Mit Datum vom 12. Juli 2021 hat Dr. Florian Stumfall (78) in einem längeren Schreiben an CSU-Chef Markus Söder seinen Austritt aus der CSU erklärt. Stumfall ist nicht irgendwer: Der promovierte Politikwissenschaftler war unter anderem Referent der CSU-Landesleitung und der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung sowie 25 Jahre lang Redakteur der CSU-Parteizeitung „Bayernkurier“. Auch als Buchautor hat er sich einen Namen gemacht. Die Titel seiner – im Moment zumeist vergriffenen – Bücher sind unter anderem: Das Limburg Syndrom. Der Weg des brauchbaren Schwachsinns in die Politik (2017); Tripoli Charlie. Feuer der Hochfinanz in Afrika (2019); Uitkyk. Afrikanische Erzählungen (2017); Das EU-Diktat. Vom Untergang der Freiheit in Europa (2014); Zeitgeist und Gegenwind. Ein konservatives Manifest (2011). TE-Autor Josef Kraus hat mit Florian Stumfall, der mittlerweile für verschiedene Zeitungen schreibt, gesprochen.
TE: Herr Dr. Stumfall, ein solcher Brief und ein solcher Entschluss nach 52 Jahren CSU-Mitgliedschaft entstehen nicht aus einer Laune über Nacht heraus. Wie lange, seit wann haben Sie mit sich gerungen? Wann begann für Sie die Distanzierung zur CSU? Gab es jetzt einen aktuellen Auslöser oder auslösende Personen? Zumal wenige Wochen vor der Bundestagswahl?
Florian Stumfall: Die innere Loslösung war mühsam, das heißt langwierig, so dass ich keinen zeitlichen Anfang nennen kann. Doch begonnen hat es mit dem Verlust ordnungspolitischer Klarheit, von Merkel verschuldet, dem aber die CSU zu wenig entgegengesetzt hat. Der letzte Anstoß war die Gender-Politik, vor allem mit Blick auf Kleinkinder, die man schon zu Opfern macht.
Der Bayernkurier hat zwei große Zäsuren erlebt: den Tod von Strauß und den Abgang von Scharnagl. Irgendwann war er angesichts der Entwicklung auch anderer Print-Medien nicht mehr zu halten. Das Ur-Desaster ist, dass die CSU eine Politik mitgemacht hat, die Rechts-Prinzipien missachtet. Dass das auch auf der Ebene der EU gang und gäbe ist, scheint mir kein Trost zu sein.
Gab es bislang schon öffentliche Reaktionen auf Ihren Brief? Hat die Öffentlichkeit Ihren Brief, der ja eine chirurgisch messerscharfe Analyse der CSU-Politik in der Merkel-Ära ist, verstanden? Wie kommt es bei Ihnen an, wenn ein niederbayerischer Journalist den Brief als „Schimpfkanonade“ eines „Rechtsintellektuellen“ abtut? Kuscht hier jemand schon mal prophylaktisch vor den Regierenden?
Öffentliche Reaktionen gibt es erstaunlich viele. Der Brief scheint eine allgemeine Gefühlslage getroffen zu haben. Dass sich daran auch parteipolitische Bosheiten hängen, ist nicht verwunderlich.
Sie halten der CSU eine „lustvoll-schmerzliche Proskynese“, also einen Kniefall vor dem Zeitgeist vor. Was meinen Sie mit „Zeitgeist“? Oder meinen sie Kniefall vor Merkel?
Damit war der Zeitgeist gemeint. Früher hat die CSU ihn mitgeprägt, sehr erfolgreich sogar. Jetzt schwimmt sie unter Merkels Banner hinter ihm her.
Zeitgeist oder „C“: Hat letzteres im Namen CSU noch etwas zu suchen?
Das will ich nicht mehr beurteilen. Für mich hat das „C“ immer zweierlei bedeutet: das Bekenntnis a) zur christlichen Sittenlehre und b) zum Menschen als Gottes Geschöpf, das im Wesen unvollkommen ist und nicht durch politische Manipulation meliorisiert werden kann.
Ihr Brief ist auch im persönlichen Duktus sehr scharf. Am Ende verwahren Sie sich dagegen, von Söder eine Art 08/15-Entwurf eines Referenten als Antwort zu bekommen. Das hielten sie für entwürdigend. Zugleich verzichten Sie auf jede Würdeform, indem Sie Ihren Brief nicht einmal mit einer der üblichen Grußformeln beenden. Sitzt Ihre Verärgerung so tief?
Ja, offenbar. Ich habe zwar überwiegend Tatsachen aufgezählt, aber angekündigt, dass das schonungslos sein müsse. Auf die Grußformel zum Ende habe ich verzichtet, weil sie mir nicht ehrlich erschienen wäre.
