Eine Besonderheit der Correctiv-Veröffentlichung unter der Überschrift „Geheimplan gegen Deutschland“ – in der es in Wirklichkeit um die Vorstellung eines längst bekannten Buchs in einer privaten Runde ging – besteht in der Methode der Nachrichtenbeschaffung. Nach Angaben von Correctiv filmte ein Mitarbeiter der Medienplattform die Veranstaltung in dem Potsdamer Hotel „Landhaus Adlon“ heimlich. Das führt zu der Frage: Wie bewertet der „Ethikrat“ von Correctiv den unerlaubten Video-Mitschnitt einer Privatveranstaltung?
Im Correctiv-Ethikrat sitzt ein prominenter Fachmann für die Frage – der langjährige Bundesdatenschutz-Beauftragte Peter Schaar, nebenbei Parteimitglied der Grünen.
TE fragte Schaar nach seiner Bewertung des Vorgangs aus Datenschutz-Sicht. Seine Antwort ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen teilt er mit: „Der Correctiv-Ethikrat hat sich mit der von Ihnen angesprochenen Recherche noch nicht beschäftigt, ich gehe allerdings davon aus, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird. Persönlich war ich in die rechtliche Bewertung bisher nicht einbezogen.“ Das überrascht – denn als Begründung für die relativ lange Zeit zwischen dem Treffen in Potsdam, das den Gegenstand der vorgeblichen Enthüllung bildet, und der Veröffentlichung des Textes am 10. Januar 2024 führt Correctiv auf der eigenen Webseite an, es sei eben eine gründliche Prüfung des Materials nötig gewesen, auch unter rechtlichen Gesichtspunkten.
„Bei der anstehenden Bewertung durch den Ethikrat“, kündigt Schaar an, „wird die datenschutzrechtliche Dimension eine bedeutende Rolle spielen.“ Allerdings gibt er schon einen Hinweis, dass er in den heimlichen Filmaufnahmen vermutlich keinen Verstoß gegen ethische Prinzipien und Datenschutzrichtlinien sehen wird. „Wie Ihnen sicher bekannt ist“, so Schaar gegenüber TE, „hat Deutschland von der durch den Art. 85 Abs. 2 Datenschutz-Grundverordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die allein journalistischen Zwecken dienende Verarbeitung personenbezogener Daten von der Anwendung zentraler Teile der DSGVO auszunehmen. Dieses ‚Medienprivileg‘ wird für die Presseunternehmen und deren Hilfsunternehmen durch die Landespressegesetze garantiert. Für die elektronischen Medien finden sich entsprechende Bestimmungen in den einschlägigen Staatsverträgen. Als Medienunternehmen bekennt sich Correctiv zum Pressekodex des Deutschen Presserats und den darin formulierten ethischen Standards für den Journalismus. Dementsprechend werden die dort niedergelegten Anforderungen bei der Bewertung der von Ihnen angesprochenen Recherche durch den Ethikrat herangezogen werden.“
Gerade die Begründung, die heimlichen Aufnahmen seien allein zu journalistischen Zwecken angefertigt worden, steht allerdings auf wackligen Beinen. Denn Correctiv veröffentlichte das Video oder Teile daraus bisher nicht, sondern erklärte, der Mitschnitt habe nur der internen Auswertung gedient. Möglicherweise gibt es einen guten Grund für die Medienplattform, die Aufnahme nicht zu zeigen: Für zentrale Behauptungen – etwa, die Teilnehmer des Treffens hätten über massenhafte Ausbürgerung von Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft gesprochen – präsentierte Correctiv bisher weder wörtliche Zitate noch andere Belege. Anderen Darstellungen in dem Correctiv-Text widersprechen Teilnehmer vehement. Die Videoaufnahme könnte also geeignet sein, wichtige Punkte des Textes sogar zu widerlegen.
Bisher gibt es eine Strafanzeige der AfD-Bundestagsabgeordneten Gerrit Huy, einer Teilnehmerin der Potsdamer Veranstaltung, gegen Correctiv. Außerdem geht eine Anwaltskanzlei gegen verschiedene Darstellungen von Correctiv vor. Abgesehen von der datenschutzrechtlichen Bewertung dürfte demnächst auch die Frage anstehen, ob die gegen ihren Willen gefilmten Teilnehmer der Veranstaltung von Potsdam die Herausgabe des Videomaterials verlangen können.