Tichys Einblick
Haushaltsdebatte

Das neueste Gerücht – Ampel vor dem Aus

Wer diesen Artikel aufgrund der Überschrift liest, ist fett auf einen beliebten Trick reingefallen. "Ampel vor dem Aus" lockt als Überschrift viele, die sich das sehnlich wünschen. Doch dahinter steckt kaum mehr als Kneipendunst.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Es gibt die unmöglichsten Sammlungen. Manche besitzen noch Unterwäsche, die ihnen die Ost-Verwandschaft im Gegenzug zu Westpaketen geschickt hat. Andere sammeln Münzen mit einer falschen Prägung. Einige Stücke sind richtig wertvoll. Andere Sammler wiederum haben die Artikel aufgehoben, in denen Spiegel oder Süddeutsche Zeitung das Ende der Kanzlerschaft Helmut Kohls prophezeit haben. Die sind allerdings nichts wert. Davon gab es viel zu viele.

Nun entstehen neue Sammlungen. Beiträge häufen sich, die das vorzeitige Ende der Ampel ankündigen. Die NZZ hat jüngst einen solchen Beitrag veröffentlicht. „Koalition aus SPD, Grünen und FDP steht vor dem Aus“, verspricht die Überschrift. Das hat die Magie eines blubbernden Magens und einer öffentlichen Toilette, die einem den Wunsch erfüllen kann, sich schnell von einer Last zu befreien. Doch ganz am Ende des Artikels heißt es dann, die Chance für das versprochene Aus betrage 15 zu 85 Prozent. Die Toilette bleibt verschlossen. Der Magen blubbert weiter. Und nicht nur der.

Solche Artikel mehren sich derzeit. Sie bestehen aus einer Prise ‚junge FDP-Politiker haben gemotzt‘, einem Hauch von ‚Interessenvertreter in der SPD haben einen Brief geschrieben‘, einer kleinen Portion ‚Haushaltsdebatte‘ und ganz viel ‚wie man in Berlin hört‘. Was eine euphemistische Umschreibung ist für: Beim Saufen hat ein Zechkumpane spekuliert und der andere meint, so was habe er auch gehört. Aus mehr Substanz bestehen die „Ampel vor dem Aus“-Eintöpfe nicht.

Die karge Realität dahinter lautet: Die Ampel steht und sie steht bis in den Herbst 2025. Weder Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird sie beenden, noch „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) und schon gar nicht Finanzminister Christian Lindner (FDP). Wenn er die Ampel beendet sehen will, darf der deutsche Michel nicht auf Clickbaiting im Internet hoffen – das muss er schon selbst machen. Im Herbst 2025. Wenn reguläre Neuwahlen stattfinden.

Kanzler und ihre Partner haben Neuwahlen bisher nur erzwungen, wenn die jeweilige Koalition zerrüttet war – und sie selbst eine Perspektive auf einen Wahlsieg hatten. 1972 waren viele FDP-Abgeordnete zur CDU übergelaufen und Willy Brandt konnte bei der Neuwahl auf seine Popularität setzen. Mit Erfolg. Seine SPD erreichte ihr historisch bestes Ergebnis. 2005 fuhr Rot-Grün eine Pleite nach der anderen ein und Gerd Schröder konnte bei der Neuwahl auf seine Popularität setzen. Das klappte nur bedingt. Zwar gelang der SPD eine fulminante Aufholjagd, doch die Wahl kam zu früh und Angela Merkel (CDU) wurde statt Schröder Kanzler. 1983 hatte Helmut Kohl (CDU) erste Erfolge vorzuzeigen und in der SPD einen Gegner, der tief zerstritten war. Kohl hielt sich weitere 15 Jahre und ungezählt viele „Kohl vor dem Ende“-Artikel im Amt.

Ob man die Ampel als zerrüttet ansieht, ist eine Frage der Perspektive: Aus Sicht des Bürgers fördert die Koalition eine unkontrollierte Einwanderung, verantwortet unsichere öffentliche Plätze, beschneidet die Rechte der Bürger, mehrt die Bürokratie, verschwendet Geld und sorgt für eine Deindustrialisierung des Landes. Aus Sicht der Ampel ist das allerdings genau das, was sie wollen.

Vor allem aber hätten die Koalitionäre bei einer Wahl nichts zu gewinnen. Scholz und Lindner haben den Zenit ihrer Karrieren überschritten. Mehr als ihr bisheriges Amt können sie nicht erreichen. Eine Neuwahl brächte nur die Chance, dieses Amt noch früher zu verlieren. Habeck ist Vizekanzler und müsste sich als solcher erstmal in der Frage der Kanzlerkandidatur gegen Annalena Baerbock durchsetzen. Außerdem erlaubt ihm der Fortbestand der Koalition weiter, grüne Pflöcke in dieses Land zu treiben und auf mehr Rückenwind im Herbst 2025 zu hoffen, als ihn die Grünen aktuell genießen.

Zwischen 30 und 60 Milliarden Euro beträgt das Loch im Haushalt. Die Hoffnung all derer, die gerne „Ampel vor dem Aus“-Artikel lesen oder schreiben. Zugegeben. Das ist wahnsinnig vield Geld. Für einen Durchschnittsverdiener. Für einen Haushalter ist es aber nur eine mittelschwere Aufgabe, in einem Gesamtetat von rund 450 Milliarden Euro ungedeckte Schecks zu verstecken, die über die Lücke hinwegtäuschen. Deswegen beendet ein Politiker eine Koalition – wenn er Aussichten auf einen Wahlsieg hat. Fehlt diese Aussicht, lächelt er die Probleme weg. Eines der wenigen Talente, die der aktuelle Kanzler besitzt.

16 Jahre war Kohl im Amt. Am Ende empfanden ihn sogar Parteifreunde als Last. Doch die Machtmaschine aus der Pfalz klammerte sich an die Macht – als Lebenszweck. Gegen alle Vernunft versuchte er 1998 die erneute Wiederwahl. Der Wähler musste es ihm auf die harte Tour beibringen. Diese Aufgabe hat er 2025 wieder vor der Brust. Bis es soweit ist, kann er sich die Zeit damit vertreiben, „Ampel vor dem Aus“-Artikel zu sammeln.

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