Werden wir grundsätzlicher: Ihr Brief hat viel mit Söder, wohl aber auch mit dessen Vorgänger Seehofer zu tun. Vor allem aber kreiden Sie der CSU implizit an, dass sie ihre Eigenständigkeit preisgegeben und sich Merkel unterworfen hat. Die CSU-Wahlergebnisse sind entsprechend, sie liegen nicht mehr weit über den CDU-Prozenten. Mit einem Ministerpräsidenten Söder stürzte die CSU bei der Landtagswahl 2018 von zuvor 47,7 auf 37,2 Prozent ab. Nach aktuellen Umfragen rangiert die CDU bei der Bundestagswahl 2021 ebenfalls deutlich unter 40 Prozent. Was ist aus dem „bayerischen Löwen“ geworden? Ist die CSU zu einem Landesverband der CDU geworden? Wo ist ihr eigenständiges Profil?
Die CDU hat immer die Eigenständigkeit der CSU als historischen Missgriff verstanden. Das allzu große Entgegenkommen war bereits im Tandem Kohl/Waigel erkennbar. Waigel schon hat weitgehend auf eigene Akzente verzichtet. Danach ist es nicht mehr besser geworden.
Der Begriff „Gewaltenteilung“ bzw. deren Gefährdung kommt in Ihrem Brief nicht vor. Fehlt da nicht aufgrund des Zutuns der CSU etwas? Dass die horizontale Gewaltenteilung aufgelöst wird, indem die Parlamente nur noch nachvollziehen, was das Kanzleramt oder eine Staatskanzlei vorgibt? Dass die vertikale Gewaltenteilung verloren geht durch Ermächtigungen des Bundes gegenüber den Ländern und Abtretung von Souveränitätsrechten des Bundes an Brüssel?
Sie sagten eingangs, ich hätte nichts ausgelassen. Doch das stimmt nicht. Ich habe geschwiegen über Personalpolitik, Außenpolitik und, wie Sie richtig sagen, zu den Grundprinzipien. Ich wollte kein Buch schreiben, sondern einen Brief. Er ist ohnehin ziemlich lang geworden.
Warum hat die CSU es ohne Murren hingenommen, dass ihr Partei-Vize und Spitzenkandidat Manfred Weber bei der Besetzung der EU-Kommissionsspitze abgeräumt und durch eine gescheiterte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ersetzt wurde?
Man hat es hingenommen wie so vieles. Dahinter steckt die Konstruktion der beiden Parteien zueinander, die auf gutem Willen basiert, und das will niemand in Frage stellen.
Ist Söder überhaupt noch ein Föderalist? Steht er noch zum Prinzip Subsidiarität?
Ich habe nicht zwingend den Eindruck.
Über Seehofer wurde und wird gelästert, dass er eigentlich „Drehhofer“ heißen müsste. Trifft diese Etikettierung nicht auch auf Söder zu? Wenn man sich etwa die Ergrünung Söders anschaut?
Einzelnen Politikern werden oft Etiketten umgehängt. Wesentlich ist aber, wie die Politik aussieht, die sie machen, denn die zeigt die Wahrheit.
Seehofer und Söder waren sich – jetzt unpolitisch gemeint – nie so recht grün. Seehofer soll 2012 bei einer Weihnachtsfeier über Söder gesagt haben: Er habe „charakterliche Schwächen“, sei „von Ehrgeiz zerfressen“ und pflege einen Hang zu „Schmutzeleien“. War das eine zutreffende Charakteristik? Und falls ja, ist Söder jetzt gereift?
Dazu möchte ich nichts sagen.
Hätte Söder statt Laschet „Kandidat‘“ werden sollen?
Warum? Dass die CDU die CSU und ihren Kandidaten im Wahlkampf boykottiert, wie sie es 1980 mit Strauß gemacht hat?
Söders Vorvorvorgänger Edmund Stoiber wurde 2007 gestürzt. Inmitten einer Legislaturperiode, die er 2003 mit einer Zweidrittelmehrheit für die CSU im Bayerischen Landtag begonnen hatte. Kann Söder so etwas auch passieren, wenn die Prozente nicht mehr stimmen?
Gibt es in der CSU überhaupt Leute, denen man eine Nachfolge oder gar einen Sturz Söders zutrauen kann? Gibt es Leute mit rebellischer Grundierung? Oder ist die CSU auch im zweiten und dritten Glied völlig paralysiert?
Ordnungen degenerieren, auch Parteien tun das. Wieweit das für die CSU zutrifft, kann ich nicht sagen, ich bin zu lange aus dem aktiven Geschäft.
Ist die CSU noch zu retten? Ist die CDU nach Merkel überhaupt noch zu retten?
Ich frage mich, wie man das Land retten kann, seine Menschen, ihre Wohlfahrt und Freiheit.
Werden Sie am 26. September 2021 CSU wählen?
Nein.