In Sachen: das Volk gegen das System. Eine Staatsanwältin übernimmt von ihrem Vorgänger ein paar Fälle. Sie findet heraus: Banker, Aktienhändler und Berater haben sich vom Finanzamt Geld erstatten lassen, das sie nie an den Fiskus gezahlt hatten. Der Schaden für die Staatsklasse: mehrere Milliarden Euro. Also Neun Nullen hinten. Viel Geld.
Es ist der größte Steuerskandal der deutschen Geschichte.
Die Ermittlerin tut das, was ihr Job ist: Sie ermittelt, sie klagt an – und sie gewinnt ihre Prozesse. Immer besser leuchtet sie das betrügerische Steuersparmodell aus, immer mehr prominente Beteiligte kann sie (aus dem Dunkel der Absprachen zu Lasten des Steuerzahlers) ins grelle Licht der öffentlichen Strafverfolgung ziehen. Ein Glücksfall für den Rechtsstaat und das Rechtsempfinden der Bürger, könnte man meinen. Doch hier nimmt die Geschichte eine abrupte Wendung.
Deutschlands erfolgreichste und vermutlich mutigste Staatsanwältin wird gerade entmachtet.
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Anne Brorhilker heißt die Ermittlerin.
Nicht nur der Name ist zugegeben etwas sperrig. Auch sonst ist die Oberstaatsanwältin nicht leicht im Umgang – aber enorm erfolgreich. Nach 2013 erwirkte sie die ersten wegweisenden Urteile in dieser Affäre. Fünf Prozesse in der ungemein komplizierten Materie endeten bisher mit fünf Schuldsprüchen, drei weitere Anklagen sind fertig.
Es ist der 49-jährigen Volljuristin zu verdanken, dass der Bundesgerichtshof BGH schon einmal grundsätzlich bestätigt hat: Die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte waren rechtswidrig. Der international renommierte Finanznachrichtendienst Bloomberg erklärte Brorhilker im Jahr 2021 zu einem der 50 wichtigsten Menschen auf der Welt.
Ebenfalls seit zwei Jahren steht die medienscheue Frau bei der Kölner Oberstaatsanwaltschaft an der Spitze der Hauptabteilung H. Dort leitet sie zentral die Cum-Ex-Ermittlungen von inzwischen 30 Kollegen sowie von Kriminalpolizei und Steuerfahndung gegen derzeit 1.700 Beschuldigte – darunter viele absolute Hochkaräter, in internationalen Großbanken ebenso wie zum Beispiel bei den Landesbanken HSH Nordbank oder WestLB.
Auf Brorhilkers mittlerweile legendäre und mitunter an Starrsinn grenzende Beharrlichkeit geht auch der Mega-Prozess um Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Privatbank MM Warburg zurück. Derzeit läuft der spektakuläre Prozess gegen deren Ex-Chef Christian Olearius. Das ist das Verfahren, das den damaligen Ersten Hamburger Bürgermeister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz so aufregt – weil dabei viele sehr unangenehme Fragen aufgetaucht sind, welche höchst dubiose Rolle Scholz in dem ganzen Komplex womöglich gespielt hat.
Scholz regiert in Berlin bekanntlich zusammen mit den Grünen. Unter den Augen des grünen Justizministers von Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach, wird die bisher so erfolgreiche Ermittlerin Brorhilker nun entmachtet.
Der Limbach gegenüber weisungsgebundene derzeitige Leiter der Staatsanwaltschaft Köln plant, Brorhilkers Hauptabteilung aufzuteilen. Die Oberstaatsanwältin soll wohl die Hälfte ihrer Mitarbeiter und Fälle abgeben. Die ausgegliederte zweite Hauptabteilung soll der bisherige Leiter des Referats für Jugendstrafrecht im Düsseldorfer Justizministerium übernehmen.
Seine Erfahrungen mit Cum-Ex-Fällen: null.
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Brorhilkers Kollegen laufen – im Rahmen ihrer dienstrechtlichen Möglichkeiten – gegen die Pläne Sturm.
Die Generalstaatsanwaltschaft Köln hat das Vorhaben in einem internen Bericht deutlich kritisiert. Die Umstrukturierung erfolge nicht nur offenkundig gegen den Willen von Brorhilker. Auch sei völlig unsicher, wie die künftig zwei Hauptabteilungen koordiniert werden sollen – und wozu überhaupt: Denn die Cum-Ex-Ermittlungen seien hochkomplex und miteinander verflochten.
Kurz: Die jetzige Struktur mit Brorhilker an der Spitze sei inhaltlich sinnvoll.
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Sollte Justizminister Limbach von den Grünen die Hoffnung gehegt haben, die Sache schnell und unauffällig durchdrücken zu können, fliegt ihm das jetzt um die Ohren. Er tut, was ertappte Politiker in solchen Fällen immer als Erstes versuchen: Er schindet Zeit und zeigt auf andere.
Das Ganze sei allein die Idee des kommissarischen Leiters der Kölner Staatsanwaltschaft gewesen. Und überhaupt: Es handele sich nur um Vorschläge, die dem Ministerium offiziell noch gar nicht vorlägen. Und entschieden sei natürlich auch noch überhaupt nichts.
Aus dem internen Bericht der Kölner Generalstaatsanwaltschaft geht allerdings hervor, dass Limbachs Ministerium bei den Plänen zur Entmachtung seiner prominentesten Staatsanwältin maßgeblich beteiligt war. Gespräche darüber sind offenbar sogar zunächst direkt zwischen Ministerium und Staatsanwaltschaft Köln geführt worden – über den Generalstaatsanwalt hinweg.
Der mag sich denn auch einen kräftigen Hieb nicht verkneifen: Es könne der Eindruck entstehen, dass die ganze Aktion nur die Cum-Ex-Ermittlungen behindern solle.