne viele Beispiele für Bekämpfung Andersdenkender innerhalb der CDU/CSU durch Ausgrenzung, Intrigen und Verleumdung. Als besonders bedrückend empfinde ich, dass die meisten Betroffenen so eingeschüchtert werden, dass sie aus Angst vor Repressalien meist nicht bereit sind, über ihre Erfahrungen zu berichten. Gut, dass durch die mutige Berichterstattung das Schweigen nun zumindest teilweise gebrochen wird.“

Jan Stausberg ist ein Mitglied der CDU-Jugendorgansisation Junge Union aus Mainz. Gegenüber TE sagt er: „Es darf nicht länger geschwiegen werden, welche inhaltliche Ausrichtung die breite Mitgliedschaft sich von unserer CDU wünscht. Die Stimmungslage innerhalb der Basis ist bzw. war schlecht. Bei Veranstaltungen und Gesprächen konnte man klar heraushören, dass Friedrich Merz der präferierte Kandidat ist. Die Art und Weise, wie intern und extern vor der Wahl gegen Merz geschossen wurde, irritierte mich stark. Das Vertrauen der Basis in die Delegierten und Führungsregie wurde nachhaltig beschädigt. Armin Laschet muss als Vorsitzender die Konservativen innerhalb unserer Partei wieder an den Tisch holen.“

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