Kaum etwas verlangt den Merz-Mitarbeitern im Adenauer-Haus und den Ost-Landeschefs der CDU so viel Beherrschung ab wie ein neuer Ratschlag des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther für die Parteifreunde. Sie müssen dann immer ihr Bestes tun, um der Wortmeldung des CDU-Linksauslegers nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu verschaffen – weil sie wissen, dass jede heftige Reaktion den Schaden noch vergrößern würde. Gegenüber der FAZ erklärte Günther in der Freitagsausgabe die Grünen zum natürlichen Koalitionspartner der Union nach der nächsten Bundestagswahl: Die Grünen hätten zwar „insbesondere in der bürgerlichen Klientel in den letzten anderthalb Jahren Kredit verspielt“, seien aber trotzdem auf Landes- wie auf Bundesebene „ein Koalitionspartner, mit dem die Union sehr gut regieren kann“.
„Es gibt keine Äquidistanz zur Linkspartei und zur AfD, und Bodo Ramelow ist keine Gefahr für die Demokratie. Er ist ein kluger Mensch, den ich schätze und der in der Ministerpräsidentenkonferenz mit allen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeitet.“
Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt schließt eine Koalition mit der Linkspartei aus, der sächsische CDU-Fraktionschef Christian Hartmann ebenfalls. Sollte sich der Eindruck bei den Wählern festsetzen, die Unionsparteien in den beiden Bundesländern seien am Ende doch bereit, in eine überwiegend linke Allparteien-Koalition unter Einschluss der Linken und des BSW gegen die AfD einzutreten, dürfte das viele Wähler von den Christdemokraten weg treiben – zumindest den großen Teil, der ausdrücklich keine linke Regierung in Dresden und Erfurt wünscht.
Im Adenauer-Haus fragen sich die Parteistrategen, was Günther dazu veranlasst, jetzt schon über eine Koalition mit den Grünen und sogar eine Zusammenarbeit mit der in Teilen linksextremistischen Linkspartei öffentlich nachzudenken. Neben der grundsätzlichen Linksneigung Günthers könnte ein Motiv darin liegen, den nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Hendrik Wüst bei dessen Ambitionen zu unterstützen, Kanzlerkandidat der Union zu werden. Wüst, der wie Günther mit den Grünen regiert, versucht sich als grün-affiner Spitzenmann der Union für die Bundestagswahl 2025 in Stellung zu bringen.
Bei vielen Medien trägt ihm das Beifall ein. Vor allem in deren Richtung versichert er, deutlich links von dem als „rechts“ beschriebenen Friedrich Merz zu stehen. Um den Gegensatz zu schärfen, verlieh der NRW-Landeschef Angela Merkel 2023 einen hohen Orden, und stellte sie als sein politisches Vorbild dar. Als der CDU-Vorsitzende Anfang 2023 die Bezeichnung „kleine Paschas“ für die Auftritte bestimmter muslimischer Jugendlicher an Schulen gebrauchte, gehörte Wüst zu den Parteimitgliedern, die der darauffolgenden Medienkampagne gegen Merz Futter gaben.
Fallen die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September für die CDU schlecht aus, siegt möglicherweise in einem der Länder sogar die AfD, dann käme der Moment für Wüst, Merz wegen seines angeblich zu „rechten“ Kurses die Schuld dafür zuzuschieben, und sich als Retter anzubieten, der die Partei wieder nach links schiebt. Insofern schadet es ihm nichts, wenn Günther durch die Empfehlung, sich der Linkspartei zu öffnen, die Wahlchancen seiner Parteifreunde in den beiden südöstlichen Bundesländern weiter schmälert. Einem Friedrich Merz schadet er dagegen sehr.
Ein enger Merz-Vertrauter, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei, schlug denn auch umgehend zurück. Am Tag nach der Vorab-Meldung zu dem Günther-Interview in der FAZ sagte Frei der „Rheinischen Post“: „Es ist nicht die Zeit, über Kooperationen nachzudenken. Erst recht nicht mit denen, die ein anderes Land wollen.“
Beim Bundesparteitag der CDU in der kommenden Woche muss sich Merz dem Delegiertenvotum stellen. Schon dann kommt es für ihn darauf an, wie stark die Unterstützung ausfällt. Aber der Moment, der wirklich über seine weitere Karriere entscheidet, dürfte der Abend des 1. September sein.