In Deutschland sinkt die Zahl der aktiven Corona-Fälle weiter. Waren es in der Vorwoche noch rund 12.800 aktive Fälle in Deutschland, sind es diese Woche noch circa 10.300 aktive Fälle (mit Krankheitssymptomen), bei 181.500 bestätigten Fällen (einschließlich der geheilten) und 8.400 Verstorbenen, die mit dem Virus in Verbindung gebracht werden.
Dieser positive Trend ist leider nicht in allen Ländern zu beobachten. So verzeichnete Spanien einen deutlichen Anstieg der aktiven Corona-Fälle in den letzten Tagen. In Belgien hat sich zwar die Rate der Neuinfektionen verlangsamt, aber die Zahl der aktiven Fälle steigt trotzdem weiter. Dort sind momentan um 32.800 aktive Corona-Fälle bekannt – bei 9.400, die in Verbindung mit Corona verstorben sind.
Dies liegt aber auch an der Zählweise in Belgien. So berichtet die belgische Tageszeitung Grenzecho, dass in Krankenhäusern zwar alle Verstorbenen auch auf eine Corona-Infektion untersucht wurden, es sich aber bei 76% der gemeldeten Corona-Toten in belgischen Alten- und Pflegeheimen (die insgesamt 51% der Verstorbenen ausmachen) um nicht getestete Verdachtsfälle handelt, bei denen aufgrund ihrer Symptome eine Corona-Infektion vermutet wird.
Diese Annahme ist allerdings nicht unbegründet. An anderer Stelle erklärt Steven van Gucht, der interföderale Sprecher für Covid-19, dass Belgien eine deutlich überhöhte Sterberate vorweisen kann: Es sterben dieses Jahr deutlich mehr, als aufgrund der Erfahrungen vergangener Jahre zu erwarten waren. Diese „Übersterblichkeit” wird zum größten Teil mit den gemeldeten Corona-Todesfällen erklärt. Es gibt also nur eine relativ geringe Dunkelziffer an Corona-Todesfällen – anders als in vielen anderen Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden, wo gemeldete Corona-Todesfälle nur rund die Hälfte der tatsächlich beobachteten Übersterblichkeit ausmachen – was wiederum ein Hinweis auf eine große Dunkelziffer in den Niederlanden ist. Van Gucht zufolge zählen die Belgier also einfach genauer als andere.
Die überalterte Bevölkerungsstruktur und dichte Besiedelung Belgiens hat aber laut van Gucht auch einen nicht unerheblichen Anteil an den Sterberaten. Tatsächlich ist der „durchschnittliche“ Belgier, laut Statista, mit 41,6 Jahren etwas jünger als der durchschnittliche EU-Bürger (43,1 Jahre) und deutlich jünger als der durchschnittliche Deutsche mit 46 Jahren (zum Vergleich: Das Durchschnittsalter der Corona-Hotspots Italien und Spanien beträgt 46,3 beziehungsweise 43,6 Jahre).
Seit dem 11. Mai werden die Einschränkungen nach und nach gelockert. Die für die Wirtschaft höchst wichtigen Städte Madrid und Barcelona verzögerten ihre Lockerungen allerdings bis zum 25. Mai. Auch wirtschaftlich ist das Land in größter Gefahr. Der Tourismus machte, laut OECD, im Jahr 2017 fast 12% des Bruttoninlandsprodukts (BIP) aus, ist also eine extrem wichtige Industrie im Land. Zum Vergleich: im Jahr 2015 machte der Tourismus in Deutschland weniger als 4% des BIP aus. Doch internationaler Tourismus ist in Spanien erst ab dem 1. Juli wieder gestattet, wie viele Gäste dann überhaupt kommen werden, ist fraglich. Inländischer Tourismus ist in dieser Zahl mit inbegriffen, aber dieser konnte aufgrund der Ausgangsbeschränkungen ebenfalls nicht stattfinden, ist in manchen Landesteilen mittlerweile erlaubt, aber nur unter strengen Auflagen.
BILD und die Wissenschaft
Am vergangenen Montag erregte die BILD großes Aufsehen mit dem Artikel: „Drosten Studie über ansteckende Kinder grob falsch“. Darin wurde die Vorveröffentlichung einer Studie der Berliner Charité besprochen, an der, unter anderen, der Virologe Christian Drosten beteiligt war. Die Studie mit dem Titel „An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age“, beschäftigte sich mit der Frage, ob das Alter einer Person einen Einfluss darauf hat, wie hoch die Viruslast einer Person ist, was sich wiederum darauf auswirken kann, wie ansteckend jemand ist. Wenn die Viruslast bei Kindern geringer ist als bei Erwachsenen, sind sie weniger ansteckend, was wiederum bedeutet, dass Schulen zum Beispiel schneller wieder öffnen könnten. Die Wissenschaftler kamen allerdings zu dem Schluss, dass die Viruslast sich bei sehr jungen Personen nicht signifikant von der Erwachsener unterscheidet. Zu diesem Schluss kamen die Forscher, nachdem 3.712 Corona-Positive Rachenabstrichproben analysiert waren.
In der Studie heißt es:
„Aufgrund dieser Ergebnisse, müssen wir, in der jetzigen Situation, vor einer kompletten Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten warnen. Kinder könnten so infektiös sein wie Erwachsene.“
BILD kritisiert die Studie jedoch scharf: „Star-Virologe Christian Drosten (48) lag mit seiner wichtigsten Corona-Studie komplett daneben.“
Dazu zitiert BILD verschiedene Wissenschaftler, wie zum Beispiel den Statistikprofessor der Universität Mannheim, Christoph Rothe, der auf Twitter schrieb:
Andere Wissenschaftler kommen gar zu dem Schluss, dass Kinder eben doch eine geringere Virenlast haben als Erwachsene.
Das Feuer gegen BILD ließ nicht lange auf sich warten, im Gegenteil, schon im Vorfeld hatte sich harsche Kritik an Deutschlands reichweitenstärkster Zeitung geregt. Der Autor des Artikels, Filipp Piatov, stellte Christian Drosten eine Anfrage zu der Studie mit einer denkbar kurzen Frist. Diese Anfrage veröffentliche Drosten über Twitter – einschließlich der direkten Kontaktdaten des Journalisten.
Für das Veröffentlichen der Anfrage mit Kontaktdaten wurde Drosten entsprechend kritisiert, insbesondere dafür, dass die Telefonnummer Piatovs öffentlich bekannt wurde. Später löschte er den Tweet und postete die Anfrage erneut, dieses Mal aber ohne Kontaktdaten (um den neu geposteten Tweet handelt es sich oben).
Die von BILD zitierten Wissenschaftler distanzierten sich sehr zeitnah von den Methoden der Zeitung.
Von ihren inhaltlichen Kritikpunkten rückten sie aber nicht ab – nur davon, wie ihre Kritik in BILD abgebildet wird. Ende dieser Woche soll auch eine überarbeitete Fassung des Preprint erscheinen, die auf die statistische Kritik eingeht; dies sei ja auch der übliche Vorgang bei wissenschaftlichen Studien, die so zur Diskussion gestellt werden.
Doch ganz so einfach ist es nicht, weder für Drosten noch für BILD.
In seiner Berichterstattung über die Studie verkannte BILD ein wichtiges Detail: Es handelt sich bei der besprochenen Studie eben nicht um eine fertige Veröffentlichung. Es handelt sich stattdessen um einen „preprint“, einen nicht fertigen Vorabdruck der Ergebnisse. Ziel solcher Vorveröffentlichungen ist es zum einen, dem Fachpublikum schneller Einblick in neue Erkenntnisse zu geben – denn das Erarbeiten einer fertigen Studie nimmt viel Zeit in Anspruch – , aber ist zum anderen auch Teil des Revisionsprozesses, mit dem erklärten Ziel, Fehler zu entdecken, die ausgebessert werden müssen – wie zum Beispiel die Erklärung, warum man trotz schwacher statistischer Methoden zu den Schlüssen gelangt, die am Ende gezogen werden.
Der Preprint ist also ein bewusst unfertiges Produkt. Statt dies zu erkennen, konstruierte die BILD in ihrem Artikel einen Skandal, der so keiner ist. Auch unterstellte sie Drosten mindestens eine fahrlässig schlechte Arbeit. Sie überspitzte die Kritik an der statistischen Analyse so sehr, dass es manch einen Leser schmerzte: besonders Wissenschaftler und Statistiker, die differenziertere, feinsinnigere Auseinandersetzungen gewohnt sind. Trotzdem hat BILD nicht ganz unrecht: es gibt auch gerechtfertigte Kritik an der Analyse.
Auf der anderen Seite leiden Wissenschaftler, wie jeder andere Mensch auch, an einer gewissen Fachblindheit. BILD ist ein Boulevardblatt. Nicht jeder Bundesbürger will sich zu jedem Zeitpunkt mit den Feinheiten des wissenschaftlichen Diskurses auseinandersetzen – muss er auch nicht. Es ist das Geschäft von BILD, komplexe Themen in simple Überschriften zu verpacken, und diese dann zwischen Politik, Klatsch und Tratsch dem Leser zu präsentieren. Die bessere Antwort Drostens wäre es wohl gewesen, statt die Anfrage des BILD-Redakteurs auf Twitter zu teilen, ihm die Problematik zu erklären; trotz der unverschämt kurzen Antwortfrist, trotz der übermäßigen Überspitzung. Stattdessen drehte Drosten den Spieß um und erntete damit den Applaus derer, die das Boulevardblatt ohnehin nicht mögen.